Studie der FHS St. Gallen legt nahe

Projekte scheitern am Anforderungs-Management

03.07.2008 von Karin Quack
Das Requirements Engineering muss professioneller werden, denn es ist häufig die Ursache für Projektfehlschläge, so die FHS St. Gallen.

Dem "Chaos Report" der Standish Group zufolge haben im vorletzten Jahr 46 Prozent der IT-Vorhaben zumindest teilweise nicht die Wünsche und Anforderungen der Auftraggeber erfüllt. Das dürfte zum großen Teil am mangelhaften Requirements Engineering gelegen haben, versichert Devamani Ott, Projektleiterin an der Fachhochschule (FHS) St. Gallen. Dieser Zusammenhang lasse sich auch durch eine Reihe von Studien belegen.

Besserung ist offenbar nicht in Sicht. Das belegt die brandaktuelle Umfrage des Instituts für Informations- und Prozessmanagement an der FHS. Ihr zufolge ist nur ein Viertel der insgesamt 80 befragten Unternehmen mit seinem Requirements Engineering zufrieden. Aber nur ein Drittel packt das Übel an der Wurzel.

"Es geht auch um Sprach- und Sozialkompetenz", meint Devamani Ott, Projektleiterin an der Fachhochschule St. Gallen.
Foto: FSH St. Gallen

Mit dem Begriff Requirements Engineering können selbst Business-Analysten und Projektleiter in IT und Fachbereichen oft nichts oder wenig anfangen, so Ott, unter deren Leitung die FHS-Studie lief. Auch die deutsche Übersetzung "Anforderungs-Management" habe den Umfrageteilnehmern nicht auf die Sprünge geholfen. Für alle, denen es ebenso ergeht: Requirements Engineering umfasst das Erheben, Dokumentieren, Prüfen und Verwalten der Anforderungen an IT-Lösungen (siehe auch: "Von Beschaffung zu Beratung").

Unterbewertete Disziplin

Als Voraussetzung für erfolgreiche Organisations- und Informatikprojekte sieht der FHS-Professor Rainer Endl das Anforderungs-Management.
Foto: FHS St. Gallen

Welche Rolle das Anforderungs-Management für den Projekterfolg spielt, sei längst bekannt, erinnern die Autoren der Studie. "Systematisches Requirements Engineering ist eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche Organisations- und Informatikprojekte", bestätigt Rainer Endl, Leiter des Instituts für Informations- und Prozessmanagement an der FHS St.Gallen. Trotzdem erfahre das Thema in den Unternehmen längst nicht die nötige Aufmerksamkeit, bemängelt Ott. Im Argen liege vor allem die Professionalisierung dieses Bereichs.

Zwei Drittel der Firmen nehmen das Anforderungs- Management nicht wichtig genug, so die FHS St. Gallen.
Foto: FHS St. Gallen



Nur ein Drittel der Umfrageteilnehmer beteuerte, das Requirements Engineering werde in ihrem Unternehmen aktiv angegangen, um eine höhere Lösungsqualität zu erreichen. Innerhalb der Projektpläne nimmt das Anforderungs-Management folglich auch relativ wenig Raum ein. Fast ein Drittel der Befragten (31 Prozent) wenden höchstens ein Zehntel des Projektvolumens für das Requirements Engineering auf.

Systematische Ausbildung fehlt

Weder die Ausbildung noch die gezielte Personalakquise lassen auf eine hohe Priorität des Anforderungs-Managements schließen.
Foto: FHS St. Gallen

Von den befragten Unternehmen bilden allenfalls 30 Prozent Mitarbeiter aus den IT- und Fachbereichen systematisch zu Anforderungs-Ingenieuren aus. 27 Prozent stellen Mitarbeiter ein, die diese Funktion wahrnehmen sollen. Und nur in jedem zehnten Unternehmen gibt es eine eigene Fachlaufbahn für das Requirements Engineering.

Angesiedelt sind die Anforderungs-Ingenieure oder die Mitarbeiter, die deren Aufgaben wahrnehmen, meist auf der IT-Seite. Nur in jedem dritten Unternehmen existiert diese Funktion auch in den Fachabteilungen.

Wie Ott ausführt, eignen sich weibliche Mitarbeiter besonders gut für das Requirements Engineering, weil sie dort ihre Stärken im vernetzten und komplexen Denken vorteilhaft einsetzen können: "Nachhaltige Lösungen im Requirements Engineering setzen sowohl Fach- als auch Sprach- und Sozialkompetenz voraus." Der Studie zufolge ist der Frauenanteil in dieser Disziplin allerdings genauso niedrig wie in der IT überhaupt. In jedem zweiten Unternehmen liegt er auf oder unterhalb der Zehn-Prozent-Marke.

Keine Analyse der Stakeholder

Zwei Drittel der Unternehmen nehmen das Anforderungs- Management nicht wichtig genug, so die FHS St. Gallen.
Foto: FHS St. Gallen

Oft ist aber nicht einmal klar, wer überhaupt die Anforderungen stellt. 36 Prozent der Firmen nehmen keine Auswahl und Analyse der "Stakeholder" vor. Als "Eigentümer" des Projekts sind diese aber die maßgeblichen Personen für die Formulierung der Ziele und Anforderungen. Sie müssen nicht identisch mit den Auftraggebern sein, und schon gar nicht sollten sie durch die Auftragnehmer vorgegeben werden. In 30 Prozent der Fälle finden zwar Stakeholder-Auswahl und -analyse statt, aber der Aufwand dafür beträgt nicht einmal einen Personentag.

Sinnvoll wäre es auch, in die Anforderungsanalyse die späteren Anwender einzubeziehen - über den fachlich Verantwortlichen hinaus. Das ist aber nur in 37 Prozent der Unternehmen gelebte Praxis. In weiteren 30 Prozent kommt es zumindest ab und an vor.

Erkenntnisse aus der Studie

FHS-Professor Peter Jaeschke betrachtet das Anforderungs-Management als Fortsetzung des Business-IT-Alignment.
Foto: FHS St. Gallen

Vor allem die geringe Zufriedenheitsrate von 25 Prozent belegt, dass die Befragten den Status quo ihres Anforderungs-Managements kritisch sehen. Der Handlungsbedarf ist ihnen durchaus bewusst. Sie nehmen ihn vor allem in der Erhebung funktionaler Anforderungen, der Stakeholder-Auswahl und der Kommunikation zwischen den Projektverantwortlichen wahr. So bestätigten 77 Prozent der Umfrageteilnehmer, dass der mangelhafte oder fehlende Informations- und Meinungsaustausch häufig zu Missverständnissen führe - und damit zu unkontrolliert ablaufenden Anforderungsänderungen.

Doch die Studie zeigt klar auf, dass die Konsequenzen aus dem identifizierten Handlungsbedarf noch nicht gezogen wurden. Das Requirements Engineering hat in den Unternehmen längst nicht den Stellenwert, der ihm aufgrund seiner Bedeutung zukommt, bemängelt Projektleiterin Ott. Wer die Rate der Projekte, die an den Anforderungen der Auftraggeber vorbeientwickelt werden, senken wolle, müsse das ändern (siehe auch: "Chaotische Entwicklung verschlingt Milliarden"). "Professionelles Requirements Engineering ist die konsequente Fortsetzung eines erfolgreichen Business-IT-Alignment", heißt das Fazit von Peter Jaeschke, Studienleiter Master of Advanced Studies in Business Process Engineering an der FHS St.Gallen. Eine detaillierte Auswertung der Studie ist voraussichtlich ab Anfang August zu beziehen - unter http://www.ipmsg.ch/~ipm/index.php?option=com_dfcontact&Itemid=24&lang=german.