Mobile-App-Entwicklung

Progressive Web Apps – Hot Shit oder Developer-Spielzeug?

15.06.2018 von Maximilian Hille
Zukünftig sollen mobile Anwendungen mit viel Funktionalität und Interaktion ihren Platz im Browser haben und die Existenz der App-Stores ein wenig in Frage stellen - für Unternehmen bedeutet das mehr Interaktion und weniger Umwege zu ihren Kunden.

Nur wenige Jahre ist es her, da haben die Unternehmen noch damit gekämpft, ihren eigenen Markenauftritt fit für die mobilen Endgeräte zu machen. Im Herbst 2015 waren nur wenige der Top-500-Unternehmen mit ihren eigenen Webseiten so weit fortgeschritten, dass diese auch auf mobilen Endgeräten richtig angezeigt werden. Schnell mussten die anderen Unternehmen nachziehen und mit dedizierten mobilen oder responsiven Webseiten auch mobil für die Kunden gut sicht- und erreichbar zu sein.

Progressive Web Apps vereinigen Funktionalitäten von Web- und Native-Apps.
Foto: Shutter_M - shutterstock.com

Dieses Spiel spielen die Unternehmen und deren Marketingabteilungen seitdem immer wieder. Nach den mobilen Webseiten brauchten die Unternehmen native mobile Apps, um ihre Kunden bei der Stange zu halten. Als es davon irgendwann zu viele gab, mussten die Apps schließlich auch interaktiv und “engaging” sein, um sich abzuheben.

Ähnliches wird passieren, wenn Voice-Interfaces um Alexa und Co. einen großen Teil der täglichen Interaktion mit den Kunden übernehmen sollen.

Diese Relikte existieren auch jetzt noch, denn es gibt zahlreiche Apps in den App Stores oder auf den Smartphones der Nutzer, die einfach nicht genutzt werden. Für die Unternehmen fließen teilweise hohe Entwicklungs- und Bereitstellungskosten den Bach herunter und damit auch die Hoffnung, durch die eigene Mobility-Offensive ein strahlender Stern der innovativen Unternehmen zu werden.

Aber es gibt Hoffnung. Mit Progressive Web Apps (PWA) versprechen die Anbieter eine leichtere Handhabung der Apps und gleichzeitig hohen Funktionsumfang. Progressive Web Apps vereinigen Funktionalitäten von Web und Native Apps. Sie werden für alle Betriebssysteme einheitlich erstellt, über eine URL aufgerufen, können aber mehr Interaktion hervorbringen und native Endgeräte-Funktionen nutzen. Damit wird der Einstieg für die Nutzer wieder einfacher, die Unternehmen können eine neue Art der Mobile Digital User Experience bieten.

Progressive Hä..? Worin unterscheiden sich Progressive Web Apps von Web & Native Apps?

Schon vor den Progressive Web Apps haben die normalen Web Apps weit mehr geleistet, als nur Inhalte über das Internet anzuzeigen. Die Interaktion auf den Webseiten kam schon häufig an die User Experience einer echten App heran. So können seit einiger Zeit Videos abgespielt werden oder Artikel über Online Shops angesehen, verglichen und gekauft werden. Das alles funktioniert vor allem Dank Java, HTML5 und Co. Durch zusätzliche Tools und Frameworks können Progressive Web Apps die bisherigen Möglichkeiten noch erweitern. Dabei sind sie keine eigenständige Technologie, sondern ein Zusammenschluss vieler einzelner.

Zu den neuen Tools und Services, die diese Erweiterung erst ermöglichen, zählen maßgeblich:

Diese Tools sorgen mitsamt aller bekannten Web-Development-Technologien und Frameworks dafür, dass die Progressive Web Apps ihren Hybrid-Charakter erfolgreich ausspielen können. Charakteristisch für Progressive Web Apps sind daher folgende Merkmale:

Damit ist es tatsächlich so, dass die Progressive Web Apps sich der meisten Stärken der Alternativen Web und Native Apps bedienen können und gleichzeitig die Schwächen derselben überwinden. In Sachen Go-To-Market, Usability und User Journey, sowie im Hinblick auf die Ausnutzung der Endgeräte-Technologie haben die Progressive Web Apps klare Allrounder-Qualitäten. Lediglich die Monetarisierung der Anwendungen ist noch schwierig.

Eigenschaften von Progressive Web Apps, Web Apps und Native Apps im Überblick
Foto: Crisp Research AG 2018

Auch die Tools, Frameworks und technologische Reife könnten derzeit besser sein. Die oben beschrieben Technologien funktionieren allesamt und werden u.a. von Google durch namhafte Player vorangetrieben. Auch erste App Builder verwenden diese. Das Hauptproblem ist aber derzeit, dass Apple nur zögerlich auf den PWA-Zug aufspringt und trotz des letzten Updates in der Grundausrichtung des iOS-Betriebssystems Schwierigkeiten bestehen, das Konzept in exakt gleicher Form auch anzuwenden. Hier muss noch eine Lösung gefunden werden, bis die verbleibenden Developer wirklich unter Zugzwang stehen, ihre PWA-Expertise zu beweisen.

Treiber von Progressive Web Apps

Es zeigt sich aber, dass die Mobile App Entwicklung derzeit stark im Wandel steht. Damit wehrt sich das Business gegen die Totsagungen vieler Experten. Mit Progressive Web Apps oder auch dem Low Code-Paradigma erhalten die Unternehmen ganz neue Möglichkeiten bei der Entwicklung und Bereitstellung ihrer Apps, um günstiger, schneller und kundenfreundlicher mobile Apps anbieten zu können.

Natürlich muss auch hier im Einzelfall betrachtet werden, ob eine Progressive Web App für den jeweiligen Anwendungsfall geeignet ist. Das Monetarisierungsmodell ist derzeit noch entscheidend und über das Web nicht ganz so einfach zu realisieren wie bei einer kostenpflichtigen App im App Store. Auch braucht es für manche Web Apps nicht die Weiterentwicklung der Progressive Web Apps, da sie bspw. nicht offline oder mit weniger Interaktion genutzt werden können. Andererseits gibt es bei der Umsetzung nur wenig Limitationen. Jeder Use Case, der eine App oder Web App vonnöten macht, kann grundsätzlich auch als Progressive Web App abgebildet werden. Sweet Spots liegen derzeit vor allem gemessen an den ersten Success Stories im Bereich eCommerce, Buchungsportalen oder News Seiten bzw. Online-Zeitungen.

In welche Richtung sich diese Entwicklung zukünftig bewegen wird, determinieren derzeit vor allem eine Hand voll Browser-Anbieter. Google war hier sehr früh und hat sich als Thought Leader in diesem Bereich hervorgetan und die Grundlagen für die neuen Technologien wie Service Worker geschaffen. Auch Amazon Web Services hat in seinen Development-Services u.a. mit Amplify ganz konkret Service Workers und PWAs aufgenommen. Zahlreiche App Builder und Baukasten-Anbieter unterstützen PWAs und deren zugehörige Technologien bereits heute im Portfolio. Es wird also entscheidend sein, wie Apple die Hürden in iOS überwindet und die Caching-Prozesse und Schnittstellen geöffnet werden, um Progressive Web Apps auch dort verfügbar zu machen.

Empfehlungen für Unternehmen & Entscheider

Die Frage, die sich nun logischerweise stellt, ist, ob Progressive Web Apps ein Phänomen von Dauer oder eine Eintagsfliege sind. Die Konsequenz der Technologie-Anbieter, die ersten namhaften Success Stories und die auf technologischer Ebene eher inkrementelle Veränderung im Vergleich zur klassischen mobilen App-Entwicklung lassen wenigstens den Schluss zu, dass Aufwand und Ertrag für die Unternehmen einen positiven Saldo haben werden.

Die fehlenden Puzzleteile heißen hier vor allem Apple, Technologie-Reife und Monetarisierung. Während bei Apple und der Reife wohl eher abwarten angesagt ist, können bei der Monetarisierung neue Subscription-basierte Apps und der klassische eCommerce den App-Store-Kauf überwinden.

In der Zwischenzeit ist den Entscheidern also zu empfehlen: