Prozessorientierung braucht integrierte IT

06.05.2002 von Claus Schmid
Die <a href="http://www.fag.de" id="EL_28C95D1A-BE6A-0F1C-2CD9D3C21E244BDB">FAG Kugelfischer Georg Schäfer AG</a> , Schweinfurt, hat alte Zöpfe abgeschnitten: Die früher stark an Unternehmensfunktionen ausgerichteten Engineering-Abläufe sind der Prozessorientierung gewichen. Exemplarisch dafür ist das neue integrierte Product-Lifecycle-Management.

Die Möglichkeiten, innerhalb der klassischen Funktionsbereiche Vertrieb, Produktion und Logistik weitere Verbesserungen zu erzielen, waren 1998 ausgereizt. Neue Potenziale erhoffte sich die FAG davon, die althergebrachten Abteilungsstrukturen in funktionierende Prozesseinheiten zu überführen. Herzstück dieser IT-gestützten und organisatorischen Neuausrichtung sollte ein Product-Lifecycle-Management-System sein. Mit einer solchen - kurz PLM genannten - Lösung lassen sich alle Daten, die von der Kundenanfrage bis zum Recycling des Produkts anfallen, erzeugen, speichern, verwalten und verteilen.

Vordergründig wollte FAG mit Hilfe des Systems rund 500 000 gültige Konstruktionsunterlagen mit etwa 300 000 detaillierten Materialstammdaten weltweit verfügbar halten. Der tiefere Beweggrund war aber der, dass aufgrund der stetig steigenden Zahl und Detaillierung der Daten immer mehr Unternehmensbereiche in den Lebenzyklus von Produkten involviert waren. Deshalb galt es zum einen, die technische IT in die logistische und kaufmännische DV-Welt zu integrieren. Andererseits sollten Vertrieb, Entwicklung und Produktion das PLM als Steigbügel nutzen, um ihre Kernprozesse zu verbessern.

Trotz unterschiedlicher Perspektiven greifen die verschiedenen Abteilungen eines Unternehmens auf Daten zu, die der Vorgänger im Prozess erzeugt hat und ein anderer Kollege in einem neuen Zusammenhang verwerten wird. Quelle: FAG Kugelfischer

FAG produziert weltweit, wird aber zentral geführt. Eine wesentliche Verbesserung des Prozesses von der Anfrage über das Angebot bis zum Auftrag ist hier eine Herkules-Aufgabe: Während die Kernprozesse mit neuen Technologien runderneuert werden, muss das Gesamtsystem weiter funktionstüchtig bleiben.

Doch dem Kraftakt standen die Vorteile einer homogenen, standardisierten sowie integrierten System- und Prozesslandschaft gegenüber: Kundenindividuelle Geschäftsvorgänge lassen sich transparent darstellen, und der Zugriff auf benötigte Informationen ist dank Internet-Technik unabhängig von Zeit, Ort, Soft- und Hardware. Kurze Informationswege führen zu fundierteren Entscheidungen, abgeschlossene Vorgänge bleiben auch nach Jahren noch nachvollziehbar. Last, but not least lassen sich mit E-Business neue Geschäftsfelder erschließen.

Keine Experimente mit Drittanbietern

Weil das für die Umsetzung von PLM-Programmen erforderliche Know-how intern nicht vorhanden war, wurde das Beratungshaus CSC Ploenzke engagiert. Den ersten Projektschritt stellte eine Unternehmensanalyse dar - mit dem Ziel, einen Masterplan zu entwickeln, die Systemauswahl und die Einführung eines weltweiten PLM zu planen.

Bei FAG befindet sich das ERP-System SAP R/3 großflächig im Einsatz. Deshalb wurde beschlossen, die nötigen technischen Informationen in die logistische und kaufmännische SAP-Welt einzubringen. Durch den Verzicht auf eine eigenständige PLM-Lösung ließen sich Datenintegration und Systemhomogenisierung quasi ad hoc leisten. Integration und Durchgängigkeit vor allem im weltweiten Freigabe- und Änderungs-Management waren weitere Argumente für die gewählte Vorgehensweise. Die Anforderungen an eine tiefe Integration der CAD-Systeme rückten dabei zunächst in den Hintergrund.

Weitere FAG-Aktivitäten wie digitale Archivierung, Neugestaltung der CAD-Landschaft und Werksnormenverwaltung wurden in den Masterplan aufgenommen und klar abgegrenzten Teilprojekten mit definierten Meilensteinen zugeordnet. Ein erstes Etappenziel erreichte FAG mit der Produktivsetzung des neuen, auf der Basis von SAP R/3 entwickelten Werksnormensystems im April 1999. Seither werden etwa 20 000 Normen, Arbeitsanweisungen und Richtlinien mit SAP verwaltet, geändert, freigegeben und weltweit bereitgestellt. Die ursprünglich etwa 20 verschiedenen Dokumentvorlagen und Abläufe ließen sich nach anfänglichen Widerständen auf einige wenige reduzieren.

Tipps für die Praxis

Für Prozessorganisation gibt es in jeder Unternehmensleitung einen Promoter. Finden Sie ihn, begeistern Sie ihn und halten Sie ihn mit greifbaren Resultaten bei der Stange.

Für jedes Prozessthema gibt es im Unternehmen mindestens einen, der anderer Meinung ist. Ihn zu ignorieren ist nicht zielführend. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis seine Unterstützung benötigt wird.

Jede neue Arbeitsorganisation verunsichert die Anwender. Informieren Sie sie frühzeitig und vollständig; zeigen Sie ihnen den Nutzen durch die neue Problemlösung für ihr Alltagsgeschäft.

Unter den Anwendern gibt es immer Mitarbeiter, die nach dem Motto „Das war schon immer so“ arbeiten. Werden sie übergangen, können sie die allgemeine Stimmung zum Kippen bringen.

Unternehmerische Veränderungen kommen oft schnell und unerwartet. Verbesserungen durch Prozessorientierung müssen spätestens nach drei bis sechs Monaten erkennbar sein.

Eine Reorganisation allein führt noch nicht zur Prozessorientierung. Dazu gehören mindestens auch prozessorientierte DV-Systeme und prozessorientiert denkende Mitarbeiter.

Prozessorientierung wird oft als Machtverlust im Funktionsbereich verstanden. Zeigen Sie neue Herausforderungen auf, etwa Mitarbeiterentwicklung, Aufbau horizontaler Kompetenzen und Netzwerke.

Die Einführung von Prozessorientierung ist harte Arbeit, die von den Mitarbeitern geleistet werden muss. Wälzen Sie sie nicht auf externe Berater ab, sonst verfehlen Sie Ihr Ziel.

Beteiligen Sie die betroffenen Mitarbeiter frühzeitig am Erfolg der Prozessorientierung.

Suchen Sie einen Themenkomplex wie PLM, an dem sich exemplarisch die Potenziale der Prozessorientierung verdeutlichen lassen.

Zeichnungsbestände vollständig digitalisiert

Parallel zur Einführung des neuen Systems konnten die FAG-Mitarbeiter erste Erfahrungen mit digitalen Arbeitsprozessen sammeln und an das PLM-Projektteam weiterreichen. Verbesserungen in der Systembedienung, weitere Schulungsmaßnahmen hinsichtlich der Systemnutzung und des Prozessverständnisses sowie die Vereinfachung der Workflow-gestützten Abläufe waren die Folge. Das Prinzip der Bringschuld - die betroffenen Mitarbeiter werden über alle Änderungen informiert - wurde in Richtung Holschuld verändert: Nun müssen sich die Beschäftigten aktiv im R/3-System informieren. Um einen Rückfall in papierbasierende Prozesse zu verhindern, tragen seither alle digitalen Dokumente das Wasserzeichen „Unterliegt in Papierform nicht dem Änderungsdienst“.

Die zweite Projektphase startete im August 2000 und zielte auf die Angebots- und Engineering-Prozesse. Die Angebotserfolge sollten steigen, indem sich die Angebotsphase - bei gleichzeitig erhöhter Qualität - verkürzte. Ein interdisziplinäres Team ersetzte den konventionellen Papierfluss durch ein digitales Dokumenten-Management - wiederum auf Grundlage von R/3. Dazu wurde die gesamte Prozesskette aus Anfragebearbeitung und Angebotserstellung digitalisiert und durch Workflow-Funktionen gesteuert.

Neu erstellte Produktunterlagen, beispielsweise Zeichnungen, lassen sich nun nach ihrer Freigabe in einem optischen Archiv speichern und sofort zur Verfügung stellen. Damit entspricht FAG der Nachweispflicht und den gesetzlichen Bestimmungen. Parallel wurden die gültigen Zeichnungsbestände vollständig digitalisiert und anschließend die Papierarchive aufgelöst. Großformatige Zeichnungen, die vor einem Jahr noch tagelang von Schweinfurt bis in die entlegensten Vertriebsregionen unterwegs waren, sind heute in Sekunden übermittelbar.

Doch auch in diesem Teilprojekt wurde deutlich, dass ein Unternehmen durch die Bereitstellung eines prozessorientierten IT-Systems allein noch nicht prozessorientiert wird. Die „alte“ Organisation muss sich an die digitalen Prozesse im Denken und in der Geschwindigkeit anpassen. Ein Beispiel: Wenn früher eine Offertzeichnung freigegeben wurde, so konnte durch den Faxversand immer noch geregelt werden, wer sie erhielt. Heute ist sie dank der digitalen Freigabe sofort weltweit verfügbar. Wo früher mehrere Abteilungen für Teilprozesse verantwortlich zeichneten, sind heute einzelne Mitarbeiter als Zuständige für den Gesamtprozess definiert.

Leider gab es während der Produktivsetzung der zweiten Stufe im April 2001 die üblichen unangenehmen Begleiterscheinungen: Das System stand zeitweise still, die Archivierung lief nicht ordnungsgemäß, Zeichnungen konnten dem Kunden nicht termingerecht zugestellt werden, Workflows liefen ins Nirwana. Doch anstatt wie andernorts gleich die ersten Schuldigen auszuspähen, hat FAG diese Probleme durch gemeinsame Bemühungen von Anwendern, Führungskräften und Projektteam gelöst. Inzwischen nutzen weltweit 1500 User in mehr als 30 Ländern auf vier Kontinenten die Funktionen der zweiten PLM-Stufe.

Gemäß dem ursprünglichen „Bebauungsplan“ wurden mittlerweile die dritte und die vierte Stufe des PLM-Programms gestartet. Phase drei integriert die Auftragskonstruktion mit neuen IT-Systemen in die Gesamtprozesse, im vierten Abschnitt ist der Einbezug externer Zulieferer in die FAG-internen Abläufe vorgesehen. Für die verantwortlichen FAG-Manager wird damit eine Vision zur Realität: ein System auf einer Hardwareplattform für alle FAG-Mitarbeiter rund um den Globus.

Viele Diskussionen zum Thema Prozessorientierung führen zu dem Ergebnis, die eigenen Anstrengungen in diese Richtung ließen sich besser mit neuen digitalen Technologien unterstützen. Der Einkauf denkt dabei an E-Procurement, der Vertrieb an Customer-Relationship-Management (CRM) und der Logistiker an Supply-Chain-Management (SCM). Doch am Ende setzt sich immer die Erkenntnis durch, dass alle diese Bereiche in dieselben Prozesse involviert sind und auf Daten zugreifen, die der Vorgänger im Prozess erzeugt hat und ein anderer Kollege in einem neuen Zusammenhang verwerten wird. Sobald alle das Handlungsprinzip - Informationen bereitstellen, um Informationen zu bekommen - verstanden haben, lässt sich auch das Kompetenzgerangel zwischen den verschiedenen Fraktionen vermeiden.

Zahlt sich die prozessorientierte Organisation gegenüber anderen Unternehmensstrukturen aus? Ja, falls die Geschäftsprozesse mit prozessorientierter Software untermauert werden, rechnen sich die Aufwendungen leicht. Hauptvorteil sind in jedem Fall die wesentlich schnelleren Abläufe. Auch die Qualität der Grunddaten und die Prozesstransparenz tragen dazu bei, dass am Ende alle Beteiligten vom Nutzen der Prozessorientierung überzeugt sind.