Projekte realistisch planen

12.10.2005 von Peter Schrott
Viele IT-Vorhaben scheitern daran, dass Umfang und Kosten erst im laufenden Projekt wirklich klar werden. Methoden zur Aufwandschätzung können hier Abhilfe schaffen.

Hier lesen Sie ...

  • woran IT-Projekte in der Regel scheitern;

  • welche Methoden zur Schätzung des Projektaufwands sich bewährt haben;

  • worin die Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren liegen.

Der Druck, innerhalb kürzester Zeit mit neuen Produkten auf den Markt zu kommen, ist in vielen Branchen gestiegen. Diese Dynamisierung hat auch den Aufgaben- und Ergebnisdruck in der IT erhöht. In dienstleistungsnahen Branchen wie der Telekommunikation ist dieser Trend besonders spürbar. So erfordert die Einführung eines neuen Abrechnungs- oder Tarifmodells nicht nur viele Anpassungen an den IT-Systemen. Bisweilen gilt es, mit dem Produkt auch gleich eine komplett neue IT-Unterstützung einzuführen.

Darüber hinaus haben die meisten Unternehmen ihre IT-Budgets im Zuge laufender Kostensparmaßnahmen eingefroren oder gekürzt. In dem Bemühen, mit weniger Ressourcen deutlich höhere Anforderungen zu erfüllen, sparen die IT-Verantwortlichen unter anderem an Vorprojekten. Diese sind zwar aufwändig, doch unerlässlich, wenn des darum geht, vor allem bei Großvorhaben den Aufwand zuverlässig zu schätzen und zu planen. Daher überrascht es nicht, dass Projektverantwortliche ihre Budgets in jüngster Zeit oft drastisch überziehen.

Die Verzugsfalle

Doch nicht nur mangelnde Vorprojekte führen zu Fehlplanungen. Auch die klassische Projektabwicklung birgt Risiken: Dabei wird die entscheidende Aufwandschätzung (AWS) zu Beginn des Vorhabens durchgeführt. Das heißt: Aufwand, Zielvorstellung, Vorgehen und Zeitplan werden noch vor der Genehmigung des Projekts festgelegt - zu einem Zeitpunkt also, zu dem noch sehr wenig über dessen Inhalt bekannt ist. Die getroffenen Aussagen lassen sich dann im laufenden Projekt meist nicht mehr oder nur noch sehr schwer revidieren. Angesichts der knappen Budgets werden häufig auch die Puffer entsprechend bescheidener kalkuliert, was zu - politisch motivierten - niedrigeren Schätzzahlen und damit direkt in die "Verzugsfalle" führt.

Doch nicht nur das: Ist ein Projekt erst einmal genehmigt und angelaufen, besteht kaum noch eine Chance, es zu stoppen - selbst wenn ein gravierender Schätzfehler in der Konzeptphase erkennbar ist. Gutes Geld wird dann dem schlechten hinterhergeworfen - ein berühmtes Beispiel ist das Toll-Collect-Projekt.

Schätzmethoden im Überblick

Um IT-Projekte zu schätzen, bieten sich mehrere, üblicherweise zweistufige Methoden an. Zunächst gilt es, für den künftigen Systemumfang eine funktionale Maßzahl zu ermitteln. Diese wird dann auf Basis historischer Projekterfahrungen hochgerechnet. Daraus ergeben sich die Eckwerte des künftigen IT-Systems.

Die gängigste Ermittlungsmethode ist die "Function Point"-Methode (FP). Sie zählt die Datenbewegungen und eruiert nach den Regeln der International Function Point User Group (IFPUG) oder dem Common Measurement International Consortium (COSMIC) eine Maßzahl für den Funktionsumfang. Dabei hat das IFPUG-Verfahren eine lange Tradition in der Anwendung auf kommerzielle Systeme, während das relativ neue COSMIC-Verfahren den Anspruch erhebt, die Eigenheiten von Embedded-Systemen besser zu berücksichtigen.

Alternativ zur FP-Methode ist eine "Use Case"-Abschätzung denkbar. Sie liefert ebenfalls eine Maßzahl für den funktionalen Umfang eines künftigen Systems. Sowohl die Function Points als auch die Use-Case-Anzahl lassen sich anschließend über einen gewöhnlichen Dreisatz oder mit Hilfe von Formeln des Constructive Cost Models (COCOMO) in die zu erwartende Programmgröße umrechnen. Das kompliziertere Formelwerk COCOMO erhebt den Anspruch, bei der Berechnung die typischen Projekteinflussgrößen zu berücksichtigen. Aus der Programmgröße werden schließlich die Eckwerte "Aufwand", "Zeit" und "Teamgröße" abgeleitet.

Neben diesen methodengestützten Verfahren gibt es die "AWS"-Methode, sprich: die Expertenschätzklausur. Sie ist am weitesten verbreitet. Hier schätzen Experten den funktionalen Umfang und leiten auf der Basis ihrer persönlichen Erfahrungen die Projekteckwerte ab.

Die Schätzmethoden liefern in der Regel verlässliche Prognosen - allerdings in Abhängigkeit von der Qualität der Ausgangsbasis und der Erfahrung der Schätzer. Die sicherste Prognose ergibt sich aus einer methodengestützten Schätzung und einer parallel vorgenommenen Expertenschätzung mit einem anschließenden Vergleich beider Ergebnisse. Entscheidend für den Projekterfolg ist, dass die erste Aufwandschätzung nicht zu früh durchgeführt wird. Darüber hinaus sollte es auch im laufenden Projekt möglich sein, im kleinen Rahmen die Prognose anzupassen.

Versprechen verschieben

Muss für ein teures Großprojekt bereits zu Beginn der Gesamtaufwand inklusive Auslieferungstermin feststehen, und kommt der Auftrag "Do more with less" noch hinzu, so ist der Projektverzug nahezu programmiert. Dem lässt sich jedoch mit einer vorgeschalteten Machbarkeitsstudie in Form eines eigenständigen Vorprojekts vorbauen. Damit gelingt es, das Versprechen über Umfang und Kostenvolumen erst dann abzugeben, wenn eine geeignete Aufgabenstruktur und die technischen Tücken bereits erkennbar sind. Das hat folgende Vorteile:

Von Vorteil ist, dass auf diese Weise eine eventuell notwendige Funktionsreduzierung bereits vor dem eigentlichen Vertragsabschluss bekannt ist. Nach dem beschriebenen Prinzip gelingt es, den bisher einmaligen Schätzvorgang in zwei Schritte aufzuspalten und damit deutlich später und fundierter zu schätzen.

Zweistufig und iterativ

Für die AWS des Gesamtvorhabens empfiehlt es sich, die FP-Methode mit paralleler Expertenschätzung anzuwenden. Im weiteren Projektverlauf sollte iterativ eine vereinfachte, kleinere AWS angewendet werden, die den Aufwand je Projektphase überprüft und gegebenenfalls anpasst. Dieses vereinfachte Verfahren kombiniert die Expertenschätzung mit einer statistischen Hochrechnung und wurde bereits in vielen Projekten erfolgreich eingesetzt. Erfahrene Experten schätzen eine Projektphase und den Aufwand für die zu erbringenden Ergebnisse. Ein einfaches Tool addiert dann Prozentzuschläge für den üblichen Abstimmungsaufwand sowie weitere Einflussgrößen. Daraus ergibt sich der Prognosewert dieser Phase. Für die übrigen Projektphasen wird der Aufwand mit Hilfe anerkannter Erfahrungswerte erneut hochgerechnet.

Wird ein Projekt in überschaubaren Phasen abgewickelt und zu Beginn einer Phase die Aufwandschätzung überprüft, steigen die Chancen für einen erfolgreichen Abschluss. Werden zudem zyklische Risikobetrachtungen durchgeführt und am Ende mittels Projekt-Controlling das Ist gegen das Soll der AWS verglichen, so sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Plan auch eingehalten wird.