Praxistest: Nokia 8800 Sirocco Edition

02.04.2007

Lieferumfang / Verarbeitung

Wenn Nokia seine Business-Handys aufwertet, bekommen sie ein schlichtes "i" angehängt. So etwas Profanes gebührt einem Premium-Handy natürlich nicht: Das Rundum-Facelift des 8800 trägt vielmehr den bedeutungsschwangeren Zusatz "Sirocco Edition". Diesen Namen erhielt der Nobelfunker in Anlehnung an den heißen Wüstenwind Schirokko, der entsteht, wenn warme, trockene Luftmassen aus der Sahara auf die kühleren, feuchten Luftströme des Mittelmeers treffen. Respekt: Solche Tiefgründigkeit findet man im eher nüchternen TK-Geschäft äußerst selten. Und es geht sogar noch weiter mit der naturellen Inspiration, denn von der Sirocco Edition gibt es zwei Varianten: die helle Silber-Version symbolisiert die heiße, trockene Luft der Wüste, während die schwarze Edition die kühlere, feuchte Luft des Meeres repräsentiert. Doch welchen Einfluss hat der Beiname aufs eigentliche Design? Kenner des 8800 dürften beim Anblick des Wüstenwindes erstmals denken, "Hoppla, hat jemand das gute Stück mit voller Wucht gegen eine Zentralheizung geworfen?!" Grund ist die auffällige Delle unterhalb des Displays. Diese daumengroße Vertiefung mag zwar im ersten Augenblick etwas befremdlich sein, doch um die Oberschale per Slidermechanik nach oben zu schieben, ist diese Delle ungemein hilfreich. Jedenfalls leidet das kompromisslos auf Eleganz getrimmte Designkonzept durch das neue optische Merkmal nicht.

Ein dicker Pluspunkt - und auch der Hauptgrund für den horrenden Preis von über 800 Euro - ist die luxuriöse Materialschlacht des 8800. Auch die Sirocco Edition wird komplett von poliertem rostfreien Edelstahl umhüllt. Das Display liegt ferner hinter einer kratzfesten Saphirbeschichtung und das Kugellager für den Öffnungsmechanismus stammt von einem Herstellers für Hochleistungsfahrzeuge - das sind Fertigungsmethoden, die man sonst nur aus den Datenblättern von Vertu-Handys kennt. Das Resultat überzeugt: Der Slider liegt mit majestätischer Schwere in der Hand und strotzt nur so vor Robustheit. Begriffe wie "Knarzen" oder "Wackelig" gehören nicht zum Vokabular der 8800-Designsprache. Die Tastatur liefert den zweiten kosmetischen Eingriff ins Design des ursprünglichen 8800 zutage, und wurde völlig neu gestaltet. Die Knöpfe sind nunmehr silbergrau ausgeführt und bieten eine größere Trefferfläche sowie einen noch satteren Druckpunkt.

Beim Display hat sich hingegen nichts getan: Nach wie vor werden auf einer Fläche von neun Quadratzentimetern bei 208x208 Pixeln Auflösung bis zu 262.144 Farben dargestellt. Dem Fashionanspruch gerecht werden die Brillanz und Farbklarheit des TFT-Bildschirms, der unter seiner kratzfesten Mineralglasscheibe perfekt vor Staub und Kratzern abgeschirmt wird. Stimmige Bildschirmthemes in seidig-dunklen Pastellfarben unterstreichen Glanz und Glamour des Mobiltelefons. Nach einem Blick auf den Verpackungsinhalt mildert sich der durch den hohen Preis zwangsläufig mitschwingende Beigeschmack deutlich ab: das 8800 Sirocco Edition wird von einem schicken Lederetui, einem edlen grauweißen Stereo-Headset, zwei gleich starken Akkus und einer professionell verarbeiteten und ansprechend gestalteten Dockingstation begleitet. Die Ladestation lädt das Handy und den Zweitakku parallel auf - da hat jemand mitgedacht! Unverständlich nur, dass angesichts des Preises kein Datenkabel zum Lieferumfang gehört. Größeren Anteil am hohen Einführungspreis dürfte auch das perfekt aufs Handy abgestimmte Bluetooth-Headset haben, das im dekorativ-schwarzen Karton ganz oben liegen darf.

Ausstattung

Das Facelifting bedingte auch Veränderungen an den Business- und den Multimedia-Funktionen des Geräts. Bleiben wir zunächst beim Letztgenannten: Mit der Sirocco Edition gehört die 0,5-Megapixel-Kamera des Vorgängermodells endgültig ins Kuriositätenkabinett. Dieser Nobelfunker schießt seine Schnappschüsse nunmehr mit zeitgemäßen 2 Millionen Pixeln Auflösung - und das gar nicht einmal so schlecht. Zwar wird der "Fotomat" nicht durch ein LED-Licht sekundiert, dennoch können sich die fotografischen Ergebnisse dank einer guten Lichtempfindlichkeit durchaus sehen lassen. Was allerdings mal wieder stört, ist der kühle Blaustich, der sich bei fast allen Digitalfotos negativ in den Vordergrund spielt. Das Drumherum ist der typische Standard: Nachtmodus, mehrere Effekte (z.B. Graustufen oder Sepia), diverse Weißabgleich-Modi sowie ein mehrstufiger Digitalzoom. Im Video-Modus steht hingegen leider nur die Minimal-Auflösung von 176 x 144 Pixel zur Verfügung. Für Musikfans gibt es neben einem solide ausgestatteten Musik-Player mit Support für MP3- und AAC-Files noch ein UKW-Radio samt VisualRadio-Client, das unterm Strich eher zur beiläufigen Alltagsbegleitung taugt: der Kurzwellenempfang übers Kabelheadset ist eher mäßig und auch der Klang nicht gerade berauschend.

Richtig luxuriös geht es dafür in der Rubik "Spiele" zu. Nicht weniger als fünf hochkarätige Java-Games sorgen für Kurzweil. Der Zocker hat die Wahl zwischen dem Geschicklichkeitsklassiker Snake III in 3D-Optik, der Sportsimulation Golf Tour, dem Bleifuß-Epos Rally 3D, einer Schachsimulation mit Multiplayer Bluetooth-Unterstützung sowie dem recht komplexen Strategiespiel Armored Forces.

Globetrottende Geschäftsmänner, die mit Sicherheit zur primären Kundschaft seiner stählernen Majestät zählen, können das Schmuckstück vorzeigen, ohne sich verteidigen zu müssen, dass das 8800 nur ein reiner Blender sei. Organisiert wird der Slider durch eine spezielle "Premium"-Benutzeroberfläche des Series40-Systems, das auch bei Nokias 6131 oder 6280 zum Einsatz kommt. Die alltäglichen Vorteile dieses Betriebssystems sind so bekannt wie beliebt: Hohe Flexibilität bei der Kontakt- und Kalenderverwaltung sowie ein komfortabler Datenabgleich über Nokias PC Suite mit dem heimischen Rechner beherrscht das 8800 aus dem Effeff. Dabei kennt das Telefon natürlich auch zeitgemäße Features wie animierte Anruferbilder oder einen Email-Client, der sich auf dem vergleichsweise kleinen Display allerdings als nicht sonderlich praktikabel erweist.

Neben den obligatorischen Organizerfunktionen steckt Nokia alle Programme in die 8800 Sirocco Edition, die nützlich oder wichtig erscheinen. Angefangen bei einem Kalender mit Terminerinnerung, Wochen- und Monatsansichten, über einen flexiblen Maßeinheiten-/Währungsumrechner und einer Weltzeituhr bis hin zur Stoppuhr, ist alles an Bord. Auch beim Speicherplatz haben die Macher eine Schippe draufgepackt. Das 8800 S.E. bekommt erst ab Datenmengen von über 100 MB Verdauungsprobleme. Abgesehen davon lassen sich bis zu 1000 Kontakte und 200 Kurzmitteilungen im Gerät speichern. Apropos Kontakte: jedem Eintrag können nicht weniger als 18 verschiedene Merkmale - darunter auch Postadressen und Geburtstage - zugeordnet werden. Ein Wechselspeicher veredelt das Speicher-Repertoire hingegen nicht, so dass man kaum mehr als zweieinhalb Alben Musik in durchschnittlicher Qualität auf dem Telefon mit sich führen kann.

Praxistest: Nokia 8800 Sirocco Edition
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Bei den Datenschnittstellen wird ebenfalls gehobener Standard geboten. Neben den üblichen Verdächtigen (GPRS Klasse 10 und USB-Verbindungen über ein optionales Datenkabel) wandern die Daten auf Wunsch auch per HSCSD (max. 3 download/ max. 2 upload) oder Bluetooth kabellos zu anderen Endgeräten. Die Bluetooth-Schnittstelle beherrscht dank A2DP- und SIM Access Profil sogar den Stereoton respektive die kabellose Adressbuch-Organisation im Auto. Eine ordentliche Freisprecheinrichtung, Sprachwahl/Sprachsteuerung sowie ein Diktiergerät komplettieren das unterm Strich nahezu lückenlose Komfortpaket.

Telefonfunktionen / Ausdauer

Das überarbeitete Tastaturlayout erarbeitet sich mit weich-knackigen Druckpunkten Pluspunkte in der Handhabung. Für Menschen größerer Bauart bleiben die Knöpfe dennoch eine Spur zu klein. Vor allem bei der unteren Tastenreihe, die nahe am Slidergehäuse angrenzt, hat man seine Mühe, alle Tasten präzise zu treffen. Noch schlimmer ist es um das 4-Wege-Steuerkreuz bestellt: Da es sehr nahe am Schieber anliegt, fällt es einem schwer, es nach oben zu drücken, ohne dabei aus Versehen eine Menüebene tiefer zu rutschen.

Praxistest: Nokia 8800 Sirocco Edition
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Die Sprachqualität hat sich gegenüber dem Vorgängermodell merklich gesteigert. Vor allem bei Telefonaten ins Festnetz kommen Stimmen angenehm klar und nahezu frei von jeglichen Nebengeräuschen rüber, und zwar in beide Senderichtungen. Bei Gesprächen in andere Mobilfunknetze mischt sich hingegen ein leicht metallischer Klang unter die Stimmen. Einziger Kritikpunkt: bei stärkeren Nebengeräuschen hätten wir uns gewünscht, dass das Sprachsignal noch ein Fünkchen lauter aus dem kopfseitigen Speaker schallen könnte. Tröstlich, dass die Akkuleistung längere Ausdauer verspricht. Waren beim Vorgängermodell maximal drei Tage drin, packt die Sirocco Edition nochmals ein Tag Rufbereitschaft drauf, wenn man ein moderates Nutzungsverhalten an den Tag legt. Wer viel redet oder vorzugsweise die Bluetooth-Freisprechfunktionen nutzt, profitiert vom mitgelieferten Ersatzakku. Nach wie vor ein düsteres Thema ist der Bereich Empfangsleistung. Vermutlich bedingt durch die dicke Metallschalung, wählt sich das 8800 S.E. wie sein Vorgänger nicht mit hundertprozentig garantiertem Erfolg beim nächsten Antennenmast ein.

Fazit

Wem ein Cayenne viel zu teuer und eine Rolex viel zu protzig ist, findet mit dem Nokia 8800 ein perfektes, gerade noch erschwingliches Statussymbol, das man nicht nur herumzeigen kann, sondern das auch noch zeitgemäß ausgestattet ist. Prestige ist für die anvisierte Zielgruppe sicherlich wichtiger als kleinere technische Unzulänglichkeiten der Digitalkamera oder Schwächen in der Handhabung, die von der bisweilen verschwenderischen Nutzung des knappen Platzangebots auf dem Display herrührt. Und da Besitzer dieses Modells ohnehin eher in belebten Innenstädten anzutreffen sein werden, dürfte sich auch die mäßige Empfangsleistung verschmerzen lassen. Ganz abgesehen von dem Prestige-Gewinn profitiert man als 8800-Nutzer von der Robustheit des Geräts, die die Qualität der Serienmodelle aller anderen Markenhersteller deutlich übertrifft.

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