Vorausschauendes Analytics-System bei der DB

Predictive Maintenance spart Geld

16.06.2015 von Karin Quack
Das Aha-Erlebnis lieferte Union Pacific. Dort arbeitet man seit vielen Jahren daran, die Wartung der Lokomotiven zu optimieren. Eigenen Angaben zufolge spart das US-Unternehmen so 100 Millionen Dollar pro Jahr. Das können wir doch auch, dachte sich die Deutsche Bahn und beauftragte DB Systel mit einer Praxisstudie.

Momentan sind es vor allem die Hersteller von Aufzugsystemen, die mit den Vorzügen einer Predictive Maintenance hausieren gehen. Aber das Thema betrifft im Prinzip alle Maschinenbauer beziehungsweise -betreiber. Wer drohendes Fehlverhalten oder gar Systemausfälle anhand von Verhaltensmustern vorhersagen kann, erspart sich viel Aufwand: nicht nur die mit einem Maschinenschaden verbundenen Folgekosten, sondern auch unnötige Wartungsprozesse.

Das haben mittlerweile auch die Bahnbetriebe erkannt. Seit 2013 macht sich die Deutsche Bahn - insbesondere der mit dem Gütertransport befasste Geschäftsbereich DB Schenker Rail - Gedanken, wie sich die Wartung von Lokomotiven mit Hilfe von datenbasierenden Vorhersagen ("Predictive Analytics") effizienter gestalten ließe. Davon berichtete Ingo Schwarzer, Chief Technology Officer (CTO) beim internen IT-Dienstleister der Deutschen Bahn, DB Systel, auf dem diesjährigen "CIO & IT Executive Summit", zu dem das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner kürzlich nach München eingeladen hatte.

Von der Statistik zur Vorhersage

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Die vier Stufen der Datenanalytik nach DB Systel

1. Die einfachste Form der Analyse ist die reine Statistik. Hier werden die gängigen Kennzahlen erfasst und gemäß ihrer Häufigkeit grafisch dargestellt. Die Aussagekraft dieser Information ist begrenzt.

2. Deutlich mehr Informationen lassen sich durch das Einführen zusätzlicher Dimensionen gewinnen. Hierbei handelt es sich um klassische Data-Warehouse-Technik (Online Analytic Processing = OLAP).

3. Mit dem Tracking von bestimmten Daten, beispielsweise über das Web, gewinnen Informationen eine neue Qualität: Sie lassen sich in eine zeitliche Abfolge bringen beziehungsweise in einen räumlichen Zusammenhang stellen.

4. Den höchsten Erkenntniswert liefert jedoch die vorausschauende Analyse ("Predictive Analytics"). Hier wird das künftige Verhalten von Systemen anhand von Modellen prognostiziert, die sich aus historischen Verhaltensdaten speisen.

Innovationsprojekt ohne RoI-Zwang

Wenn ein Güterzug ausfällt, kann das leicht Hunderttausende von Euro kosten. Und auch wenn eine einwandfrei funktionierende Lok wegen einer unnötigen Wartung stillsteht, geht dem Logistikunternehmen Umsatz verloren. Wie Schwarzer anmerkte, gelang es dem in derselben Branche wie DB Schenker tätigen US-Unternehmen Union Pacific, durch eine datengestützte Wartungsoptimierung rund 100 Millionen Dollar pro Jahr einzusparen.

Das muss die DB-Schenker-Führung beeindruckt haben. Jedenfalls rief sie vor zwei Jahren das Innovationsprojekt "Smart Freight Asset" ins Leben. Das Vorhaben wurde als Workshop im Rahmen der DB-eigenen Innovationsinitiative "MovingIDEAS" behandelt und musste damit keinen Business Case oder Return on Investment (RoI) nachweisen. Wie jedes Innovationsprojekt bei der Deutschen Bank war es kurz - es dauerte etwa sieben Wochen - und endete mit einem "Showcase", also einem vorzeigbaren Ergebnis. Die Projektleitung übernahm das Innovations-Management von DB Systel.

Die Ausgangsfrage lautete: Wie können wir aus den vorliegenden Bestandsdaten einen Mehrwert generieren? Und im zweiten Schritt: Welche Daten brauchen wir darüber hinaus, um verlässliche Aussagen über das künftige Verhalten eines Maschinentyps zu treffen?

Zielarchitektur für Sensordaten

Um die Antworten zu verfeinern, nahm DB Systel 2014 weitere Predictive-Analytics-Projekte in Angriff, darunter "TecLok" für DB Schenker Rail. Dessen Business-Ziel formulierte Schwarzer so: "Wir wollten ein Predictive-Analytics-Modell aus Diagnose- und Zusatzdaten entwickeln, das eine bessere Maintenance der Loks ermöglicht."

Damit verbunden war das technische Ziel, eine Zielarchitektur zur Verarbeitung von Sensordaten zu skizzieren. Sie musste mit der in einer Vorstudie erstellten Gesamtarchitektur korrelieren. Zentraler Bestandteil der Zielarchitektur war ein prototypischer Massendatenspeicher mit Anbindung an das DataLab. Wie Schwarzer verriet, sind die von DB Schenker Rail genutzten Güterzug-Loks bereits mit rund 300 Sensoren ausrerüstet, von denen sich derzeit 60 "abgreifen" ließen.

Die Hierarchie der Wartungstypen

Und was lässt sich mit diesen Daten anstellen? Um zu verdeutlichen, welche Möglichkeiten eine intelligente Nutzung von Sensortechnik und Analytics-Werkzeugen bietetet, umriss Schwarzer kurz die vier Reifegrade der Instandhaltungs- und Reparaturservices:

1. Die einfachste -und risikoreichste - Form ist die "Reactive Maintenance": Eine Störungmeldung geht ein, wird aufgenommen (Was ist wo passiert? Wer ist betroffen?) und schließlich abgearbeitet.

2. In der "Preventive Maintenance" gibt es festgelegte Wartungsintervalle. Wenn es zwischendurch einmal knallt, geht das ins Geld - vom Imageschaden ganz zu schweigen. Deshalb gilt es, die Servicezyklen so zu wählen, dass Wartungskosten und Schadenswahrscheinlichkeit ein möglichst günstiges Verhältnis bilden.

3. Um dieses Verhältnis zu optimieren, hilft "Predictive Maintenance". Sie nutzt die mit Hilfe von Sensoren oder anderen Datenerfassungsgeräten gesammelten Verhaltensdaten der Maschinen eines bestimmten Typs, um folgende Frage zu beantworten: Welche Systeme sollten mit welcher Dringlichkeit gewartet beziehungsweise ersetzt werden, weil sie sonst innerhalb des nächsten Wartungszyklus ausfallen würden?

4. "Aber wo wir eigentlich hinwollen, ist die Maintenance Optimization", so Schwarzer. Sie geht noch einen Schritt weiter, ermittelt beispielsweise im Fall konkurrierender Störungsmeldungen, welche zuerst bearbeitet werden soll, weil die möglichen Folgen schwerer wiegen als die der anderen. Wie der Begriff schon sagt, hilft ein System der Maintenance Optimization dem Unternehmen, seine Wartungsstrategie immer weiter zu verbessern. Auf dieser Basis lassen sich auch Ausnahmesituationen leichter planen.

So weit ist die Deutsche Bahn noch längst nicht. Aber im Prinzip lässt sich das Ziel wohl erreichen, wie die Innovationsprojekte unter der Leitung von DB Systel belegt haben. Gesamt- und Referenzarchitektur sind definiert. Die Sensordaten lassen sich zu verarbeitbaren Daten konvertieren, mit Zusatzdaten anreichern und zu sinnvollen Ergebnissen verdichten. Letzteres wurde in einem Workshop anhand dreier Szenarien von DB Schenker Rail durchgespielt. Die verfügbaren Sensordaten aus den vergangenen zehn Jahren bekommt die Bahn vom Lok-Hersteller geliefert. Im Gegenzug werden die Ergebnisse an ihn zurückgespiegelt. Eine Herausforderung sei die Big-Data-Plattform, warnt Schwarzer: "So etwas kann man nicht von der Stange kaufen." Deshalb musste DB Systel sie selbst bauen - auf Basis des Open-Source-Frameworks Hadoop.

DB Systel baut für die Deutsche Bahn ein vorausschauendes Analytics-System, mit dem die Wartung der Lokomotiven optimiert werden soll. Daten und Partner richtig zu integrieren und zu koordinieren war die größte Herausforderung in dem Innovationsprojekt.
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Erfolgsfaktor: Unstrukturiert arbeiten

Eine Projekterschwernis war darüber hinaus die Vielzahl der Partner, die koordiniert werden mussten, verriet der DB-Systel-CTO. Zudem sei es für einige Beteiligte schwierig gewesen, Auffassungen und Verhaltensweisen über Bord zu werfen. Alles, was ein traditionelles Großprojekt ausmache, müsse hier hintanstehen: "RoI - vergessen Sie`s. Business Case - viel zu früh!" Es habe auch keine strukturierten Projektberichte gegeben: "Stattdessen haben wir miteinander geredet."

Beim ersten Projekt habe sogar der Leiter ausgetauscht werden müssen, weil er nicht in der Lage gewesen sei, unstrukturiert zu arbeiten, merkte Schwarzer an: "Sie müssen einfach Spielräume schaffen und mit einer Living Agenda leben können."