Win-Win in der Entwicklungshilfe

Perfektes Tool für IT-Laien

25.02.2013 von Ima Buxton
Auch Kleinstunternehmer benötigen Business-Software, die vor allem kostengünstig sein muss. Das brasilianische Startup MeuSoft bildet arbeitslose Jugendliche zu App-Entwicklern aus, die diesen Bedarf decken – und macht so aus zwei Randgruppen der brasilianischen Gesellschaft Teilnehmer eines lukrativen Zukunftsmarktes.
Der 27-jährige Idon Alves entwickelte als erster im Rahmen des Hilfsprojektes MeuSoft eine App für Mikrounternehmer.
Foto: SAP Deutschland

Idon Alves ist 27 Jahre alt und App-Programmierer. Vor etwa zwei Jahren hat der junge Mann aus der brasilianischen Metropole San Salvador do Bahia eine Kundenmanagement-Anwendung für Kleinstlieferanten warmer Mittagsmahlzeiten entwickelt. Idon erhielt Gelegenheit, seine App an der örtlichen Universität of Bahia (UFBA) zu präsentieren, und stieß auf so viel Zustimmung, dass die Hochschule die App zur Weiterentwicklung und für den Weitervertrieb kaufte. Für Idon Alves bedeutete dies nicht nur eine Anerkennung seiner Arbeit, sondern auch ein angemessenes Honorar. Für den jungen Mann war das zugleich der erste Schritt hin zu einem geregelten Einkommen.

Nach dem Aushilfsjob in die Arbeitslosigkeit

Idon Alves ist nicht etwa Informatiker oder Student. Er stammt aus einfachen Verhältnissen in San Salvador do Bahia. Wie viele Jugendliche des Landes rutschte Idon nach einem Aushilfsjob im Computer-Einzelhandel in die Arbeitslosigkeit. Die eingeschränkte Beweglichkeit seines rechten Armes, verursacht durch einen Geburtsfehler, machte für ihn die Suche nach neuer Arbeit nicht einfacher.

Hilfsprojekt MeuSoft

„Hoher sozialer Wirkungsgrad“

Das Startup MeuSoft ist einer der vier Gewinner des Sozialförderpreises „The Power of Small“, den der Walldorfer Software-Konzern SAP zusammen mit dem globalen Sozialunternehmer-Netzwerk Ashoka Changemaker in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben hat. Die Auszeichnung ist mit einer Finanzierungshilfe von 10.000 US-Dollar sowie mit Technologie, Software, Beratung und Coaching aus dem Hause SAP verbunden. „MeuSoft hat die Jury in allen drei Kriterien überzeugt, die der Preisvergabe zu Grund lagen“, erläutert Alexandra van der Ploeg, Projektleiterin des Förderpreises im Bereich Corporate Social Responsibility (CSR) bei SAP, die Entscheidung der Jury. „Das Projekt entfaltet einen hohen Wirkungsgrad im sozialen Bereich und ist damit sozial, aber auch finanziell nachhaltig. Überzeugt hat uns aber vor allem der innovative Ansatz des Konzepts: Mit der Ausbildung zum App-Entwickler vermittelt MeuSoft den Jugendlichen ein Handwerkszeug, das sie bislang nicht hatten. Das Projekt entfaltet zudem eine vielschichtige Wirkung, in dem es auch den Mikrounternehmern zugutekommt, und hat das wirtschaftliche Potenzial, über die Region hinaus zu wachsen. Das entspricht ganz der SAP-Strategie für soziales Engagement.“

Die SAP strebt mit ihrer globalen CSR-Strategie die Stärkung des Ökosystems vor allem kleinerer Unternehmen an. Dahinter steht nach Angaben des Software-Konzerns die Überzeugung, dass Unternehmertum für wirtschaftliches Wachstum unverzichtbar ist. Das wiederum soll zu einer Verbesserung der Lebensumstände der Menschen führen.

Doch Idon gab nicht auf – und er hatte Glück. Nahezu zeitgleich zu seiner Arbeitssuche riefen an anderer Stelle in San Salvador Leticia Lisboa und Sebastião Cartaxo, Gründer des kleinen Software-Unternehmens Dossier Digital, das soziale Hilfsprojekt MeuSoft ins Leben. „Wir wurden im Jahr 2008 von unserem Kunden, dem Medical Health Unternehmen OSH Management, beauftragt, eine Plattform für eine Applikation zu entwickeln, die es ermöglicht, Variationen der Applikation für bestimmte Zwecke zu erstellen“, erläutert Leticia Lisboa den Ursprung des Projektes. „Dabei fiel uns auf, dass diese Plattform ein perfektes Tool auch für Nicht-IT-Fachleute sein könnte, um kleinere Anwendungen selbst zu entwickeln."

Im wirtschaftlichen Umfeld von Brasilien eröffnete diese Möglichkeit ungeahnte geschäftliche Optionen: In dem lateinamerikanischen Land verdienen rund 27 Millionen Kleinstunternehmer ihren Lebensunterhalt mit Tätigkeiten wie Straßenverkauf, Lieferservices, Autowaschen, Näh- oder Montagearbeiten. Diese Mikrounternehmer setzen zwar inzwischen häufig moderne Kommunikationsmittel wie Laptops, Smartphones und Tablets ein. Für die effektive Verwaltung ihrer alltäglichen Geschäfte fehlen ihnen aber oft geeignete und erschwingliche Programme.

Jugend in Brasilien: 19 Prozent sind arbeitslos, 30 Prozent gelten als arm

Auf der anderen Seite herrscht im Schwellenland Brasilien eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, von der fast jeder Fünfte (19 Prozent) betroffen ist. Zudem gelten 30 Prozent der brasilianischen Jugendlichen der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika zufolge als arm. „Für uns verband sich die von Dossier Digital entwickelte Plattform schnell mit der Perspektive, arbeitslose Jugendliche zu qualifizieren und mit ihnen zugleich ein neues Geschäftsfeld zu erschließen“, so Lisboa. „Zwischen Dossier Digital und den Kleinstunternehmern stand bis dahin immer eine Barriere, mit der Folge, dass diese Kleinstfirmen unsere Applikationen nicht nutzten. Die jugendlichen App-Entwickler können diese Schwelle senken, weil sie die Sprache dieser Händler und Dienstleister sprechen. Sie sind Verwandte und Freunde der Kleinstunternehmer und folglich Teil derselben Community.“

App zum Preis für eine Mahlzeit im Schnellrestaurant

Dossier Digital konnte OSH Management als ersten Partner für eine Kooperation gewinnen, um die Plattform für ihren künftigen Zweck weiterzuentwickeln, und legte damit den Grundstein für das soziale Projekt und Startup MeuSoft. Weitere Sponsoren folgten, darunter Brasiliens größter Energieversorger Eletrobras. Inzwischen hat MeuSoft nahezu 200 Jungendliche im Alter von durchschnittlich 19 Jahren innerhalb des Projektes zu App-Entwicklern ausgebildet, denen in diesem Jahre weitere 400 folgen sollen. Rund 30 Apps entstammten bislang den Ideen der brasilianischen Jugendlichen, die eine Testphase mit insgesamt eintausend Pilotnutzern durchlaufen haben. Rund einhundert Endnutzer haben bereits eine App erworben. „Eine der Grundlagen des MeuSoft-Geschäftsmodells ist der günstige Preis“, ergänzt Lisboa. „Die Lizenz für eine App kostet einen Kleinunternehmer nicht mehr als eine Mahlzeit im Schnellrestaurant. Das ist möglich, weil wir bestimmte Technologien wie Cloud Computing einsetzen, weil wir die Apps einfach gestalten, einzelne Komponenten sogar wiederverwendbar und weil die Lohnkosten niedrig sind.“

Wer zu MeuSoft kommt, hatte meist zuvor schon Kontakt mit einer der sozialen Hilfsorganisationen der Stadt, mit denen Dossier Digital in Kontakt steht, wie beispielsweise die Association of Friends and Supporters of the Center of Salvador (AMACH), über die auch Idon Alves den Weg zu MeuSoft fand. Über diese Organisationen wählt MeuSoft Jugendliche aus, die Begabung und Interesse für die IT-Ausbildung mitbringen. Spezielle IT-Kenntnisse sind jedoch nicht erforderlich. Die Trainings selbst werden von Mitarbeitern von Digital Dossier in den Sozialzentren geleitet.

Chance auf regelmäßigen Lohn

In ihrer Ausbildung erhalten die Jugendlichen nicht nur das technische Know-how und den Zugang zu den Tools für die App-Entwicklung. Die jungen Leute werden zudem aufgefordert, mit Personen aus ihrem Umfeld über ihre App-Ideen zu sprechen. Konkretisiert sich eine Idee, beginnt ein Team aus Auszubildenden, die Anwendung speziell für ihren Klienten zu programmieren. Anschließend wird das Produkt von Dossier Digital überprüft, und seine Funktionalität soweit generalisiert, dass die App einen größeren Nutzerkreis anspricht. Idon Alves war der erste MeuSoft-Teilnehmer, der seine Idee für eine App umsetzte – und verkaufen konnte. Der Verkauf seiner App bringt Idon zunächst ein Honorar ein, das von Digital Dossier ausbezahlt wird. Doch Lisboas Ziel ist es, leistungsstarken Jugendlichen einen regelmäßigen Mindestlohn auszuzahlen, beginnend mit dem vierten Jahr ihrer Tätigkeit.

App spricht die Sprache der kleinen Dienstleister

Die App FinanX unterstützt Kleinstunternehmer bei der Erfassung Belegen und bei der Zahlung von Rechnungen.
Foto: SAP Deutschland

Der Anstoß für eine App kann auch von einem größeren Unternehmen kommen. Beispiel dafür ist die App FinanX, die von SEBRAE in Auftrag gegeben wurde, einer Organisation, die die Gründung von Kleinunternehmen unterstützt. FinanX hilft Mikrounternehmern bei der Erfassung von Belegen sowie bei der Zahlung von Rechnungen und hält die Finanzströme auf dem aktuellsten Stand. „Die Anwendung spricht ganz klar die Sprache der kleinen Dienstleister und steuert unmittelbar auf die zentralen Funktionen zu“, beschreibt Lisboa die App. „FinanX wurde Ende 2012 fertig gestellt und steht jetzt den Kunden von SEBRAE zur Verfügung. Das war unser erstes größeres Projekt."

Partner wie SEBRAE sorgen mit dem Vertrieb über ihre eigene Unternehmensinfrastruktur erst für das Verbreitungsvolumen, das notwendig ist, damit der Entwicklungsaufwand sich lohnt. Denselben Effekt verspricht Lisboa sich von einem App-Store in der Cloud, in dem die Kleinstunternehmer Apps wie in einem gewöhnlichen Online-Shop erwerben können. Der Hebeleffekt soll dabei über virales Marketing in der Community der Kleinhändler und -Dienstleister einsetzen: Ist der Erstkunde mit der App zufrieden, könnte sich diese Information unter den Kleinunternehmern wie ein Schneeballsystem verbreiten.

Tausende Jugendliche könnten eine Beschäftigung finden

Doch das ist noch Zukunftsmusik. „Unser Ziel ist es zunächst, uns über die Region hinaus als nationaler App-Anbieter für Kleinstunternehmen zu etablieren“, plant Lisboa. „Dazu müssen wir uns mit den dafür erforderlichen Prozessen auseinandersetzen. Wir müssen uns überlegen, wie Partnerschaften begründet und gemanagt und unsere Produkte am besten vermarktet werden können.“ Ihre Vision ist es, MeuSoft aus diesem Prozess als profitablen Geschäftszweig von Dossier Digital hervorgehen zu lassen. Tausende brasilianische Jugendliche sollen auf diese Weise eine Beschäftigung als selbständige App-Entwickler finden – und der Perspektivlosigkeit von Arbeitslosigkeit und Armut entrinnen.