Büffeln mit dem Klick

Online-Lernwelten brauchen noch fundierte Inhalte

10.03.2000
Der Run auf das Internet verschafft den neuen Lernwelten eine zunehmende Akzeptanz. Große Firmen können ihre Mitarbeiter durch Online-Training besser und schneller fit machen. Noch möchte sich aber niemand nur auf die virtuellen Lernwelten verlassen.Von Ingrid Weidner*

Wie werden wir in fünf Jahren lernen? Macht das Internet das Klassenzimmer-Prinzip und damit die Lehrer oder Trainer überflüssig? Die Bildungsexperten beschwichtigen: Online-Lernen wird das traditionelle Präsenzseminar nicht verdrängen. "Wir haben es in Zukunft mit einem Medienmix zu tun", prophezeit Winfried Sommer, Initiator der Karlsruher Bildungsmesse Learntec und Professor an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe. "Das Präsenzlernen erhält eine andere Funktion: weniger, aber qualifiziertere Seminare werden angeboten."

Allerdings ist momentan die technische Entwicklung der Plattformen und Portale wesentlich weiter fortgeschritten als die digital verfügbaren Inhalte. "Die Entwicklung des Content hinkt hinterher und ich sehe durchaus die Gefahr, dass uns die Technik überrollt", so Sommer. Das liegt auch daran, dass gerade bei den Hochschulen und in der Forschung der Trend zu spät erkannt worden sei. Akademische Vorbehalte gegen Online-Learning gehörten lange Zeit zum guten Ton.

Doch die Welt der Wissenschaft ist dabei, sich ernsthaft mit Online-Learning zu beschäftigen. "Das Thema explodiert zur Zeit", sagt Sommer. Rund 60 Projekte an deutschen Hochschulen bestätigen seine Einschätzung. Baden-Württemberg schrieb bereits vor drei Jahren das Programm virtuelle Hochschule (http://www.virtuelle-hochschule.de) aus. Zahlreiche Projekte wie der virtuelle Hochschulverbund Karlsruhe oder Docs On Drugs, eine virtuelle Poliklinik der Universität und Fachhochschule Ulm, erhalten finanzielle Unterstützung.

In der betrieblichen Ausbildung gewinnen Online-Trainings immer mehr Bedeutung. Der Elektrokonzern Robert Bosch entwickelt für den Bereich Automationstechnik eine ganze Reihe "Web Tr@iner Programme", um Auszubildenden die Grundlagen der Hydraulik und Pneumatik näher zu bringen. Kombiniert mit Bausätzen und Übungsaufgaben, bleibt es keine virtuelle Spielerei.

"Mit dem Web Tr@iner ermöglichen wir den Auszubildenden interaktives Lernen auf Multimedia-Basis mit konkreten Übungsanleitungen. Dort integrieren wir Virtual Reality, 3D-Simulation und Videosequenzen", erklärt Werner Mehrling von Bosch. Die verschiedenen Web-Trainer ergänzen und unterstützen den Unterricht. Gleichzeitig schaffen sie neue Lernanreize durch Simulationen und Übungen. Überflüssig wird der Ausbilder auch hier nicht. Lediglich seine Rolle ändert sich.

Der Weiterbildungsmarkt ist momentan noch stark fragmentiert. Selbst die großen Anbieter können jeweils höchstens ein Prozent des Marktanteils abdecken. Deshalb sehen sich gerade Technikhersteller, aber auch die Content-Anbieter nach Kooperationspartnern um. Künftig stehen im Bildungsmarkt vermutlich Fusionen an, denn wer Inhalte und Technik sinnvoll kombiniert, hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz. "Momentan ist der Online-Trainingsmarkt noch klein. Schätzungen gehen aber von einem jährlichen Wachstum von 100 Prozent aus", sagt Peter Agertoft, CEO der britischen Futuremedia. Mit deren Lernplattform Solstra arbeiten bereits über 130000 lizenzierte User. Zu den Kunden des an der Nasdaq notierten Unternehmens gehören HP, Ford und British Telecom.

Der Versicherungskonzern Allianz nutzt für die interne Erstausbildung eine Web-basierte Lernplattform der Trilog-Gruppe, Kirchheim bei München. Mit einer Mediathek, die als Datenbank integriert ist, kann das Unternehmen seine gesamten Medien und Maßnahmen verwalten.

Der israelische Trainingsanbieter Gilat Communications geht mit "Interactive Distance Learning" noch einen Schritt weiter. "Train Net" nutzt Videoübertragungen, Sprache und Text, um die Kommunikation und Interaktion interessanter zu gestalten. Technologiebasierte Inhalte eignen sich besonders gut für diese Lernform. Lange Reisewege für Gruppenmeetings werden damit überflüssig. Das Unternehmen zählt neben der Open University Israel auch den Standardsoftwarehersteller Peoplesoft zu seinen Kunden.

Interwise hat mit "Millennium" eine E-Learning-Plattform für Internet-basiertes Echtzeittraining entwickelt. 1994 in Tel Aviv gegründet und mit Firmensitz in Santa Clara, Kalifornien, befindet sich das Unternehmen auf Expansionskurs. 1999 eröffnete Interwise eine europäische Zentrale in Lausanne, Anfang dieses Jahres kam ein Büro in Heidelberg dazu. Francis Francis, Marketing Manager Europe, sieht den großen Vorteil der Plattform in den Live-Lernmöglichkeiten. Communities erleichtern und motivieren die Lernenden, da sich mehrere Teilnehmer über Texte ähnlich einem Chatroom und gesprochener Sprache austauschen können. Allerdings verzichtet Interwise im Gegensatz zum Konkurrenten Gilat auf Videoübertragung der Lernenden, da diese ihrer Meinung nach weder die Motivation noch den Lernerfolg erhöht. Die SAP AG nutzt bereits "Millennium", um die interne Verwaltung, Verkäufer im Außendienst, Mitarbeiter und Kunden live für Mysap.com und neue Applikationen zu trainieren.

Mit einem eingekauften Bildungsprogramm löst sich jedoch das Thema Weiterbildung für die Unternehmen auch in Zukunft nicht. Wenn die Personalentwickler den Slogan "Lebenslanges Lernen" ernst nehmen, beginnt ihre Arbeit erst nach dem Kauf eines Web-based Trainings (WBT): Ein sinnvolles Curriculum für jeden Mitarbeiter, das auf individuelle Wünsche und Präferenzen eingeht, steht ganz am Anfang des Trainings. Anreize sind notwendig, damit die Lernenden selbst aktiv werden und sich engagieren. Teletutoren, Austauschforen und ergänzende Präsenzphasen können motivierend wirken. Darum setzt auch Siemens Qualifizierung und Training auf ein "hybrides" Lernkonzept: Dieser Ansatz schließt nicht nur technische Vermittlungsmethoden wie WBT, Digital Versatile Disc (DVD) oder Computer-based Training (CBT) ein, sondern auch die persönliche Betreuung des Lernenden durch Telechoaches am Bildschirm und Trainer in Präsenzseminaren.

Allerdings erledigen sich auch im Online-Paradies die Lernaufgaben nicht von allein. Ohne Engagement und Fleiß bleibt das schönste Lernprogramm eine bunte Bilderwelt mit mindestens sieben Siegeln. Zugleich müssen sich die Mitarbeiter bewusst sein, dass gerade beim Lernen mit Internet und Fernsehen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwinden. Dass die überall verfügbare Technologie die Voraussetzung für eine permanente Weiterbildung - auch außerhalb der Arbeitszeiten - schafft, sehen Bildungsanbieter nur positiv. Schließlich gehe es um das persönliche und berufliche Weiterkommen. "Die Leute bilden sich in Zukunft weiter, um ihren eigenen Marktwert zu steigern", ist Nils Jörgenson, Geschäftsführer vom Multimedia-Lernprogrammanbieter Xebec McGraw-Hill, Basel, überzeugt.

* Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.

Gut geplant ist halb gelerntMultimediales Lernen mausert sich zur echten Alternative für lange und teure Präsenzseminare. Der Leitfaden für Entscheider und Planer von Beate Bruns und Petra Gajewski "Multimediales Lernen im Netz" hilft kompetent weiter, damit lernwillige nicht vor der Masse der bunten Klickwelten kapitulieren müssen. Die Autorinnen berücksichtigen die didaktisch-methodischen Fragen ebenso wie technische Hard- und Softwareanforderungen, Design, Konzeption und Realisierung. In knapper und übersichtlicher Form können sich Personalexperten einen schnellen Überblick verschaffen und zahlreiche Tipps für ihr eigenes Unternehmen nutzen.

Multimediales Lernen im Netz folgt ganz eigenen Gesetzen. Anhand eines möglichen Projekts zeigen die Autorinnen, wie die praktische Umsetzung aussehen könnte, einschließlich eines zeitlichen Rahmenplans. Adressen, Illustrationen und Literaturhinweise ergänzen jedes Kapitel. In den gelungenen Leitfaden floss die langjährige Erfahrung der beiden Autorinnen ein.

Beate Bruns, Petra Gajewski: Multimediales Lernen im Netz. Leitfaden für Entscheider und Planer. 2. Aufl. 2000, Berlin Heidelberg, Springer-Verlag.