Kunden-Management im Web 2.0

Oracle versucht sich mit Social CRM als Trendsetter

27.10.2008 von Frank Niemann
Der Softwarekonzern Oracle sieht in Social CRM die nächste Entwicklungsstufe im Kunden-Beziehungs-Management. Vertriebsleute sollen mit Methoden von Facebook und Co: produktiver werden und über Web-Communities mehr über die Kunden erfahren.

Da sich Konsumenten in Web-Communities über die Qualität von Produkten und Dienstleistungen austauschen, überlegt die Softwareindustrie, wie sie davon profitieren kann. So beispielsweise Hersteller von Customer-Relationship-Management-Lösungen (CRM). Unter dem Slogan "Social CRM" vermarktet das Softwarehaus Oracle nun Bausteine, die den Anwender in die Lage versetzen sollen, die Ideen von sozialen Netzwerken im Internet für den Verkauf und die Kundenbetreuung zu verwenden.

Zu Social Media gehören beispielsweise Web-Gemeinschaften wie Facebook.com, Linkedin.com oder Xing.com, auf denen Nutzer ihr eigenes Profil erstellen können und mit Gleichgesinnten Online-Beziehungen pflegen. Über solche Netzwerke können sich beispielsweise Nutzer eines Mobilfunktelefons über die Vor- und Nachteile des Geräts unterhalten. Nach Ansicht von Experten beeinflusst Social Media die Kaufentscheidungen von Konsumenten, da sie den Empfehlungen von anderen Netzmitgliedern mehr Vertrauen schenken als den Marketing-Informationen des Herstellers.

Social CRM ergänzt klassisches CRM

Oracle entwickelt "Social CRM Applications", die die eigenen CRM-Produkte ergänzen sollen. "Transaktionale CRM-Programme werden nicht verschwinden, doch die klassischen Lösungen bekommen von der Stimmungslage unter Käufern in sozialen Netzen nichts mit", begründet Anthony Lye, Senior Vice President Oracle CRM die Entscheidung, CRM in Richtung Web 2.0 auszubauen. In Anlehnung an Web 2.0 spricht der Softwareanbieter von CRM 2.0. Dem Hersteller ist das Thema so wichtig, dass es die Tagesordnung des "Oracle CRM Executive Summit" bestimmte. Zu dieser Konferenz in Paris hatte der Konzern seine Kunden, und solche, die es werden sollen, eingeladen.

Kein Data Mining im Web 2.0

Lye zufolge geht es dabei nicht darum, aus Social-Media-Sites Daten abzusaugen. Vielmehr sollen CRM-Nutzer beispielsweise in der Lage sein, mit einem Kunden, der Mitglied eines Netzwerks ist, nach dessen Einwilligung in Kontakt zu treten. Daher arbeitet Oracle daran, die eigene CRM-Suite für soziale Netze zu öffnen. Dazu zähle, die Beziehungen, die Kunden auf Plattformen wie Linkedin.com und Xing.com untereinander pflegen, auch im Datenmodell des CRM-Systems abbilden zu können. Dabei helfen sollen Metadaten aus den Netzen, die sich das Oracle-Programm über eine Schnittstelle besorgt (der von Google entwickelten "Opensocial API"). Bestehende CRM-Software ist laut Lye nicht in der Lage, solche Beziehungsgeflechte abzubilden. Diese sehe nämlich eine Hierarchie von Käufer und Lieferant vor. In sozialen Netzwerken könne jedoch eine Person mehrere Rollen einnehmen, was sich im Datenmodell wiederspiegeln müsse.

Oracle Sales Prospector

Zu den Social CRM Applications zählt Oracle Sales Campaign. Die Nutzer sollen hier Ideen für erfolgreiche Marketing-Kampagnen abrufen können und von Erfahrungen anderer Vertriebsleute profitieren - quasi Wisdom of the crowds in der Vertriebsabteilung.

Als Beispiele für Social-Media-Ansätze in CRM bemüht Lye bereits bekannte Bausteine wie "Sales Prospector". Das Produkt ist seit diesem Sommer verfügbar. Der Softwarevertrieb bei Oracle nutzt Sales Prospector intern, um Erfahrungen über Verkaufsstrategien auszutauschen und Umsatzprognosen anzustellen. Das gemeinsame Wissen der Verkäufer soll helfen, viel versprechende Kunden und Verkaufschancen zu identifizieren. Dazu zählt, Ähnlichkeiten zwischen Softwarekunden herauszufinden und diese Informationen für den Verkauf zu nutzen. Das Modul lässt sich mit Siebel CRM, aber auch mit SAP-Software verbinden.

Nach Überzeugung von Oracle sollten Firmen bei ihren CRM-Konzepten nicht nur bestehende soziale Netze berücksichtigen, sondern selbst solche Plattformen errichten. "Kunden erwarten, dass der Hersteller eines Produkts auf seiner Website soziale Netze bereitstellt", meint Oracles CRM-Verantwortlicher Lye. Diese Systeme könnten anders als die Netze wie Facebook auf die Bedürfnisse der Käufer zugeschnitten sein und qualitativ hochwertige Informationen enthalten. Fragt sich nur, ob das diese Kunden genauso sehen. Denn ihnen dürften vom Hersteller betriebene Netze, in denen angeblich offen diskutiert wird, zunächst suspekt vorkommen.

Wo bleiben die Fusion Applications?

Wann die CRM-Software in Richtung Social Media getrimmt sein wird, lässt Oracle hingegen offen. Auch äußerte sich niemand zu den "Fusion Applications". Selbst Oracle-President Charles Phillips erwähnte in seiner Keynote auf dem CRM Executive Summit die geplanten Geschäftsapplikationen mit keinem Wort. Unter Fusion Applications versteht der Konzern neue Geschäftsapplikationen auf Grundlage einer Service-orientierten Architektur. Die Produkte sollen parallel zu den bestehenden Softwareprodukten angeboten werden, die Oracle durch den Kauf unter anderem von Peoplesoft und Siebel erworben hatte. Die ersten Programme dieser neuen Softwaregattung sollten CRM-Funktionen abdecken und bereits in diesem Jahr vorliegen. Unlängst teilte Oracle mit, dass mit den ersten Fusion Applications wohl nicht vor 2010 zu rechnen sei.

Gesprächsangebote an die vernetzten Kunden

Firmen nutzen bereits Social Media, um mehr über ihre Kunden zu erfahren. Noch geschieht das allerdings nicht auf Basis einer CRM-Software. "Wir schauen, was im Web 2.0 über uns gesagt wird", erläutert Martin Nitsche, Head of CRM bei der Dresdner Bank, die demnächst in die Commerzbank integriert wird. "Unter Umständen bieten wird dann auch ein Gespräch an, um beispielsweise kritische Sachverhalte und Unwahrheiten zu klären." Hingegen nutze die Bank das Online-Medium nicht, um aktiv mit Netzwerkteilnehmern in Kontakt zu treten. Das Finanzinstitut verwendet Siebel-Software; Nitsche nahm auf dem CRM Executive Summit an einer Expertenrunde zum Thema Social Media und CRM teil, die Oracle organisiert hatte.

Auch Diskussionsteilnehmer Gary Slater nutzt Informationen aus sozialen Netzwerken, um mehr über die Gemütslage der Kunden zu erfahren. "Wir können bei der Suche sowohl Transaktionsdaten als auch Web-2.0-Informationen zusammentragen. Früher war das nicht möglich." Slater ist IT-Chef bei Business & Networks North East aus Großbritannien, einer staatlich finanzierten Organisation, die Unternehmensgründer unterstützen soll. "Kunden sagen zwar am Telefon, was sie wollen, sie tun das aber auch auf Facebook." Slater ist wie Nitsche Oracle-Anwender und hatte Anfang des Jahres die Mietlösung "Oracle CRM On Demand" in Betrieb genommen.

Social Media nicht überbewerten

Doch überbewerten wollen die Anwender die Bedeutung der Online-Plattformen auch nicht. Nitsche zufolge gewinnt die Dresdner Bank zwischen 30 bis 60 Prozent der Neukunden durch Empfehlungen von Teilnehmern sozialer Netzwerke. Allerdings, so der CRM-Experte, handele es dabei bei weitem nicht nur um Internet-gestützte Netze.