Worauf Anwender bei der Systemauswahl achten sollten

PPS-Systeme auf dem Prüfstand

11.09.2003 von von Carsten
Zwischen der Planung mit betriebswirtschaftlicher Standardsoftware und dem tatsächlichen Geschehen in der Produktionshalle bestehen oft große Differenzen. Während die Anbieter gern so tun, als seien Funktionen für Produktionsplanung und -steuerung (PPS) ähnlich standardisiert wie die Textverarbeitung, liefert ein Vergleich unter Praxisbedingungen ein anderes Bild.

ANWENDER, die heute in Software für die Produktionsplanung und -steuerung investieren, wollen wissen, was sie für ihr Geld bekommen. Dazu ist es erforderlich, die in Frage kommenden Lösungen genau unter die Lupe zu nehmen und zu vergleichen. Der Software-Prüfstand, den das Aachener Beratungshaus Trovarit gemeinsam mit dem Forschungsinstitut für Rationalisierung an der RWTH Aachen entwickelt hat, liefert mit seinen Ergebnissen erste Hinweise für die Softwareauswahl. Denn hier müssen die teilnehmenden Hersteller die Leistung ihrer Software anhand einer konkreten, für alle gleichen Aufgabenstellung beweisen. „Da sieht man dann, wo die Unterschiede im Detail liegen", sagt beispielsweise Christian Berner, der bei der Berg Spanntechnik GmbH in Bielefeld für das Thema PPS verantwortlich ist. Er hat sich beim Software-Prüfstand auf der CeBIT 2003 davon überzeugt, was die PPS-Systeme von Update, Psipenta, Proalpha, Steeb, Mapics, Infor und IFS zu bieten haben. Auch Christian Rauch hat den Softwaretest beobachtet. Er ist stellvertretender Projektleiter PPS System bei der Robert Seuffer GmbH in Calw, die auftragsbezogen elektronische und mechanische Schalttechnik produziert. Für ihn standen weniger die konkreten Lösungen als das Auswahlverfahren im Vordergrund. „Sehr gut gefallen hat mir der Testfahrplan. Dadurch, dass jedes System mit den gleichen Anforderungen klarkommen musste, wurden die Produkte vergleichbar." Am besten abgeschnitten hat dabei aus seiner Sicht Infor, doch eine konkrete Entscheidung für das weitere Vorgehen ist damit nicht verknüpft.

Im Mittelpunkt der zu lösenden Aufgabe stand der Prozess der Anfragenbearbeitung - von der Kundenanfrage über die Angebotserstellung inklusive Lieferterminermittlung bis hin zum Beginn des eigentlichen Fertigungsprozesses nach Auftragseingang. In der betrieblichen Praxis sind in diesem Ablauf Auftragsverlustquoten von mehr als 50 Prozent keine Seltenheit. Das heißt: In der Hälfte der Fälle wird mit dem Prozess kein Umsatz generiert. Die Reduzierung des Bearbeitungsaufwandes bei den genannten Arbeitsschritten ist daher erfolgskritisch.

Insgesamt sieben Softwareanbieter stellten sich dieser Herausforderung und ließen den Leistungsumfang ihrer ERP/PPS-Lösung von interessierten Anwendern unter die Lupe nehmen. Dabei zeigte sich: Die Funktionsbereiche Variantenkonfiguration, Lieferterminermittlung und Durchgängigkeit gepflegter Auftragsdaten decken die getesteten Systeme ganz unterschiedlich ab. Eins war ihnen jedoch gemeinsam: Alle getesteten Softwareprodukte erfüllen die gestellten Anforderungen deutlich besser als der Durchschnitt der mehr als 100 PPS-Systeme, die Trovarit bislang untersucht hat.

Das gilt auch für die Variantenkonfiguration. Je nach Funktionalität lassen sich damit Kundenanfragen erheblich effizienter bearbeiten. Technisch abgesicherte Konfigurationen können direkt in exakte Baubeschreibungen auf Stücklistenebene umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist eine komfortable Definition der Variantenlogik (findet sich etwa bei Update und Steeb) sowohl für einfache logische („und", „oder", „größer/kleiner" etc.) als auch für komplexe arithmetische Verknüpfungen wie Festigkeitsberechnungen.

Unterschiede im Detail

Diese Regeln bilden zudem die Grundlage der Plausibilitätsprüfung. Sie verhindert die Auswahl technisch unmöglicher Merkmalskombinationen einer Variante und reduziert den Kommunikationsaufwand bei der Angebotserstellung. Die direkte Visualisierung des konfigurierten Produkts im Sinne einer Vorschau - etwa bei Steeb - ist eine hilfreiche Funktion, wenn der potenzielle Kunde im Verkaufsgespräch gleich sehen will, was er bekommt.

Unterschiede bei der Variantenkonfiguration offenbarte der Software-Prüfstand im Detail: so etwa bei der Darstellung der konfigurierten Erzeugnisse oder der Simulation, mit der sich verschiedene Varianten hinsichtlich alternativer Bauteile, Arbeitsverfahren oder Kosten vergleichen lassen. Auch Anwender Berner konnte entscheidungsrelevante Unterschiede zwischen den Systemen ausmachen: „Die Stücklistenstrukturen weichen teilweise erheblich voneinander ab, obwohl das im Marketing der Hersteller meistens anders dargestellt wird."

Berner arbeitet derzeit mit einem System auf Basis der Infoplan- Software „Indus", die mittlerweile nicht mehr am Markt ist. Obwohl bereits 15 Jahre alt, biete diese Anwendung einige viel genutzte Funktionen, die er bei modernen Lösungen vergebens suche, so Berner. Für das Tagesgeschäft der Berg Spanntechnik, die mit 100 Beschäftigten Spannsysteme für die Industrie in Kleinserien- und Einzelfertigung herstellt, seien diese Funktionen jedoch wichtiger als schöne Bilder in Präsentationen und Marketing- Broschüren. Insbesondere in das Zusammenspiel zwischen Varianten- Management und Stücklistenorganisation habe man in der Vergangenheit viel investiert und wolle hier auf keinen Fall nochmal von vorne anfangen. Deshalb wird Berner sich seine derzeitigen Top-Kandidaten Proalpha, Infor und PSI für die bevorstehende Ablösung des Altsystems auf jeden Fall noch detailliert in Workshops auf die Eignung für spezielle Unternehmensbelange anschauen und auch eine Testinstallation vornehmen.

Liefertermine planen

Ein ähnliches Bild bot sich bei der Lieferterminplanung. Die frühzeitige Lieferterminvalidierung konnten alle geprüften Systeme sicherstellen - auch unter Berücksichtigung der internen Material- und Kapazitätsverfügbarkeit zur Überprüfung zugesagter oder gewünschter Liefertermine. Durch die zusätzliche Berücksichtigung von Bestands- und Kapazitätsinformationen externer Zulieferer im Sinne einer standortübergreifenden Multi-Site-Planung (etwa bei Psipenta, Proalpha und IFS) lässt sich die Planungssicherheit weiter erhöhen. Für den Fall, dass der gewünschte Liefertermin nicht einzuhalten ist, müssen Bedarfs- und Kapazitätssituation aufeinander abgestimmt werden. Hierfür liefern simulationsgestützte Planungshilfsmittel (Advanced Planning and Scheduling - APS) Unterstützung, denn sie ermöglichen das Durchspielen problembezogener „Was-wäre-wenn"-Szenarien. Hier können beispielsweise Mapics und Psipenta punkten. Zwischenergebnis: Auch im Bereich der Lieferterminplanung und -abstimmung schneiden alle Teilnehmer des ERP/PPS-Prüfstandes besser als der Marktdurchschnitt ab. Allerdings erfüllt keines der Systeme die Anforderungen zu 100 Prozent. Die besten Werte lagen zwischen 92 und 81 Prozent.

Daten durchgängig bearbeiten

Mit der Durchgängigkeit der Daten in der Auftragsabwicklung steht und fällt die erfolgreiche Fertigungsplanung und -steuerung. Bereits bei der Anfragenerfassung werden wichtige Auftragsinformationen im ERP-System gepflegt. Besondere Bemerkungen über Qualitätsanforderungen, Versand- oder Verpackungsvorschriften können dann im Rahmen der Preis- und Terminermittlung berücksichtigt werden. Das Hinterlegen der Auftragswahrscheinlichkeit bildet zudem die Grundlage einer frühzeitigen Reservierung von Kapazitäten für den Auftragsfall.

Ein weiteres Merkmal der integrierten Auftragsabwicklung ist die Ableitung von Stücklisten und Arbeitsplänen aus der oben beschriebenen Variantenkonfiguration. Diese dienen als Basis für die anschließende Preis- und Lieferterminermittlung. So wird beispielsweise direkt im Anschluss an die Konfiguration der aktuelle Produktpreis angezeigt. Das System überprüft dabei gleichzeitig die Aktualität der verwendeten Stammdaten und warnt nötigenfalls vor älteren Preis- und Beschaffungsinformationen. Nach erfolgreicher Lieferterminplanung und -abstimmung kann bei durchgängiger Datenbasis anschließend das Angebot für den Kunden erstellt und im Auftragsfall die Produktgrobstruktur an die Fertigungsplanung übergeben werden.

Zentrale Anforderungen erfüllt

Alle vorgestellten Systeme erfüllten diese zentralen Anforderungen der durchgängigen Weiterverwendung von konfigurierten Erzeugnisdaten bis hin zu disponierbaren Arbeitsplänen und Stücklisten zu 83 bis 96 Prozent. Der Software- Prüfstand zeigte insgesamt, dass nicht zuletzt mittelständische Softwareanbieter in der Lage sind, anspruchsvolle Aufgabenstellungen zügig aufzugreifen und in ihren Lösungen umzusetzen. Alle teilnehmenden Anbieter konnten die vorgegebenen Aufgabenstellungen weitestgehend lösen, wobei allerdings in Detailbereichen funktionale Unterschiede zu erkennen waren.

Darüber hinaus lässt sich jenseits der fokussierten Betrachtungsweise im Rahmen des Software- Prüfstandes eine ganze Reihe von Kriterien identifizieren, die derzeit bei ERP/PPS-Systemen nicht selbstverständlich sind. So weisen beispielsweise nach wie vor mehr als zwei Drittel aller am Markt angebotenen Softwarelösungen Schwächen auf, wenn es um die komfortable Ermittlung von Lieferterminen unter Berücksichtigung von Terminauswirkungen auf andere Aufträge geht

Deutliche Defizite

Im gleichen Zusammenhang unterstützen nur etwa 30 Prozent der Systeme das Umplanen von Arbeitsgängen innerhalb eines vorgegebenen zeitlichen Fensters (zur Einhaltung eines fest zugesagten Liefertermins). Wenn es um Verwaltung und Vergleich mehrerer Simulationsvarianten geht, bieten sogar mehr als 80 Prozent der über 100 von Trovarit analysierten ERP/PPS-Anbieter dort keine entsprechende Unterstützung.