Personaler: Strategen in der Dauerkrise

23.05.2005 von Winfried Gertz
Der Erfolg von Unternehmen hängt von ihren Mitarbeitern ab. Um besser als ihre Konkurrenz zu sein, müssen Firmen talantierte Arbeitskräfte finden und sie langfristig an sich binden.

Hier lesen Sie ...

  • wie es gelingt, Mitarbeiter auch in unsicheren Zeiten für neue Ziele zu begeistern

  • was Personaler bei Reuters, Yahoo und Nokia zum Krisen-Management beitrugen;

  • auf welches Unternehmen 98 Prozent der Mitarbeiter stolz sind

Die Anforderungen an Personaler steigen. Von ihnen wird erwartet, dass sie entscheidend zur Existenzsicherung ihrer Unternehmen beitragen. Nur wenn Firmen es schaffen, sich im Wettbewerb um Talente von der Konkurrenz abzusetzen, sind sie auf der sicheren Seite. So zumindest lautete die Botschaft der „Global People Conference“, die das Management Centre Europe (MCE) Ende April auf Rhodos ausrichtete. Aus aller Welt waren etwa 400 Teilnehmer angereist, darunter viele aus den boomenden asiatischen Ländern.

Die Zeiten, in denen Personaler sich auf ruhige Verwaltungsarbeit konzentrieren konnten, sind angesichts der Globalisierung vorbei.Ein Beispiel dafür ist das IT-Offshoring in den USA. Der Politikwissenschaftler Ron Hira, Professor am Rochester Institute of Technology, schilderte, wie mittlerweile auch qualifizierte Jobs ohne Aussicht auf Rückkehr oder adäquaten Ersatz ins Ausland exportiert werden. „Laut dem Beratungsunternehmen McKinsey können US-Firmen für jeden offshore investierten Dollar zwölf bis 14 Cent Nettogewinn einstreichen“, so Hira. „Ausbaden müssen das Elektroingenieure und IT-Spezialisten, die ohne Aussicht auf eine alternative Beschäftigung entlassen werden.“

Forschung und Entwicklung werden in den USA im großen Stil ausgelagert

Bereits zweimal referierte der Wissenschaftler über die bedrohliche Lage vor dem Kongress - ohne Resonanz. Er regt zum Beispiel an, die Vergabe von Arbeitsvisa zu erschweren. „70 Prozent vom Umsatz der in den USA tätigen indischen IT-Dienstleister wie Infosys oder Wipro sind unmittelbar auf die Arbeit ihrer Landsleute vor Ort zurückzuführen.“ Damit nicht genug: Inzwischen kaufen diese Firmen US-amerikanische Unternehmen auf. „Nicht wegen der Arbeitskräfte, sie sind allein an den Kunden interessiert.“ Auch andere Marktbeobachter wie der wirtschaftswissenschaftliche Nobelpreisträger Paul Samuelson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) versuchen bislang vergeblich, die politischen Entscheidungsträger auf-zurütteln. Seine These, wonach der Lebensstandard in den USA sich gegenläufig zum chinesischen Wachstum entwickeln werde, verhallt trotz deutlich sinkender IT-Löhne weitgehend ungehört. „Eigentlich sollte Innovation unsere stärkste Waffe sein“, wundert sich Hira. Tatsächlich würden Forschung und Entwicklung im großen Stil in andere Länder ausgelagert. Das von Beratungshäusern und der Wirtschaft favorisierte Outsourcing nutze nur wenigen: „Davon profitieren allein Aktionäre und Topmanager. Arbeitskräfte schauen dagegen in die Röhre.“

IT-Industrie trainiert nur Skills der Mitarbeiter

Was Unternehmen tun sollten, um sich mit einheimischen Mitarbeitern gegen die Billig-konkurrenz zu behaupten, kann jedoch auch Hira nicht erschöpfend sagen. Attraktive Arbeitsplätze und gute Weiterbildung seien nützliche Strategien im Wettbewerb um den Nachwuchs, falls man den überhaupt noch will. Die IT-Industrie müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, bei ihren Mitarbeitern hauptsächlich Fertigkeiten (Skills) zu trainieren. Ihnen fehle das Wissen, wie sie immer weiter lernen könnten, sie seien im zunehmend internationalen und wettbewerbsintensiven Arbeitsklima überfordert und „können mit Unsicherheit kaum umgehen".

Eine Kritik, der sich auch der Wirtschaftswissenschafts-Professor Stephane Garelli von der Lausanner Business School IMD anschloss. Viele Unternehmen seien auf den bevorstehenden Andrang hoch qualifizierter junger Menschen aus dem Osten unvorbereitet. Allein in China verlassen Schätzungen zufolge pro Jahr 600.000 Ingenieure die Hochschulen. Viele suchen ihr Glück in unseren Breiten. Die „Talente von morgen“, so Garelli, seien energisch und voller Entscheidungsfreude und mit dieser Einstellung ihren Konkurrenten im Westen weit überlegen.

Sprengstoff liege in der demografischen Entwicklung der westlichen Industriestaaten. Dazu kämen der Jugendwahn in den Unternehmen und eine damit kompatible Gefälligkeitspolitik: „Dass in Italien 62 Prozent der Beschäftigten bereits mit 55 in Rente gehen, wird uns noch teuer zu stehen kommen.“

Turnaround bei Reuters

Viele Personalabteilungen haben gegen diese Probleme noch keine Strategie entwickelt. Wie sie zum Unternehmenserfolg beitragen, bleibt oft ein Rätsel. Dass es auch anders gehen kann, zeigten auf Rhodos Yahoo, Nokia und Reuters. Ihre „Turnaround-Stories“ ließen ahnen, worauf sich Unternehmen einlassen müssen. Von einem viel versprechenden Projekt berichtete John Reid-Dodick, seit vier Jahren Chef-Organisationsentwickler am Reuters-Hauptsitz in London. Im Februar 2003 musste die Nachrichtenagentur, die drei Jahre zuvor 20 000 Mitarbeiter beschäftigt und ihren Aktienkurs auf 16 britische Pfund hochgetrieben hatte, erstmals rote Zahlen veröffentlichen. „Die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit“, erinnerte sich Reid-Dodick, „befanden sich ebenso wie der Aktienkurs im Sinkflug.“ Reuters verhedderte sich mit den 1300 Produkten und fand heraus, dass sich viel zu wenige Mitarbeiter für Führungsaufgaben eigneten. Nur eine Kehrtwende konnte das Unternehmen vor dem Aus bewahren.

Mit einem Kraftakt verständigte sich das Unternehmen auf ein Programm namens „Living fast“ (fast, accountable, service-driven team). Ziel des Kulturwechsels war es laut Reid-Dodick, dem größten Wettbewerber Bloom-berg „die Hölle heiß zu machen“. Reuters investierte massiv in die Weiterbildung von Nachwuchs- und Führungskräften, führte mo-derne Leistungsmess-Systeme ein und reani-mierte den Kundenservice etwa mittels neuer Niederlassungen in Bangalore und Bangkok mit rund 1000 neuen Arbeitsplätzen. Inzwischen trauen Investoren der Firma wieder mehr zu; die Mitarbeiterzahl wächst, und auch die Identifikation mit dem Unternehmen stieg. Dennoch hebt Reid-Dodick nicht ab: „Sicher können wir uns nie mehr wähnen.“

Yahoo-Gründer schauten nur auf Technik und Finanzen

Auf unsicheres Parkett begab sich auch Libby Sartain, bei Yahoo als „Chief of People“ für Human Resource verantwortlich. Im Herbst 2001 verließ sie ihre sichere HR-Position bei Southwest Airlines für ein „Himmelfahrtskommando“. „Arbeitslosigkeit im Silicon Valley auf 8,5 Prozent gestiegen“, „Entlassungen in der IT- und Internet-Wirtschaft setzen sich fort“, titelte die "New York Times" in jenen Tagen. „Ich traf bei Yahoo zunächst auf ziemlich verunsicherte Mitarbeiter“, so Sartain, „auf ihre Firma gaben sie keinen Pfifferling mehr.“ Statt ihre Mitarbeiter zu motivieren und ihnen Orientierung zu vermitteln, hätten sich die Yahoo-Gründer lieber auf technische oder finanzielle Ziele kapriziert. „Man geht zu Yahoo“, lautete ihr belangloses Credo, „weil es chic ist, bei einer Internet-Firma zu arbeiten.“

Entschlossen setzte Sartain, unterstützt vom neuen CEO Terry Semel, dieser Gleichgültigkeit eine zielgerichtete Personalpolitik entgegen. Eine zentrale Aufgabe fiel den Führungskräften zu: Sie sollten Mitarbeiter motivieren und sich um deren Weiterentwicklung kümmern, statt die gewünschte Bindung von Talenten weiterhin zu vernachlässigen. Parallel änderte Yahoo, das nach Usern gemessen „drittgrößte Land der Welt“, seinen Kurs - weg vom bisher praktizierten Service- und User-Fokus, hin zu profitablen Geschäftsfeldern.

Unter Sartains Ägide wandelte sich Yahoo vom „ausgepumpten Dotcom-Wrack“ zu einem hoch profitablen Unternehmen, das in diesem Jahr wieder rund 10.000 Mitarbeiter auf seiner Gehaltsliste haben will. „Als ich kam“, blickte Sartain zurück, „wurde die HR-Abteilung für missratene Einstellungspolitik verantwortlich gemacht. Von Personalentwick-lung fehlte jegliche Spur.“ Heute sagen 98 Prozent der Mitarbeiter, sie fühlten sich ver-antwortlich für die Zukunft ihrer Firma, eben-so viele sind stolz auf ihren Arbeitgeber. Paradoxerweise geht mittlerweile das eine oder andere Talent nicht zu Yahoo, weil der Aktienkurs so kräftig gestiegen ist. Manche fühlen sich dadurch an den rasanten Aufstieg und tödlichen Fall börsennotierter New-Economy-Unternehmen.

Personal- und Geschäftsstrategie müssen Hand in Hand gehen

Die Beispiele von Reuters und Yahoo zeigen, dass Personal- und Geschäftsstrategien ihre Wirkung am besten dort entfalten, wo sie Hand in Hand gehen. Das Herz von Mitarbeitern gewinnen, ihre Arbeit mit Sinn erfüllen und ihnen - trotz aller Unsicherheit - klare Ziele vermitteln, dabei wurden Reid-Dodick und Sartain konsequent durch ihr Topmanagement unterstützt. Auch Nokia hat diesen Kurs eingeschlagen. Wie HR-Managerin Anna Tavis auf der Konferenz berichtete, führt das finnische Unternehmen seinen Erfolg auf das verstärkte interne Networking auch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zurück, das eine stabile Vertrauensbasis ermögliche. „Je mehr wir kommunizieren“, argumentierte Tavis, „desto schneller entstehen neue Ideen, die sich an der richtigen Stelle in Wettbewerbsvorteile umsetzen lassen.“

Messinstrument für Personaler

Am interessantesten freilich ist, was in den Präsentationen ausgeklammert wurde. Zwar war von Umsatz-, Mitarbeiter- und Zufriedenheitszahlen die Rede, damit war aber noch nicht bewiesen, ob die Fortschritte auf die Initiativen der Personaler zurückgehen. Viele wünschen sich ein verlässliches Messverfahren, mit dessen Ergebnissen sie auch gegenüber der Geschäftsführung besser auftreten können. Ein solches Modell stellt auf Rhodos das HR Institute der Universität Tampa in Florida unter dem Namen „The Organizational Capabilities Diagnostic Intervention“ (OCDI) erstmals vor. Die Berater von MCE, die das Messsystem in Europa vermarkten, interviewen die wichtigsten Entscheidungsträger des Kundenunternehmens anhand eines umfangreichen Fragenkatalogs. Dann wertet eine Software die Daten aus. Nur zwei Stunden später, versicherte Jay Jamrog, geschäftsführender Direktor des HR Institute, stehe das ausführliche Ergebnis auf der Website zum Abruf bereit - natürlich geschützt gegen unbefugte Zugriffe.

 „HR-Leute“, sagte Jamrog ohne Umschweife, „neigen tendenziell dazu, sich mit schönen, aber unbrauchbaren Ergebnissen zu schmücken.“ Schon eine jährlich erhobene Mitarbeiterumfrage werde als etwas Besonderes verkauft. Mit dieser Einschätzung liegt Jamrog nicht falsch. Auf dem Markt konkurrieren zahlreiche Methoden und Tools, doch nur we-nige können hohen Ansprüchen genügen. Als Wissenschaftler interessiert er sich in erster Linie dafür, ein Tool zu entwickeln, das ver-lässliche Ergebnisse erbringt; ob die Firmen daraus die richtigen Schlüsse ziehen, sie ihre Sache. „An den von OCDI gelieferten Resultaten liegt es jedenfalls nicht“, so Jamrog, wenn Unternehmen den Wettlauf um talentierte Mitarbeiter und wichtige Produkte verlieren.

*Winfried Gertz ist freier Autor in Starnberg. 

 

Was Personaler sich fragen sollten

• An welcher Stelle brauchen wir hoch qualifizierte Mitarbeiter, um unsere Wettbewerber zu überholen?

• Auf welchen neuen Geschäftsfeldern sind wir im Vorteil?

• Welche Talentlücken müssen wir schließen, um im Wettbewerb Boden gutzumachen?

• Wo würde es uns am härtesten treffen, wenn wir gute Leute verlieren? (Quelle: HR Institute)