Open Source statt nur Linux

20.11.2006
Wenige Tage vor der Kölner Linuxworld hatten Manöver von Oracle und Microsoft für Schlagzeilen gesorgt. Der Trend zu Open-Source-Anwendungen galt auf der Kongressmesse trotzdem als unaufhaltsam.

Von CW-Redakteur Ludger Schmitz

Bye-bye "Linux"-World?

Erstmals fand die Linuxworld in diesem Jahr in Köln statt. Nach sechs Veranstaltungen in Frankfurt am Main scheint sich der Ortswechsel auf den ersten Blick nicht gelohnt zu haben. Zu verzeichnen waren weniger Ausstellungsfläche, weniger Aussteller und weniger Besucher; die Zahlen lagen bis Redaktionsschluss nicht vor. Unübersehbar ist wie auch schon beim konkurrierenden "Linuxtag", dass das Thema Linux alleine nur noch wenige Interessenten aus dem Schreibtischstuhl auf eine Messe zieht.

Erreicht wurde nach Veranstalterangaben das Ziel, zusätzliche Zielgruppen anzusprechen. Neue Besucher seien vor allem aus der öffentlichen Verwaltung (unübersehbar durch etliche Uniformträger), aus dem produzierenden Gewerbe (hier viele Mittelständler) und von Telekommunikations-Dienstleistern gekommen. 75 Prozent der Besucher waren laut Veranstalter erstmals auf der Linuxworld.

Die Aussteller berichten durchweg, wegen Linux sei kaum ein Besucher erschienen. Das Interesse richtete sich stattdessen auf konkrete Open-Source- Lösungen. Der Titel "Open-Source-World" hätte also eher als der jetzige Messename dem Informationsbedürfnis entsprochen und vielleicht auch mehr Besucher angelockt.

Enttäuschend dürfte für die Besucher das Fehlen berühmter Anbieter gewesen sein. Obwohl sie inzwischen ein reges bis geschäftskritisches Interesse an Linux und Open-Source-Lösungen haben, waren sämtliche Branchengrößen nicht oder nicht adäquat vertreten.

Eine Ausnahme war die Virtualisierungskonferenz im Rahmen der Linuxworld. Ihrem Organisator, IBMs Linux-Evangelist Tom Schwaller, ist es gelungen, sämtliche Player in diesem IT-Segment zusammenzutrommeln. Auch hier ging es nicht um eine Betriebssystem-Plattform, sondern um Möglichkeiten, Probleme und Wege der technischen Realisierung. Prompt saßen die vielen prominenten Sprecher einem internationalen Publikum mit Gästen aus Saudi-Arabien, Kuwait, Russland und dem europäischen Ausland gegenüber.

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www.computerwoche.de/

569069: Trends der Linuxworld 2005;

1216878: Microsofts Allianz mit Novell;

1216590: Oracle-Angriff auf Red Hat;

1216597: Das Softwareangebot im Linux-Umfeld;

Der Entwicklungsstand quelloffener Anwendungen

Gruppe Produkte Reife

Unternehmensanwendung SugarCRM, Compiere, Ohioedge H H

Collaboration Zope, Drupal, phpBB, Nukes, Postnuke H H

Content-Management Alfresco, OpenCMS, Apache Lenya, Typo3 H H H

Informationsportale Jetspeed, Zope, uPortal, Liferay H H

Suchmaschinen Apache Lucene, ht://Dig H H

Prozess-Management Openflow H

Entwicklungs-Tools Eclipse, Netbeans, PHP, Perl, Struts, Hibernate, Spring H H H H H

Integrationsdienste Openadaptor H

Enterprise Service Bus Celtix, ServiceMix, Synapse, Mule, Open-ESB H

Applikations-Server Jboss, Jonas, Geronimo H H H H

Directory Services OpenLDAP H H H

Datenbanken MySQL, PostgreSQL, Ingres H H

Sicherheit Snort, Nessus H H H H

Betriebssysteme Linux, FreeBSD H H H H

Virtualisierung Xen H H

Derzeit billigen die Analysten von Gartner nur den Open-Source-Anwendungen in wenigen Einsatzbereichen einen genügenden Reifestand zu. Allerdings sind viele bekannt gute quelloffene Programme, wie unter anderem Samba, Firefox und Open Office, nicht in ihre Bewertung eingeflossen. Quelle: Gartner

Es ist überall einfach da und selbstverständlich: Linux. Niemand hält noch flammende Reden über seine Vorteile. Wer von einem "Nischenprodukt" redet, erntet bestenfalls ein bemitleidendes Lächeln - auch von Leuten, die "Closed-Source"-Software verkaufen. An Linux kommt keiner mehr vorbei, kein Anwender und kein Anbieter.

Firmenstrategien im Wandel

"Sie versuchen nur, sich auf Linux einzurichten", war dann auch ein gängiger Kommentar zu den jüngsten Manövern von Oracle und Microsoft. Oracle will einen Red-Hat-Clone herausbringen und Supportservices auch für Umgebungen des Distributors zum halben Preis anbieten. Microsoft verspricht in einem Vertrag mit Novell den Entwicklern von Suse Linux, eventuelle Patentverletzungen durch das quelloffene Betriebssystem nicht zu verfolgen. Beides sieht nach einem Angriff auf Red Hat aus und damit auf einen der wichtigsten Codelieferanten für Linux.

Aber das macht der Szene größtenteils herzlich wenig Sorgen. Hinter vorgehaltener Hand gibt es Stimmen, die es durchaus begrüßen würden, wenn Oracle Red Hat dazu bewegen könnte, Mängel im Support des Distributors zu beheben. Oracle wolle den Distributor nicht zerstören, sondern brauche ihn als Erst- entwickler für sein geplantes Linux.

In Bezug auf Linux werde eine Umschichtung der Marktverhältnisse allenfalls geringfügig zu Ungunsten von Red Hat ausfallen. Die Stoßrichtung von Oracle könne vielmehr eine ganz andere sein: Microsoft. Denn mit dem durchaus attraktiven Angebot von Support und Services für das Betriebssystem und die Datenbank aus einer Hand würde Ellisons Team den SQL-Server-Vertriebsbeauftragten aus Redmond ein vorteilhaftes Argument zunichte machen. Die Frage sei nur, ob Oracles Support seinen lädierten Ruf wieder aufpolieren könne, hieß es auf der Linuxworld.

Unbestimmbar sind die Folgen der Allianz zwischen Microsoft und Novell. Letzterer Anbieter hat sein Image als "Netware-Company" dadurch bestätigt, dass er in Sachen Patente ostentativ mit Redmond Frieden geschlossen hat. Die Absolution von Microsoft könne manche Anwender eher zu Novell als zu Red Hat neigen lassen. Aber nur vielleicht. Denn Novell rede zwar viel von Linux, in der Praxis aber verdiene jeder Vertriebsbeauftragte ein Vielfaches mehr mit einem Vertrag über "eDirectory" als über Suse. Damit wäre Linux als Thema eigentlich durch gewesen, wäre da nicht Dirk Hohndel gewesen.

Linux ist weitere Mühe wert

Der einstige Cheftechniker von Suse und heutige oberste Open-Source-Stratege von Intel widersprach in seiner Keynote-Rede der zu euphorischen Ansicht, Linux sei "ein alter Hut", der keine Mühe mehr wert sei. Gut bis sehr gut seien die Perspektiven für das Betriebssystem im Embedded-Bereich und selbst bei noch problematischen Umgebungen mit tausenden Servern. Allerdings müsse das Thema Sicherheit bei Linux mit seiner zunehmenden Verbreitung und damit wachsenden Attraktivität für Hacker auf die Tagesordnung.

Am anderen Ende, im Desktop-Bereich, schaue die Lage trister aus, so Hohndel: "Linux auf dem Desktop ist weit davon entfernt, den Anforderungen der Benutzer gerecht zu werden." Es sei "absolut unbrauchbar", wo Microsoft-Office-Dokumente verarbeitet werden müssen. Unproblematisch sind Linux-Desktops da, wo es nur um Dateneingabe geht, wo also im Prinzip wie zu Mainframe-Terminal-Zeiten Eingabefelder - heute in einer schicken Benutzeroberfläche - gefüllt werden. Das ist beispielsweise bei vielen Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung oder bei Banken, Versicherungen und im Handel der Fall.

Jetzt geht’s um Anwendungen

Nicht um Linux, auch nicht um Linux-fähige Applikationen, sondern um quelloffene Anwendungen ging es den meisten auf der Kölner Kongressmesse. So zeigte sich der langjährige Oracle-Topmanager und heutige Ingres-Technikchef Dave Dargo im Gespräch mit der computerwoche überzeugt, "der einst mit Linux begonnene Trend findet seine Fortsetzung bei Open-Source-Anwendungen". Deren unschlagbar niedriger Preis werde die Lizenzkosten proprietärer Software deutlich drücken und die Qualität des Supports zum kaufentscheidenden Kriterium machen. Das sei ohnehin an der Zeit: "Heute zahlt man mit Lizenzen nicht für Innovationen, sondern man finanziert Firmenübernahmen."

Die zunehmende Verbreitung von Open-Source-Software in deutschen Behörden und die Folgen für die IT-Unternehmen hat das Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) untersucht. Nach den Ergebnissen verfolgen 59 Prozent der öffentlichen Verwaltungen die Umstellung auf Open Source als Teil ihrer mittel- oder langfristigen IT-Strategie.

Chance für kleine IT-Anbieter

Fast jede vierte Einrichtung hat, vor allem auf Server-Ebene, proprietäre Betriebssysteme abgelöst. 21 Prozent führen mit neuen Fachanwendungen quelloffene Lösungen ein. Der mehrheitliche Rest (56 Prozent) verfolgt einen schrittweisen Übergang, wobei die Desktops und ihre Office-Anwendungen an erster Stelle stehen.

Nur ein Viertel der öffentlichen Verwaltungen haben für ihre Projekte IT-Anbieter in Anspruch genommen. In 83 Prozent dieser Fälle kamen kleine regionale Firmen zum Zuge. Immerhin sparten 47 Prozent der öffentlichen Verwaltungen mehr als die Hälfte ihrer Lizenzkosten ein. Auch dies zeigt an, dass nicht nur beim Betriebssystem, sondern auch bei Anwendungen der Umstieg auf Open Source vollzogen wird. Außer dem finanziellen Aspekt heben die Verantwortlichen die größere Unabhängigkeit von Herstellern hervor.

Strukturwandel im IT-Markt

Auf der Seite der IT-Anbieter hat Open Source ebenfalls zu starken Veränderungen geführt. Bei rund einem Viertel macht quelloffene Software heute mindestens 25 Prozent ihres Umsatzes aus. Ein Drittel dieser Anbieter halten sich ohne Open-Source-Programme im Angebot für nicht mehr überlebensfähig. 71 Prozent bieten quelloffene Applikationen als Alternative zu proprietären an. Auch von den Open-Source-abstinenten Anbietern glauben zwei Drittel, dass quelloffene Programme an Bedeutung gewinnen werden.

Von einem "tief greifenden Strukturwandel im IT-Markt" redet inzwischen Hans-Ulrich Schmid von der Wirtschafts- förderung Region Stuttgart GmbH: "Open Source ist kein Strohfeuer."

Die Gewichte auf IT-Anbieterseite hätten sich verlagert: von einst wenigen großen Firmen zu immer mehr und kleineren Dienstleistern, die näher am Kunden seien. Für Schmid heißt das: "Open-Source-Ökonomie bedeutet Softwareversorgung à la carte statt Stammessen."

Die bundesdeutschen und EU-Fördermittel müssten nicht erhöht werden; Schmid fordert eine andere Verteilung: "Man sollte die Gelder auf Open-Source-Software umschichten." Und zwar aus gutem Grund gerade in diese Richtung: "Wenn Code schon öffentlich gefördert wird, dann sollte er auch öffentlich zugänglich sein." Schmid bemängelt ferner die Verwendung proprietärer Dateiformate durch die öffentliche Hand. "Das ist durch nichts zu rechtfertigen." Die Bundesregierung solle wie in Belgien und den Niederlanden die Verwendung offener Standards vorgeben.

Darauf mag Schmid allerdings nicht warten. "Wir brauchen über die Open-Source-Pioniere hinaus mehr Bewegung auf der Anwenderseite. Es ist Zeit, auf den Open-Source-Zug aufzuspringen. Der Weg ist frei."