Ob UEFA oder Siemens - von Frankreich in die Welt

Orange: Morgens Merck, nachmittags Tour de France, abends EURO

06.07.2016 von Simon Hülsbömer
Der französische TK-Konzern Orange ist durch das Sponsoring der Fußball-Europameisterschaft derzeit allgegenwärtig. Doch was macht dieses Unternehmen eigentlich genau? Wir waren zu Besuch in Paris und wissen nun: Weitaus mehr, als "nur" Carrier zu sein.

Die Orange-Gruppe ist einer der Hauptsponsoren der Fußball-Europameisterschaft. Klar, dass im Windschatten dieses Großereignissen auch die internationale Geschäftskunden-Einheit Orange Business Services mit ihren 21.000 Mitarbeitern die Gelegenheit nutzen und im europäischen Ausland weiter auf sich aufmerksam machen möchte.

In Frankreich an fast jeder Ecke anzutreffen - die Orange-Shops. Nun möchte der Konzern mit seiner Dienstleistungssparte auch international durchstarten.
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Zu bieten hat der Konzern als IT-Dienstleister Vieles: So trägt man schon länger zur Umsetzung von Digitalisierungsprojekten in der ganzen Welt bei - sei es durch die Cloud-Integration beim südafrikanischen Bergbauunternehmen AngloGold Ashanti oder die smarte Vernetzung ganzer Stadtteile im katarischen Doha. Auch in Deutschland geht es voran: Zusammen mit Großkunden wie Siemens, Henkel und seit dieser Woche auch Merck kümmert sich Orange Business Services um viele Transformationsaspekte. Ende des Jahres sollen zudem weltweit Software-defined-Netzwerkdienste "as a Service" hinzukommen und IoT-/Industrie-4.0-Dienste gestartet werden.

80.000 Kilometer Glasfaser

Doch zunächst noch einmal zurück zur Fußball-Europameisterschaft: Wenn am Donnerstag Abend Weltmeister Deutschland gegen Gastgeber Frankreich um den Einzug in das Finale spielt, werden wieder Millionen Fußballfans das Geschehen auf den großen Fanmeilen, vor dem heimischen Fernseher, im Freundes- und Bekanntenkreis oder sogar im Stadion live verfolgen. Damit das möglich ist und auch das Erlebnis "Fußball-Europameisterschaft" als Ganzes unvergessen bleibt, hatte Orange bereits 2012 im Rahmen der letzten Fußball-EM in Polen und der Ukranie damit begonnen, das sportliche und mediale Großereignis von der technischen Seite aus vorzubereiten.

Von Ende Mai bis Anfang Juni wurden dann binnen der zwei Wochen vor Beginn der EURO unter anderem die zehn Stadien in ganz Frankreich für 220 TV-Stationen weltweit mit insgesamt 80.000 Kilometern Glasfaser verkabelt und 600 WLAN-Hotspots in den Fanzonen an den Spielorten errichtet - darunter auch die größte am Pariser Eiffelturm, die Platz und Internetzugang für knapp 100.000 Menschen bietet.

In der Fanzone am Pariser Eiffelturm hat Orange Wi-Fi für bis zu 100.000 Menschen errichtet.
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Wenn am Sonntag kurz vor Mitternacht dann das Endspiel abgepfiffen und der neue Europameister gekürt ist, bleiben nur vier Tage zum Abbau der gesamten technischen Infrastruktur, bevor der Europäische Fußballverband UEFA die Spielstätten im Ausgangszustand wieder an die jeweiligen Eigentümer zurückgehen wird. Kein Wunder, dass Orange deshalb schon jetzt an allen Spielorten, an denen kein Euro-Match mehr steigen wird, mit dem Abbau beschäftigt ist. Zumal die seit wenigen Tagen laufende "Tour de France" ebenfalls auf Orange-Infrastruktur angewiesen ist und in der aktuellen Wochen nun mehrere Großprojekte gleichzeitig gestemmt werden müssen.

Ein neues Netz für Merck

Doch nicht nur die EURO ist zum "orangenen Projekt" geworden - so baut Orange Business Services beispielsweise das weltweite Netzwerk des Darmstädter Chemie- und Pharmakonzern Merck komplett um. Im Rahmen eines gemeinsamen "Next Generation Network"-Projekts werden sowohl ein globales Wide Area Network (WAN) errichtet als auch die lokalen Netzwerke, Remote Access Services, regionale Internet-Einwahlpunkte und Audiokonferenzdienste auf neue Füße gestellt.

An insgesamt 200 Knotenpunkten richtet der französische TK-Dienstleister neue Technik und Services ein oder baut die bestehenden um. Zum Einsatz kommt dabei in weiten Teilen Technologie des Enterprise-Application-Management-Anbieters Riverbed. "Die dauerhafte Echtzeit-Verbindung aller Kommunikationskanäle ist absolut entscheidend dafür, dass unsere Mitarbeiter produktiv sein können und ein reibungsloser Austausch mit den Kunden möglich ist", erklärt Merck-CIO James E. Stewart im Rahmen der Bekanntgabe des Ausbaus der bereits bestehenden Partnerschaft mit Orange Business Services.

Bei SDN schon sehr weit

Ein weiteres großes Orange-Projekt ist das Software-defined-Network-Programm (SDN). Im vierten Quartal 2016 will man global mit "Network as a Service" starten - maßgeschneiderte Netzwerk-Infrastruktur auf Software-Basis für seine Kunden bereitstellen. "Schon heute können wir dafür mit acht Rechenzentren in der ganzen Welt operieren", berichtet Connectivity-Spartenchef Pierre-Louis Biaggi. "Bis Ende 2017 werden es 18 sein, bis Ende 2019 mehr als 40." Als einer der wenigen für SDN trommelnden Player ist man bei Orange aber auch tatsächlich schon heute in der Lage, mit nur wenigen Klicks über eine Browser-Oberfläche sich sein Software-defined Network zusammen zu klicken - das präsentierte das Netzwerk-Team in dieser Woche stolz im Rahmen einer Präsentation in den "Orange Gardens", dem hauseigenen Technologie- und Forschungszentrum mitten in Paris.

Security, Analytics, IoT

Neben den Bestrebungen, eine orange-eigene Threat-Ingelligence-Datenbank gegen Cyberrisiken zu bauen, kooperiert Orange mit dem unabhängigen europäischen CERT Lexsi, um dem Denial of Service (DoS) Einhalt zu gebieten. "Security und Cyber-Defense sind mit die wichtigsten Geschäftsfelder unseres Unternehmens", unterstreicht Thierry Bonhomme, CEO von Orange Business Services. Und auch in den Bereichen Internet der Dinge / Industrie 4.0 möchte man sich nicht lumpen lassen und kündigt mit "Datavenue" ein Großprojekt an, dass neben Analytics-Lösungen auch die Plattform für neue Industriesteuerungssysteme und Smart-Home-Lösungen geben soll.

"Datavenue" soll als Plattform für alle Orange-Aktivitäten rund um das Internet der Dinge dienen.

Wie die Wachstumspläne aussehen

Darüber, was Orange Business Services in nächster Zeit international plant, haben wir exklusiv mit dem Österreicher Helmut Reisinger, dem Executive Vice President International, gesprochen.

CW: Herr Reisinger, Sie verantworten das gesamte Kundengeschäft von Orange Business Services außerhalb Frankreichs. Wen adressieren Sie genau?

HELMUT REISINGER: Wir kümmern uns primär um internationale Großkunden, weil es für uns keinen Sinn macht, beispielsweise ein Projekt mit einer lokalen Krankenkasse in einem deutschen Bundesland anzugehen. Da heben wir nicht unsere globalen Infrastruktur-Ressourcen. In Märkten, wo wir ein inländisches Netzwerk haben - wie in Polen, der Slowakei oder Frankreich - kümmern wir uns aber auch um kleine und mittelständische Unternehmen.

Helmut Reisiniger verantwortet seit Anfang 2015 alle nicht-französischen Kunden von Orange Business Services.
Foto: Orange Business Services

CW: Wenn Sie sich die verschiedenen Ländern und auch die Unternehmensgrößen einmal anschauen: Wie steht es um die digitale Transformation, wo liegen die Unterschiede?

REISINGER: Ich würde keine Regel ausgeben, dass der Mittelstand benachteiligt oder weniger innovativ ist im Vergleich mit den Konzernen. Ich sehe ihn sogar eher als Innovationstreiber, weil kleinere Unternehmen mit ihren Ideen schneller am Markt sind und ihre Projekte schneller ausrollen können. Zudem können sie schneller Gelegenheiten nutzen, die sich durch die Digitalisierung ergeben. Die großen, internationalen Konzerne hingegen sind indes eher die, die die Trends schneller erkennen - dadurch, dass sie weltumspannend tätig sind und mögliche neue Konkurrenten beispielsweise schneller auf dem Schirm haben.

Was den Ländervergleich angeht: Beispielsweise war ich gerade in Südamerika unterwegs. Das Einzelhandelsgeschäft in Chile ist genauso der digitalen Transformation unterworfen wie es in Deutschland, in Österreich oder in Frankreich der Fall ist. Da sehe ich auch länderbezogen keine großen Unterschiede. Die Start-Up-Szene ist gut in Berlin, in Wien, in London, in Paris, auch in kleineren Ländern. Nicht die Geographie ist entscheidend, sondern eher die Rahmenbedingungen für den Innovationsgeist. Da ist es egal, ob es sich um ein großes oder ein kleines Unternehmen handelt.

Europa hat viel geschaffen in punkto Preistransparenz und Wettbewerbsfähigkeit. Nur muss man aufpassen, dass Freiräume für Forschung und Entwicklung bestehen bleiben. Europa hat 500 Millionen Einwohner, aber über 100 Carrier. Die USA haben 360 Millionen Einwohner, aber nur drei große und ein paar kleinere Carrier. Hieraus ergibt sich die Frage, wieviel man als Carrier für Innovationen wo investieren kann.

Mobile Payment als wichtiger Baustein

CW: Wie wichtig ist das Thema Innovation für den Orange-Konzern?

REISINGER: Wir geben 800 Millionen Euro jährlich für die Bereiche Forschung und Entwicklung aus. 3000 Ingenieure arbeiten hier in unserem Innovationszentrum "Orange Gardens" in Paris, wir haben weitere Standorte in Seoul, San Francisco, im jordanischen Amman, an der Elfenbeinküste oder auch in Polen. Insgesamt sind es 15 Forschungszentren weltweit, jedes mit einem bestimmten Schwerpunkt. Zwei wichtige Projekte, an denen wir gerade arbeiten, sind die Themen Blockchain und Mobile Payment - in beide Bereiche hat Orange Ventures kräftig investiert.

CW: Wie sieht Ihre Mobile-Payment-Strategie aus?

REISINGER: Beim mobilen Bezahlen haben wir schon früh begonnen - so haben wir in Afrika bereits 120 Millionen Mobile-Payment-Kunden, von denen 18,5 Millionen unseren Service "Orange Money" für simple Überweisungen nutzen. In Afrika ersetzt das Telefon bei sehr vielen Menschen das Bankkonto, deshalb sind die mobilen Bezahldienste gerade hier so erfolgreich. Darüber hinaus bieten wir mit "Orange Cash" in Partnerschaft mit den großen Kreditkartenunternehmen NFC-Bezahlung direkt am Point of Sale an. Und zu guter Letzt haben wir kürzlich 65 Prozent der französischen Groupama Banque übernommen, weil wir glauben, dass sich aus der Verknüpfung von Finanzdienstleistungen und Mobile sehr gute neue Lösungen schaffen lassen. Das treibt zum einen die Innovation und zum anderen auch unsere Diversifikation.

Was ist was bei Mobile Payment?
Was ist was bei Mobile Payment?
Mobile-Payment ist in Deutschland noch gar nicht so richtig angelaufen, wirft aber technologisch und mit Kürzeln wie BLE oder HCE einige Fragen auf. Die Computerwoche erklärt die wichtigsten Begriffe.
BLE vs. NFC
NFC galt einige Zeit als abgeschrieben, aber mit Unterstützung im neuen iPhone für Apple Pay soll sich die Zahl der Nutzer bis 2019 auf 516 Millionen mehr als verfünffachen, sagt Juniper Research. Pyrim Technologies hat in dieser Infografik Bluetooth Low Energy (z.B. Apples iBeacons) mit NFC verglichen.
Wer war nochmal Bluetooth?
Bluetooth-Namensgeber ist der dänische Wikingerkönig Harald Gormson Blåtand (Blauzahn, um 910 bis 987 n.Chr.), dem es gelungen ist, sein Land mit den benachbarten Norwegern zu versöhnen. Seine Initiale H (wie ein x mit einem senkrechten Strich in der Mitte)...
Wer war nochmal Bluetooth?
... und B schmücken als zusammengeführte Runenzeichen auch das Bluetooth-Logo.
Bluetooth 4.2 soll sicherer und schneller sein
Bluetooth 4.2 wurde im Dezember 2014 vorgestellt und soll BLE noch sicherer, stromsparender und schneller machen.
Bluetooth-Varianten im Vergleich
Was es mit Bluetooth Classic, Bluetooth smart und Bluetooth smart ready auf sich hat, ob und wie sich die verschiedenen Versionen beziehungsweise Varianten miteinander vertragen, zeigt diese Ansicht.
Beacons kommen meist kieselartig daher
Beacons wie die iBeacons von Apple oder wie dieses hier auseinandergenommene von Estimote sehen oft aus wie farbige große Kiesel, aber sie können auch beliebige andere Formen annehmen.
Starke Enterprise Beacons
Nicht alle Beacons sind kieselförmig. Die der Enterprise Beacons der Onys Beacon GmbH aus Friedrichshafen, hier als technische Zeichnung, sollen besonders robust, leistungsstark und sicher sein.
Wirecard Card Reader
In Vietnam mit der dortigen Im- und Exportbank Eximbank unter dem Namen "Eximbank's mPOS" eingeführt, bietet Wirecard einen Card-Reader fürs Smartphone oder Tablet an. Denn gerade viele kleine Händler oder Betreiber von Essständen können sich die Anschaffung eines Kartenterminals nicht leisten. Die Kunden verlangen aber danach. Akzeptiert werden Kreditkarten von VISA, MasterCard und JCB.
Das NFC-Logo
Das NFC-Logo schmückt einfach ein geschwungenes N auf blauem Hintergrund. Die mit RFID verwandte Technologie wurde unter anderem speziell im Hinblick auf Mobile-Payment oder Micropayment entwickelt, weshalb die kurze Reichweite von meist unter 10 cm durchaus gewollt ist.
NFC bittet zum Druck
Die von Canon, HP, Samsung und Xerox (hier im Bild) gegründete MOPRA Alliance hat einen auf NFC basierenden mobilen Print-Service entwickelt, der es erlaubt, vom Android-Smartphone (ab Version 4.4) einen Print-Befehl an einen entsprechend vorbereiteten Drucker auszugeben.
RFID-Label für vertikale Märkte
Die Schreiner Group beziehungsweise die Tochter Schreiner LogiData bietet RFID-Etiketten für verschiedene vertikale Märkte an.
RFID-Label für die Kfz-Auslieferung
Für die Verladeprozesse nach der Kfz-Produktion hat Schreiner LogiData dieses Windshield RFID-Label entwickelt. Darauf können sich zum Beispiel Daten befinden, ob das fertige Fahrzeug per Bahn, LKW oder per Schiff verladen werden soll.
QR-Code - eine rätselhafte Matrix
QR-Codes bestehen in der Regel aus einer quadratischen Matrix mit 177 x 177 schwarzen und weißen Elementen, die wie hier zum Beispiel das ganze Vaterunser und mehr Informationen enthalten können.(Quelle: Jobo aus Wikipedia)

"Deutschland ist einfach fantastisch"

CW: Orange Business Services setzt auch bei deutschen Konzernen große Transformationsprojekte um, beispielsweise bei Siemens und Henkel, neuerdings auch bei Merck. Was bedeutet der deutsche Markt für Sie?

REISINGER: Deutschland ist für uns ein sehr wichtiger Markt - wenig erstaunlich, weil es in Europa eine der großen Heimatbasen für multinationale Unternehmen ist - egal, ob große oder mittlere Unternehmen. Im Bereich E-Health setzen wir aktuell beispielsweise mit einem deutschen Mittelständler ein großes Internet-of-Things-Projekt gemeinsam um. Deutschland ist einfach fantastisch, weil die Kunden dort weltweit agieren. Ungefähr 350 unserer Ingenieure sind in Deutschland und Österreich tätig - wir haben beide Länder zu einer gemeinsamen Organisation zusammengefasst.

Unsere deutschen Kunden legen wegen ihrer starken Exportausrichtung viel Wert auf Kosteneffizienz, deshalb hat sich der Hybrid-Network-Trend hier auch schon früh abgezeichnet. Im Vergleich zu anderen Ländern ist auch das Thema Security in Deutschland wichtig. Aktuell beschäftigen sich darüber hinaus viele unserer deutschen Kunden mit der Migration auf Office 365 und legen viel Wert darauf, dass die Applikationserfahrung beim Service-Provider stark ausgeprägt ist. Darüber hinaus sind zentrale Ansprechpartner für Projekte und die schnelle Integrationsfähigkeit bei Akquisitionen gefragt.

CW: Wie bewerten Sie den Brexit?

REISINGER: Sowohl Orange Business Services als auch die Orange Group haben am Freitagmittag eine interne Mitteilung an alle Mitarbeiter herausgegeben, dass wir auch weiterhin Geschäfte im bisherigen Umfang mit Großbritannien tätigen wollen. Wir haben große Kunden in England. Makroönomisch gesehen ist es aus meiner Sicht eine bedauernswerte Entscheidung. Man wird sehen, was passiert - ich hoffe darauf, dass es einen "Exit vom Brexit" gibt.

Disclaimer: Orange Business Services übernahm im Rahmen einer Internationalen Pressetour nach Paris sämtliche Reise- und Logiskosten der Teilnehmer, u.a. auch für den Redakteur der COMPUTERWOCHE.