Raus aus der Krise aber wie?

09.08.2007 von Heike Littger
Arbeitsplatzverlust, Mobbing, Krankheit, Tod: Es gibt Menschen, die an Leid zerbrechen. Andere meistern selbst schwierigste Situationen. Woran liegt das? Die CW gibt Antworten.

Daniel Zanetti wollte gut sein, sehr gut, besser als alle anderen. Deswegen schraubte der Chef des Schweizer Seminarveranstalters Neumann Zanetti & Partner seine Ziele höher und höher und setzte sich immer stärker unter Druck. Nach der Arbeit konnte er nicht mehr entspannen, nachts nicht mehr schlafen, er dachte nur noch an den Job. Freunde, Familie, Kollegen sie alle ermahnten ihn: "Pass auf dich auf!"

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  • … wie ein Schweizer Manager seine Burnout-Krise gemeistert hat;

  • ... wie Cisco-Mitarbeiter lernen, mit Stress umzugehen;

  • … was Psychologen Arbeitssüchtigen empfehlen.

Daniel Zanetti, Unternehmer: "Ich hatte das Gefühl für meinen Körper verloren."

Doch er ignorierte sie, lehnte jede Hilfe ab: "Es geht nicht anders, da muss ich jetzt durch." Zu Hause kippte er jeden Abend aus den Latschen, keine Lust zu gar nichts. Er wollte nur noch seine Ruhe. Alles tat ihm weh, sein Kopf, sein Rücken, sein Magen. "Das Schlimmste war aber", so Zanetti, der unter anderem für Bechtle, ARP Datacom, Miele, Bossard und Swisscom Mobil arbeitet, "dass ich nicht mehr wusste, wie ich meine Ressourcen aufbauen kann, ich hatte das Gefühl für meinen Körper verloren." Am 15. Juli 2004 brach er zusammen.

Zanetti war einer der ersten, der sich geoutet hat. In seinem Buch "Vom Know-how zum Do-how" beschreibt er seinen Burnout, aber auch, wie er sich aus eigener Kraft davon erholt hat. Zu Hause in der Hängematte wurde ihm klar: So kann es nicht weitergehen. Ich muss etwas tun. Nur ich habe die Fäden für mein Leben in der Hand.

Stehaufmännchen mobilisieren Widerstandskräfte

Für Psychologen ist Zanetti ein Stehaufmännchen, einer der es schafft, wenn auch spät, seine Widerstandskräfte zu mobilisieren, Krisen zu überstehen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Diese Fähigkeit, auch Resilienz genannt, wurde zuerst von Emmy Werner, emeritierte Psychologin an der University of California in Davis, erforscht und beschrieben. Unter ihrer Leitung begleitete ein Forscherteam über vier Jahrzehnte hinweg 698 Kinder, die im Jahr 1955 auf der Hawaii-Insel Kauai zur Welt gekommen waren. Fast jedes dritte Kind kam aus einer Familie, in der es Armut gab, Krankheit, Scheidung, Gewalt oder Missbrauch. Im Alter von zehn und 18 Jahren zeigten zwei Drittel schwere Lern- und Verhaltensstörungen, einige waren bereits straffällig geworden. Das restliche Drittel entwickelte sich jedoch zu selbstsicheren, leistungsfähigen Erwachsenen. Die Forscherin war überrascht: Wie konnte das sein? Was hatten diese Kinder, das die anderen nicht hatten? Vor zwei Jahren erzählte Weber auf einem Kongress in Zürich: "Die resilienten Kinder sind auch heute als Erwachsene Optimisten. Sie sind davon überzeugt, trotz all der widrigen Umstände ihr Leben vielleicht nicht sofort, aber irgendwann positiv beeinflussen zu können. Und alle haben das tief verwurzelte Gefühl, etwas zu können und etwas wert zu sein.

Micheline Rampe, Buchautorin: "Wir müssen lernen, Veränderungen zu akzeptieren."

Zu Trainerin Micheline Rampe kommen Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeiter, die noch nicht genau wissen, wie sie mit Umbruchssituationen umgehen und ihre psychische Widerstandskraft dafür aktivieren können. Als Marcus Fritz 37 Jahre alt war, setzte ihm sein Arbeitgeber, ein Softwarehaus, einen jüngeren Chef vor die Nase. Ausgerechnet ihm. Wie im Bilderbuch war er die Karriereleiter emporgeklettert. Bis er schließlich als Marketing-Leiter eine Abteilung mit 25 Leuten zu verantworten hatte. Warum hatten sie ihn übergangen? Doch nach wenigen Sitzungen wurde ihm klar, was ihn an dieser Situation wirklich stresste. Ein halbes Jahr zuvor war er Vater geworden. Für seine Frau und seine kleine Tochter fühlte er sich verantwortlich. Was ihn ängstigte, war nicht der neue Chef, sondern das Gefühl, nicht mehr gefragt zu sein, die nächste Reorganisation nicht zu überleben und dann seiner Aufgabe als Familienvater und Alleinverdiener nicht mehr gerecht werden zu können. "Völliger Unsinn", so Fritz heute, "ich hatte eine Gefahr heraufbeschworen, die es gar nicht gab. Und selbst wenn: Mit meinen Fähigkeiten hätte ich schnell wieder Fuß gefasst." Seinen Chef hat der Marketing-Leiter akzeptiert. "Er ist in Ordnung. Und ich bin im Grunde froh, dass nicht ich auf seinem Posten sitze. Als Marketing-Chef kann ich mich und meine Fähigkeiten besser einbringen."

Geschmeidiger Umgang mit ungewollten Veränderungen

Akzeptanz ist für Rampe einer der zentralen Säulen von Resilienz. Viele Menschen, so die Hamburger Trainerin und Autorin von "Der R-Faktor das Geheimnis der inneren Stärke" (Eichborn Verlag), klammern sich an ihre Gewohnheiten und wollen, dass immer alles so bleibt, wie es ist. Doch jeder Widerstand gegen die manchmal bittere Realität macht das Leben noch schwieriger. Erst durch Akzeptanz hat man eine Chance, optimal auf Veränderungen zu reagieren. Zumal keiner vor Schicksalsschlägen wie Mobbing, Arbeitslosigkeit, Trennung, Alter, Krankheit oder Tod gefeilt ist. "Wir brauchen eine gewisse Geschmeidigkeit im Umgang mit den Wechselfällen des Lebens, so Rampe. "Wir müssen lernen, Veränderung als Lebensprinzip zu akzeptieren."

Auch Jörg-Peter Schröder, Arzt, Coach und Buchautor ("Wege aus dem Burnout"), begleitet Menschen in Umbruchssituationen. Andreas Kirschhofer war einer seiner Klienten. Vor zwei Jahren entdeckte der Informatiker einen erbsengroßen Knoten am rechten Hoden. Er ging zum Arzt. Ultraschall, Blutuntersuchung, Gewebeprobe. Eine Woche später stand die Diagnose fest: Krebs. Im Krankenhaus hatte der Vater von vier Kindern Zeit nachzudenken. Doch erst mit Hilfe seines Trainers kam er an die zentralen Fragen: Was hat das Ganze mit mir zu tun? Welche Botschaft steckt dahinter? "Seinen eigenen Anteil zu sehen", so Schröder, "erfordert Mut." Man muss genau hinsehen: Warum stehe ich heute an diesem Punkt? Wie konnte es so weit kommen? Das Leben ist selten schwarz-weiß. Wer in eine Krise gerät, ist meist Opfer und Täter zugleich. Heute arbeitet der 43-Jährige als freiberuflicher Trainer bei einer Management-Beratung. Kirschhofer: "Ich hatte verkannt, wie sehr mich mein Job auslaugte. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Ohrensausen alle Symptome habe ich ignoriert oder mit Medikamenten weggedrückt.

Auf sich aufzupassen, kann jeder lernen

Zanetti, Fritz und Kirschhofer machen Mut. Denn sie zeigen: Resilienz ist keine Eigenschaft, die Menschen zufällig besitzen oder nicht besitzen. Es ist nichts Außergewöhnliches, keine Glückssache. Es gibt zwar einige wenige, die von klein auf wie selbstverständlich ihre inneren Kraftquellen nutzen und ausschöpfen können. Aber auch die anderen können es lernen - mit oder ohne fremde Hilfe.

Christoph Plur, Cisco: "Mein Lernziel für die Zukunft: Auch mit 80 Prozent zufrieden zu sein."

Noch gibt es wenige Unternehmen, die die Erkenntnisse aus der Resilienzforschung für sich nutzen. Umbrüche, Krisen, Stress das betrifft sie nicht, so die landläufige Meinung. Kimberly Colegrove kann ein Lied davon singen. Wie hat sich die Psychologin aus Köln den Mund fusslig geredet. "Für die meisten Unternehmen ist Resilienz Privatsache. Dabei tragen sie Mitverantwortung. Sie müssen ihre Mitarbeiter befähigen, sich in einer bewegten Arbeitswelt zurechtzufinden." Zumal nicht nur die Mitarbeiter von entsprechenden Trainings profitieren. "Resiliente oder stressresistente Mitarbeiter", so Colegrove, "arbeiten besser, schneller, effektiver und sind mit sich und ihrem Job zufriedener." Cisco hat das verstanden.

Wie man sich selbst helfen kann

  • Sich Zeit nehmen: Für seine Trauer, seine Wut und seinen Schmerz, aber auch um neue Energien zu tanken.

  • Akzeptieren, dass es so ist, wie es ist: An vielen Dingen kann man nichts ändern. Durch einen Unfall verliert man ein Bein, der geliebte Partner packt nach 20 Jahren Ehe seine Koffer, die Firma schließt für immer ihre Pforten.

  • Optimismus entwickeln: Alles geht vorüber ganz gleich, wie schlecht, deprimiert, verängstigt man sich auch fühlen mag. Diese Erkenntnis kann sehr tröstlich sein.

  • An die Zukunft denken: Wie soll es weitergehen? Auch wenn es einem nicht gut geht - Wünsche und Ziele für die Zukunft sind immer vorhanden. Man sollte sich auch in schweren Zeiten an sie erinnern.

  • Aktiv werden: Jeder hat sein Schicksal selbst in der Hand und sollte sich darauf konzentrieren, was er hier und jetzt verändern möchte und verändern kann. Wichtig dabei: an die eigenen Fähigkeiten glauben.

  • Erfolgsmuster erkennen: Wie habe ich in der Vergangenheit auf Krisensituationen reagiert? Was hat mir geholfen, was hat mir gutgetan, was habe ich daraus gelernt? Antworten auf diese Fragen können ein wichtiger Wegweiser sein.

  • Um Hilfe bitten: Der Mensch ist kein Einzelkämpfer. Er braucht Weggefährten, vor allem in schwierigen Zeiten. Deswegen ist es wichtig, Beziehungen zu Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen zu pflegen und sie in Notzeiten auch zu nutzen.

Nach zwei Monaten Pause komplett neuer Anfang

Der größte Netzwerkausrüster weltweit musste in den vergangenen Jahren lernen: Wer am Puls der Zeit sein möchte, muss seine Mitarbeiter auch darin schulen, wie sie die hohen Anforderungen verkraften können. Christoph Plur hat eine solche Schulung genutzt und sich zusammen mit elf weiteren Cisco-Mitarbeitern bei der Trainerin Colegrove angemeldet. Der Name des Seminars "Pressure Management" verwirrt, doch inhaltlich setzt das Training auf den wichtigsten Säulen von Resilienz auf. Zwei Tage lang hatte Plur Zeit für eine Bestandsaufnahme: Wie geht es mir? Was sagt mein Körper und was mein Geist? Wer oder was macht mir Stress? Und womit mache ich mir immer wieder selber Druck? Auf einem großen weißen Blatt hat der Business Development Manager dann seine Stressoren aufgeschrieben und dabei gemerkt: "Ich bin zu mir gnadenlos. Erst wenn alles perfekt ist, wenn ich die 120 Prozent erreicht habe, gebe ich mich zufrieden." Sein Lernziel für die Zukunft: Auch mal loslassen und sich mit 80, 90 oder 100 Prozent bescheiden.

"Resilienz ist das Endprodukt eines Prozesses, der Risiken und Stress nicht eliminiert, der es den Menschen aber ermöglicht, damit effektiv umzugehen", sagte Emmy Werner auf dem Züricher Kongress vor zwei Jahren. Daniel Zanetti hat diesen Prozess erfolgreich durchlaufen. Zwei Monate nach seinem Zusammenbruch kehrte er in sein Unternehmen zurück und krempelte den Laden um. Wer volle vier Jahre gearbeitet hat, hat Anrecht auf 30 Tage bezahlten Sonderurlaub, den er an einem Stück abfeiern muss. "Das kostet uns eine Stange Geld und beschert uns einen nicht unerheblichen organisatorischen Mehraufwand", so der Schweizer Unternehmer, "aber ich will und ich brauche leuchtende Mitarbeiter und keine, die sich ausgebrannt an die Tischkante krallen." Was ihn selbst betrifft: Er isst nicht mehr im Stehen, nicht im Gehen und auch nicht in einem überfüllten Lokal mit schlechtem Service. Er beherrscht sein Handy von zwölf bis 13 Uhr und von 19 bis 20 Uhr ist Funkstille. Nach Büroschluss setzt er sich zu seiner Familie und nicht alleine vor den Fernseher. Wenn der Duck zu hoch ist, sagt er Nein. Heute nicht, aber gerne übermorgen. Er geht 10.000 Schritte am Tag an der frischen Luft. Kinder, Familie, Sport, Ausgehen sind unumstößliche Terminkalendereinträge, ein jährlicher, umfassender Gesundheitscheck ist ebenfalls terminiert. Und wenn es doch mal arg kommt? "Dann weiß ich, meine Frau, meine Freunde sind immer für mich da." (hk)