Oracles Deutschland-Chef Rolf Schwirz: "Vor uns liegt ein hartes Stück Arbeit"

17.11.2005
Seit Monaten baut Oracle an seiner eigenen Service-orientierten Architektur (SOA). Nachdem die Informationen zuletzt recht spärlich flossen, fordern die Kunden konkrete Aussagen darüber, wie es weitergeht. Über die Fortschritte in der Entwicklung von "Project Fusion" sprach Oracles Deutschland-Chef Rolf Schwirz mit CW-Redakteur Martin Bayer.

CW: Welche Fragen bewegen aus Ihrer Sicht die Oracle-Kunden derzeit am meisten?

SCHWIRZ: Was treibt Oracle an? Wie kriegt Oracle alles auf die Reihe mit den Zukäufen? Das sind die häufigsten Fragen, die mir gestellt werden - egal ob von Partnern, Kunden oder Mitarbeitern.

CW: Was antworten Sie darauf?

Rolf Schwirz: "Als ich vor acht Jahren ins Unternehmen kam, war Oracle kein partnerfreundliches Unternehmen."

SCHWIRZ: Wir wollen die Kunden so zufrieden stellen, dass sie sagen können: Die Investition in Oracle-Software und -Services hat sich gelohnt. Dazu haben wir unter anderem Key Performance Indicators (KPIs) definiert. Kundenerfolg ist einer dieser Schlüsselfaktoren. Nach den Projekten fragen wir die Kunden, wie zufrieden sie waren. Die Ergebnisse kondensieren dann in KPIs, die quartalsweise überprüft werden. Von Managern, die bestimmte Werte nicht erreichen, erwarten wir schriftliche Stellungnahmen.

CW: Auch Ihre Partner waren nicht immer zufrieden.

SCHWIRZ: Als ich vor acht Jahren ins Unternehmen kam, war Oracle kein partnerfreundliches Unternehmen, um es ganz klar zu sagen. Ein gutes Geschäft war immer eines, das man selbst abgeschlossen hat. Wir waren unzuverlässig in den Partnerbeziehungen und sehr ichbezogen. Das hat sich extrem verändert. Unser Partnervertrieb macht einen hervorragenden Job. Das funktioniert aber nur, weil das mittlerweile ein Wert ist, dem sich alle verbunden fühlen. Heute werden zirka 60 Prozent unserer Lizenzumsätze entweder direkt über Partner generiert oder zumindest davon beeinflusst.

CW: Wie halten Sie Ihre Mitarbeiter bei der Stange?

SCHWIRZ: Letzten Endes machen die Mitarbeiter, die draußen beim Kunden und Partner sind, den Unterschied. Natürlich haben auch wir wie alle anderen Firmen überlegt, wie wir unsere Kosten senken könnten. Allerdings haben wir unsere Budgets für Weiterbildung nie gekürzt und werden dies auch nie tun. Zudem gibt es bei Oracle Prozesse, wonach Mitarbeiter mit Unterstützung des Managements eigene Ideen weiterverfolgen können. Erste Entwicklungen aus diesen Ideen unserer Mitarbeiter sind bereits in unsere Standardprodukte eingeflossen.

Oracles Produktstrategie

CW: Zuletzt gab es auch einige Verwirrung rund um Oracles Produktstrategie. Was sind hier die entscheidenden Treiber?

SCHWIRZ: Das Wort Fusion ist oft gefallen. Aber man muss zwischen zwei Dingen unterscheiden. Wir haben einmal unsere komplette Middleware-Suite in "Oracle Fusion Middleware" umbenannt. Zum zweiten soll unter dem "Project Fusion" bis 2008 eine neue Applikationsgeneration auf den Markt kommen. Daran arbeiten derzeit 9000 Entwickler. 3000 davon sind ehemalige Peoplesoft- und J.D.-Edwards-Entwickler. Diese sind nicht mehr nach getrennten Firmensoftwareblöcken organisiert, sondern gemischt nach Themen, beispielsweise Supply-Chain-Management oder Human Resources.

CW: Was wollen Sie damit erreichen?

SCHWIRZ: Die Entwickler sollen sich gegenseitig erzählen, wie sie Probleme gelöst und Prozesse automatisiert haben. Dabei soll die beste Lösung für die Kunden herausgefiltert werden. Dieses Wissen wollen wir allerdings nicht dazu verwenden, ein verbessertes integriertes Produkt herzustellen. Wir bauen keine neue monolithische, hoch integrierte Software, mit Schnittstellen und Stellschrauben für das Customizing. Vielmehr sollen daraus einzelne Web-Services entstehen.

CW: Was bedeutet dieser Schritt für Ihre Kunden?

SCHWIRZ: Die Web-Services lassen sich mit Hilfe unserer Middleware orchestrieren. Anwender bekommen damit Werkzeuge an die Hand, mit denen sie Prozesse modellieren und mit den dazugehörigen Softwaremodulen unterlegen können. Die Unternehmen werden dadurch agiler, weil sie schnell Veränderungen umsetzen können.

CW: Müssen sich die Anwender komplett auf die Oracle-Infrastruktur einlassen?

SCHWIRZ: Nein, sie sind nicht auf einen Hersteller festgelegt. Wenn ein Unternehmen beispielsweise Applikationen auf der Weblogic-Plattform von Bea einsetzt, aber auch überlegt, Teile des Oracle-Stacks zu verwenden, ist das kein Problem, soweit sich die Middleware-Anbieter an den Standard halten. Unsere Middleware-Produkte sind hot plugable und arbeiten problemlos mit anderen Produkten zusammenarbeiten, sowohl horizontal mit Produkten anderer Middleware-Anbieter wie auch vertikal mit Anwendungen anderer Hersteller.

Schöne Softwarewelt

CW: Von dieser schönen Softwarewelt träumen wir doch schon ziemlich lange?

SCHWIRZ: Ich bin zum ersten Mal davon überzeugt, dass es funktioniert. Softwarewerkzeuge und Standards waren noch nie so weit wie heute.

CW: Wann müssen die Oracle-Kunden umsteigen?

SCHWIRZ: Wir werden unsere Kunden auf keinen Fall zur neuen Softwaregeneration zwingen, indem wir das Wort De-Support in den Mund nehmen. Oracle hat ein unlimitiertes Commitment zur Wartung bestimmter Produkte und bestimmter Versionen abgegeben. Kunden können sich so in aller Ruhe ansehen, was wir in den nächsten Jahren entwickeln. Sie entscheiden, ob, wann und wie sie umsteigen wollen.

CW: Wie wird aus Ihrer Sicht die Reise in die neue SOA-Landschaft aussehen?

SCHWIRZ: Ich bin lange genug in dem Geschäft, um sagen zu können: Das wird kein bloßes Upgrade sein. Dieser Schritt bedeutet einen Wechsel in eine neue Welt. Ich finde aber, das ist ein faires Statement eines Herstellers. Kunden erwarten eine klare Ansprache. Fusion wird ein ganz neues Produkt mit einem zentralen Datenmodell, Grid Computing und einer offenen Middleware. Es wird auch neue Komponenten geben wie die Business Process Execution Language (BPEL) und den Business Activity Manager (BAM), die schon im kommenden Jahr für bestimmte Produkte zur Verfügung stehen sollen. Damit können die Kunden bereits anfangen, in Richtung SOA zu arbeiten.

Umstieg auf SOA?

CW: Also können die Kunden langsam Schritt für Schritt auf SOA umsteigen?

SCHWIRZ: Wie sie die Migration angehen können, dazu erarbeitet Oracle derzeit Vorschläge und White Papers, die zum Jahreswechsel herauskommen werden. SOA ist eine ganz neue Architektur. Wir tun alles, damit wir und unsere Kunden dem Wechsel entspannt entgegenblicken können. Dazu schützen wir die Investitionen unserer Kunden. Oracle hat mittlerweile eine Größe erreicht und erwirtschaftet entsprechende Margen, dass wir uns das leisten können.

CW: Aber es hat doch einige Unruhe unter den Kunden gegeben?

SCHWIRZ: Das ist normal. Mittlerweile hat sich mit unseren Supportzusagen für die bestehenden Softwarelinien die Situation soweit beruhigt, dass wir ganz kontinuierlich weiterarbeiten können. Es gibt eine Strategie und ein Konzept von Oracle. Außerdem sagen wir nicht, es ginge alles ganz leicht. Wir behaupten nicht, der Kunde brauche nur ein paar Tools, die über Nacht liefen, und schon sei er in der neuen Softwarewelt. Für uns gilt es jetzt, unsere Vision wahr zu machen. Das ist ein hartes Stück Arbeit, das da vor uns liegt.

CW: Wie kam das bei den Kunden an?

SCHWIRZ: Gut. Ich möchte unsere Antworten möglichst schnell an alle Partner und Kunden verbreiten. Unser Wettbewerb versucht derzeit natürlich, massiv unsere Kunden abzuwerben. Das meine ich nicht negativ. Im umgekehrten Fall würden wir dasselbe. Es ist jedoch eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

CW: Wie konkret können Ihre Vorbereitungspapiere zur Migration denn schon sein?

SCHWIRZ: Wie das im Detail aussieht, kann ich noch nicht sagen. Die Vorbereitungen haben ein paar Monate gedauert, weil das nicht nur eine Strategie ist, sondern dahinter bereits handfeste Maßnahmen stecken. Das bedeutet, wir haben das Szenario zunächst am Schreibtisch einmal durchgespielt, haben eine Machbarkeitsanalyse erstellt und wissen nun, welcher Weg im Detail der gangbarste ist. Jetzt sind wir dabei, die entsprechenden White Papers zu formulieren. Ich vermute mal, diese werden noch nicht so konkret sein, dass keine Fragen mehr offen bleiben. Sie werden aber schon einiges an Substanz mitbringen.

Web-Services

CW: Derzeit baut jeder Hersteller an seinen Web-Services. Werden sich diese Services untereinander verstehen, oder kocht jeder Hersteller wieder sein eigenes Süppchen?

SCHWIRZ: Ich glaube, dass wir uns komplett an die Standards halten, soweit es die gibt. Was hier passiert, ist auch eine grundlegende Veränderung des Geschäftsmodells der Softwareindustrie. Mit diesen Web-Services ist es beispielsweise denkbar, dass sich die Fertigungstiefe eines Softwareunternehmens unterschiedlich definiert, je nachdem, wo man in der Wertschöpfungskette steht. Vielleicht passt sich unsere Industrie mehr und mehr an das Modell der Automobilbranche an. Ich gehe davon aus, dass die großen Blöcke von betriebswirtschaftlichen Prozessen von großen Herstellern geliefert werden. Vertikale Zusatzausprägungen wird es von kleineren Spezialanbietern geben. Beides wird in Zukunft von Haus aus zusammenpassen, wenn sich alle an die Standards halten. Ich kann nicht beurteilen, wie das bei den Wettbewerbern aussieht, aber wir werden uns an die Standards halten.

CW: Wie lange wird es aus Ihrer Sicht dauern, bis sich SOAs in der Fläche durchgesetzt haben werden?

SCHWIRZ: Ich gehe davon aus, dass die ersten Produkte, die man wirklich nutzen kann, etwa 2008 auf den Markt kommen werden. Dann wird es die typischen Adaptionskurven geben. Ich denke, die ganze Geschichte wird uns über den Wechsel des Jahrzehnts hinaus beschäftigen. Ich bin aber davon überzeugt, dass SOA das nächste große Ding in der Softwareentwicklung sein wird - wenn die Unternehmen anständig arbeiten.