So vermeiden Sie die häufigsten Fehler

Process Mining richtig einsetzen

26.10.2016 von Tobias Rother
Mit Process Mining gewinnt eine innovative Prozessanalyse-Methode immer mehr an Bedeutung. Ihr Einsatz kann zu einer deutlichen Leistungssteigerung operativer Prozesse führen. Lesen Sie, was Anwender dabei beachten sollten und welche Fehler es zu vermeiden gilt.

Process Mining Tools sind stark im Kommen. Immer mehr Process Mining Anbieter drängen auf den Markt. Mitte dieses Jahres wurde bekannt, dass sich die US-Private-Equity-Gesellschaft Accel Partners und der israelische Investor 83North Venture mit 27,5 Millionen US Dollar an dem deutschen Start-up Celonis beteiligt haben. Neue Produkte wurden von Anbietern wie SNP, Cognitive Technologies oder LANA vorgestellt. Mitte September 2016 haben ProcessGold und Magnaview einen Merger bekannt gegeben. Im November 2016 wird Signavio ein eigenes Process Mining Tool vorstellen. Arrivierte Anbieter, wie Perceptive Software, QPR oder Fluxicon, haben neue Versionen ihrer Process Mining Software vorgestellt oder angekündigt.

Process Mining ist eine Grundlagentechnologie für die Analyse von Geschäftsprozessen. Auf die in Datenbanken (zum Beispiel Process Logs von ERP-Systemen) gespeicherten prozessbezogenen Informationen, wird ein softwaregestütztes Process Reverse Engineering-Verfahren angewendet. Damit kann das in den Unternehmen in der Praxis gelebte Prozessmodell rekonstruiert und visualisiert werden. In diesem Kurzartikel stellen wir Ihnen die fünf häufigsten Fehler bei der Auswahl und Einführung von Process Mining vor und erklären, was dabei zu beachten ist:

1. Unüberlegte Toolauswahl

Häufig ist zu beobachten, dass Unternehmen Process Mining Tools anschaffen, ohne vorab im Rahmen einer Prozessanalyse zu testen, wie einfach oder schwierig sich unternehmenseigene Daten mit Process Mining Verfahren verarbeiten lassen. Dadurch werden oft Investitionen getätigt, ohne greifbaren Nutzen daraus ziehen zu können. Es ist daher zunächst zu empfehlen, eine konkrete Prozessanalyse unter Einsatz des Process Mining Verfahrens durchzuführen, um zu erkennen, ob der Einsatz von Process Mining im Unternehmen einen tatsächlichen Wertbeitrag leistet.

Bei zufriedenstellenden Ergebnissen ist anzuraten, zunächst die Anforderungen für ein Werkzeug zu analysieren und erst dann ein Tool auszuwählen. Fachbereiche in Unternehmen oder Revisions-Abteilungen, welche beispielsweise einen ihrer Geschäftsprozesse im Hinblick auf Schwachstellen und Fehler untersuchen möchten, bietet sich der Einsatz typischer Process Discovery Tools wie zum Beispiel Fluxicon Disco, Perceptive Process Mining oder QPR Process Analyzer an. Prozessmanagement-Abteilungen, welche nach Lösungen für einen automatisierten Soll-Ist-Abgleich von Prozessmodellen suchen, um Differenzen in Prozessmodellen und Prozessvarianten, ausgelassene Prozessschritte oder unnötige Zusatzarbeiten zu identifizieren, bietet sich zum Beispiel LANA Process Mining oder Signavio Process Intelligence an. Für Firmen, die ein Prozessproblem bereits als kritisch identifiziert haben und es daher für notwendig erachten, einen Geschäftsprozess permanent zu überwachen, eignen sich beispielsweise Monitoring Tools wie Celonis Process Mining, Cupenya, ProcessGold oder SAP OPINT an. Mit der Auswahl eines Process Mining Tools sollte von Beginn an die Analyse eines Geschäftsprozesses im Mittelpunkt stehen, verbunden mit dem Ziel, das im Rahmen der Analyse identifizierte Potenzial zu heben.

2. Überschätzte Tool-Frage

Immer mehr Unternehmen wollen von den Process Mining Vorteilen profitieren. Doch nicht für alle Anwender lohnt sich der Einstieg mittels eines Tools. Zunächst geht es bei Process Mining eigentlich um nichts anderes als die Analyse digitaler Geschäftsprozesse. Es geht darum zu verstehen, ob ein Problem in einem Geschäftsprozess vorliegt, dieses zu bewerten und es zu beheben. Die toolgestützte Vorgehensweise ersetzt mehr und mehr die traditionelle Prozessaufnahme mittels Interviews, Workshops, Begehungen und Aufschreibungen. Daher haben eine zunehmende Anzahl Unternehmens- und Prozessberater wie beispielsweise BDO, Fujitsu, KPMG oder Deloitte begonnen, das Process Mining-Verfahren in ihren Beratungsansatz zu integrieren.

Der Vorteil für Unternehmen ist, dass bei einem solchen Einsatz-Szenario keine Software zu lizenzieren ist. Vor allem auf Process Mining spezialisierte Dienstleister, wie beispielsweise die Process Analytics Factory, bringen Erfahrung aus vielen Projekten zum Kunden mit, nehmen ihm den häufig noch hohen Aufwand der Datenvorverarbeitung ab, sowie eine aufwändige Tool-Evaluierung und die Bewertung der Analyse-Ergebnisse. Unternehmen können vom "Process Mining as a Service" Ansatz sehr gute Diagnose-Ergebnisse in kürzester Zeit erwarten.

3. Total Cost of Ownership

Anwender unterschätzen hin und wieder, dass es mit der Investition in ein Tool nicht getan ist. Im BI-Markt gehören ETL (Extraktion, Transformation und Laden) Prozesse zu den wichtigsten und teuersten Bestandteilen einer Business Intelligence Lösung. Das gilt auch für den Einsatz von Process Mining Tools im Unternehmen - vor allem dann, wenn Software kontinuierlich oder sogar im Rahmen eines Real-Time-Szenarios genutzt werden soll. Darüber hinaus ist in den Fachbereichen der Unternehmen entsprechendes Fachpersonal auszubilden und vorzuhalten, denn die automatisch generierten Prozessmodelle und Key Performance Indikatoren müssen weitergehend analysiert, interpretiert und bewertet werden. Daher sollten Unternehmen bei Investitionen in ein Process Mining Tool zusätzlich die 2-3-fachen Kosten des reinen Software-Anschaffungspreises berücksichtigen.

4. Process Mining ist (k)ein Thema der IT

Process Mining zählt nicht zu den typischen Produktivitäts-Werkzeugen der IT Infrastruktur. Der Nutzen eines Process Mining Tools für die IT-Abteilung ist, abgesehen von dem Einsatz im Customer Help Desk Umfeld oder zur Unterstützung in Migrationsprojekten, in der Regel gering. Process Mining ist eine toolbasierte Methode für die Analyse fachlicher Geschäftsprozess und stellt damit primär ein Thema für das Prozessmanagement, die Interne Revision sowie die Fachbereiche wie Einkauf, Finanzen oder Vertrieb dar.

Während bei der Lizenzierung von Process Mining Tools der Implementierungsaufwand zunächst vor allem in der IT entsteht, so sind Nutzen und Anwender primär im Fachbereich zu finden. Zu berücksichtigen sind auch die in Unternehmen existierenden verschiedenen Sichten auf Geschäftsprozesse. Während sich das Prozessmanagement in der Regel mit den Soll-Prozessen beschäftigt, der Fachbereich die bestmögliche fachliche Prozessunterstützung benötigt, so beschäftigt sich die IT in der Regel mit den in den Systemen technisch ausgeführten Prozessen. Diese Verschiedenheit spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Anforderungen an ein Process Mining Tool wider. Bei IT-getriebenen Process Mining Investitionsentscheidungen ist daher vor allem darauf zu achten, dass der Fachbereich und das Prozessmanagement als primäre Anwender maßgeblich beteiligt werden.

5. Mit Process Mining Tools automatisch Maßnahmen ableiten?

Die Visualisierung der tatsächlich gelebten Geschäftsprozesse und wesentlichen KPIs (Key Performance Indikatoren) gehören zweifelsfrei zu den Stärken aller im Markt angebotenen Process Mining Tools. Allerdings ist die Visualisierung nur die halbe Miete, da sich die dargestellten Bilder und Zahlen nicht automatisch in konkrete Maßnahmen übersetzen lassen. Die Herausforderung beginnt im Process Mining Prozess häufig schon vor Verwendung der erzeugten Berichte: die logische Verknüpfung operativer Daten aus unterschiedlichen Quellen und deren effiziente Auswertung.

Thesen zum Business Process Manager
Veränderung von Prozessen und Rollen
Mit der Suche nach Einspar- und Verbesserungspotenzialen in Geschäftsprozssen sind neue Rollen und Verantwortlichkeiten entstanden. So benennen immer mehr Unternehmen einen Business Process Manager.
Die Rolle des Business Process Managers
Noch zeigt sich die Rolle des Business Process Managers undeutlich. Er soll beispielsweise Geschäftsprozesse optimieren oder gleich neu definieren, IT ebenso wie Business verstehen und per "Predictive Analytics" vorne auf der Digitalisierungswelle surfen.
Samantha Searle, Gartner
Samantha Searle, Research Analyst bei Gartner, stellt die Rolle eines Business Process Directors in engem Zusammenhang mit Predictive Analytics. Seine Aufgabe ist es, geschäftskritische Prozesse zu erkennen und die entsprechenden Key Performance Indikatoren (KPI) zu entwickeln.
Alexander Linden, Gartner
Alexander Linden ist Research Director aus Gartners Niederlassung in Düsseldorf. Er sieht die IT bei Searles Verständnis von BPM nicht an erster Stelle. Die wichtigsten Skills seien hier das Verständnis der Geschäftsprozesse und die Anwendung mathematisch-quantitativer Methoden. Die IT sei in vielen Unternehmen eher ein Datenmotor, der bei Datenakquisition, Rechenleistung und Deployment hilft – nicht aber bei der Identifikation der relevanten Daten und auch häufig nicht bei der eigentlichen Geschäftsprozessmodellierung.
Stefan Rohrlack, Accenture
Für Stefan Rohrlack, Director Technology beim Unternehmensberater Accenture, muss ein Prozess-Manager einerseits das Management mit validen Business Cases von Prozessinnovationen überzeugen, andererseits aber auch die geeigneten IT-Lösungen für eine erfolgreiche Umsetzung nutzen. Rohrlack erwartet, dass „einige Unternehmen hier künftig ganz bewusst auf die entsprechende IT-Kompetenz setzen“ – schon wegen der zu erwartenden Digitalisierungswelle.

Wenn es im Unternehmen an Transparenz über die in Datenbanken verwendeten Tabellen und Felder sowie die Verknüpfungslogik und Berechnungsmethodik fehlt oder IT-Systeme stark angepasst wurden, steigt der Aufwand in der Vorverarbeitung von Daten. Im Bereich der Medizin haben beispielsweise Radiologen die Rolle übernommen, qualifizierte Erstdiagnosen unter Einsatz bildgebender Verfahren zu stellen. Das Expertenwissen des Radiologen qualifiziert zur Übersetzung von Auffälligkeiten in konkrete Maßnahmen. Der Einsatz von Process Mining Methoden im Unternehmen macht den Einsatz eines "Prozessradiologen" empfehlenswert. Die Qualifikation eines Prozessradiologen lässt sich an der gesammelten Projekterfahrung mit Process Mining Tools, dem Prozesswissen und der Fähigkeit der Interpretation der Ergebnisse festmachen.

Fazit

Process Mining hat durchaus das Potenzial zum "next big thing". Die diagnostische Qualität von Process Mining Verfahren beschleunigt und erleichtert das Erkennen der Ineffizienten, Ordnungsmäßigkeit und Risiken in Geschäftsprozessen. Zudem liefern sie eine objektiv ermittelte Grundlage für die Bewertung der tatsächlichen Ist-Prozesse und Leistungsdaten. Diese neue Perspektive auf Geschäftsprozesse fehlt derzeit häufig in den Unternehmen. Und sie fehlte den Prozessberatern der Beratungshäuser über viele Jahre hinweg.

Es ist daher zu erwarten, dass die Global Fortune 1000 Unternehmen Process Mining Tools Inhouse einsetzen werden. Allerdings ist auch zu erwarten, dass die Mehrheit der Unternehmen die für Process Mining Tools notwendigen initialen und kontinuierlichen Investitionen in IT-Hardware, Software, IT-Services und dediziertes Personal, zunächst scheuen werden. Es ist ferner davon auszugehen, dass die Zukunft im Process Mining in der Nutzung der Technologie als Service liegt. Dafür sprechen kurze Ramp-up-Zeiten, eine effiziente Durchführung der Analyse und aussagekräftige Diagnosen. Vor allem aber das damit verbundene attraktive Aufwand-Nutzen-Verhältnis für die Unternehmen. (ba)