Ist Overclocking noch sinnvoll

PC-Mythos Übertakten

19.12.2012 von Michael Schmelzle
Lohnt es sich heutzutage noch, selbst Hand anzulegen und den Prozessor oder die Grafikkarte zu übertakten? Unsere Schwesterpublikation PC-WELT hat den Nutzen und die Nachteile des klassischen Overclocking untersucht.

Vor knapp 20 Jahre brachte Intel den Pentium-Prozessor mit 60 MHz und einem CPU-Kern heraus. Damals ist Rechenleistung ein kostbares Gut und jedes Megahertz mehr sofort spürbar - selbst bei Textverarbeitung. Vor zehn Jahren stellt Nvidia den Grafikprozessor Geforce 4 vor. Der DirectX-8-Chip mit AGP-Interface entwickelt sich zum Bestseller, insbesondere Grafikkarten mit dem Nvidia Geforce 4 Ti 4200. Mit dem Grafikchip ließ sich der Unterwasser-Shooter Aquanox erstmals in der 1600er-Auflösung mit seiner ganzen Grafikpracht flüssig spielen. Doch schon der im gleichen Jahr veröffentlichte Nachfolger "Aquanox 2: Revelation" zwingt Geforce-4-Karten bereits in der 1280er-Auflösung in die Knie.

Aquanox 2 zeigt Geforce-4-Grafikkarten die Leistungsgrenzen auf.

Der Blick zurück in die letzten beiden Dekaden zeigt, das das Übertakten eine sinnvolle und preisgünstige Möglichkeit darstellte, Programme spürbar zu beschleunigen: So genannte Killer-Applikationen aus der Vergangenheit wie Photoshop im Produktivbereich oder die ersten 3D-Spiele aus dem Unterhaltungssektor überfordern die damalige Hardware und verlangen nach Mehrleistung, die man durch höhere Taktfrquenzen aus den Halbleiterchips kitzelt. Dabei gilt es, Übertaktungssperren und technische Hürden auszutricksen, die die Hersteller in ihre Prozessoren eingebaut haben. OC-Klassiker wie die L1-Brücken des Thunderbird sind ein historisches Zeugnis dieser Ära.

Heutzutage bekommen Sie für kleines Geld Mehrkern-Prozessoren, die mit 3000 MHz laufen und selbst für anspruchsvolle Programme wie Videoschnitt mehr als genug Rechenleistung bieten. Aktuelle 3D-Spiele laufen in der Regel mit einer knapp zwei Jahre alten Mittelklasse-Grafikkarte wie der Zotac Geforce GTX 460 AMP! flüssig. Ja, Grafikkarten sind inzwischen so rechenstark, das sie in Hochleistungsrechnern die klassischen CPU-Cluster verdrängen. Auf der anderen Seite fehlt es an Killer-Applikationen. Bestes Beispiel: 3D-Spiele waren vor Jahren noch die treibende Kraft für PC-Upgrades. Mittlerweile hat das immer noch Hardware-hungrigste Spiel auf dem Markt fast fünf Jahre auf dem Buckel: Crysis.

Mitterweile in der zweiten Auflage: dynamische Übertaktungsfunktion Intel Turbo Boost

CPU- und Grafikprozessor-Hersteller bauen heute nicht mehr Leistungssperren ein - ganz im Gegenteil: Intel führt im November 2008 mit der Prozessoren-Generation Nehalem die automatische Übertaktungsfunktion Turbo Boost ein. AMD zieht im April 2010 mit dem Phenom II X6 nach, der die technisch ähnliche Overclocking-Technik Turbo Core beherrscht.
Ende 2010 hält die zusätzliche Leistungsbeschleunigung ab Werk erstmals auch in den Grafikprozessoren Radeon HD 6970 und 6950 unter dem Namen PowerTune Einzug. Und mit GPU Boost hat Nvidia seit Ende März 2012 mit der Vorstellung der Geforce GTX 680 nun auch eine automatische Übertaktungsfunktion im Programm. Allen Techniken gemeinsam ist eine thermische Schutzfunktion, die den Halbleiterchip vor dem Hitzetod bewahrt. Zudem erfolgt die Übertaktung dynamisch, begrenzt von der Leistungsaufnahme und der Hitzeentwicklung des gesamten Prozessors.

Fazit

Übertakten bringt kaum mehr Leistung, untertakten spart hingegen Strom

Die CPU oder die Grafikkarte von Hand zu übertakten birgt mehr Risiken als Nutzen. Sie verlieren die Garantie, machen Ihr System instabiler und eine stärkere Hitzeentwicklung zieht häufig einen höheren Geräuschpegel durch lärmende Lüfter nach sich. Der Nutzen ist hingegen ein bescheidener Leistungszuwachs im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Prozentbereich, der in der Praxis selten spürbare Auswirkungen hat (siehe Diagramm links). Eine Ausnahme stellt die Bildwiederholrate bei Spielen dar. Hier können Sie bei leicht ruckelnder Darstellung durch gezieltes Übertakten den Grenzbereich zwischen 25 und 30 Bilder/s hinter sich lassen.

Geeignet zum Untertakten: AMD Overdrive

Zeitgemäß ist hingegen das Untertakten, um im Desktop-Betrieb weniger Strom zu verbrauchen. So sinkt beispielsweise die Leistungsaufnehme unserer Testplattform mit einer Radeon-HD-7870-Grafikkarte um fast 15 Prozent. Mit Tools wie Afterburner können Sie beispielsweise für Ihre Grafikkarte ein Stromspar-Profil einrichten, das Sie über ein frei einstellbare Tastenkürzel einfach und bequem ein- und ausschalten können. Afterburner funktioniert sowohl mit AMD- als auch Nvidia-Grafikchips und auch mit älteren Grafikkarten. Für das Untertakten der CPU gibt es leider kein universell einsetzbares Tool. Besitzer von Hauptplatinen mit der Chipsatz-Serie AMD 700, 800 und 900 können aber zumindest AMD Overdrive für diese Zwecke verwenden.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation PC-Welt.