Cassoni zur Schwäche der europäischen D V

Olivetti: Europäer können mit Open Systems überleben

24.05.1991

MAILAND (hv) - Drei Wege wählen europäische DV-Unternehmen derzeit, um aus ihrer wirtschaftlichen Dauermisere herauszukommen, erläuterte Olivetti-Managing-Director Vittorio Cassoni vor Geschäftspartnern in Mailand. Sie bieten sich amerikanischen oder japanischen Konzernen zum Kauf an, verlassen sich auf staatliche Unterstützung oder schließen ganz einfach ihre Tore.

Ein düsteres Bild vom europäischen DV-Markt malte Cassoni vor etwa 700 Besuchern des von Olivetti Systems & Networks veranstalteten Europäischen Softwareforums, auf dem Systems Partner ihre Produkte präsentierten und Geschäftskontakte pflegten. Mehr als 80 Prozent der weltweiten IT-Nachfrage würden von amerikanischen und spanischen Unternehmen befriedigt, nur zehn Prozent von Europäern.

Einerseits sei die DV-Produktion der Alten Welt einer äußerst harten Konkurrenz durch japanische und amerikanische Konzerne ausgesetzt, andererseits werde aber rund ein Drittel des gesamten Weltumsatzes in Europa generiert - dem zweitgrößten Absatzgebiet überhaupt. In Japan sei das Verhältnis genau umgekehrt: Die DV-Riesen aus Nippon decken mit ihren Produkten laut Cassoni ein Drittel der Weltnachfrage ab, während japanische DV-Nutzer nur 14 Prozent des Weltmarktes beanspruchen.

Wie kommt es zu diesem Ungleichgewicht? Der Olivetti-Manager ist um Antworten nicht verlegen: Dollar und Yen seien in jüngster Zeit im Vergleich zum ECU deutlich abgewertet worden, ein Trend, der zu verstärkten Investitionen japanischer und amerikanischer Anbieter in Europa geführt habe. Während in den USA seit 1989 eine Rezession um sich greife Cassoni betonte, daß auch die Umsätze amerikanischer DV-Unternehmen stagnieren - sei die Nachfrage in Europa nicht nur stabil, sondern sogar überproportional steigend. Die verstärkte Präsenz von US- und japanischen Konzernen zwinge Europas DV-Industrie in die Knie und mache sie technologisch abhängig. Die Abwertung von Dollar und Yen, so der Olivetti-Manager weiter, hätten eine besonders negative Auswirkung auf die Lira und damit auch auf den italienischen Hersteller Olivetti generell gehabt. Schließlich erziele sein Unternehmen 65 Prozent des Umsatzes in Ländern, deren Währung gegenüber der Lira abgewertet worden sei.

Cassoni sieht Licht um Ende des Tunnels

Problematisch gestalte sich in Europa auch die Entwicklung der Löhne. Zwischen 1988 und 1990, so Cassoni, sei das Lohnniveau in der DV-Industrie in den USA um neun, in Japan um zehn Prozent gestiegen - in Europa dagegen hätten sich die Lohnkosten um bis zu 30 Prozent erhöht, Olivettis Konsequenz: Inzwischen sollen im Rahmen einer umfassenden Konsolidierungsaktion insgesamt 7000 Mitarbeiter entlassen werden; entweder stehen die Angestellten bereits als Vorruheständler auf der Straße oder sie müssen in nächster Zeit mit ihrer "Freistellung" rechnen. "Wir gehen zwei schweren Jahren entgegen, aber wir sehen das Licht am Ende des Tunnels", betonte der Sprecher.

Cassoni unterscheidet in seiner historischen Begründung der DV-Misere zwei verschiedene Typen von Anbietern. Companies der ersten Generation, wie etwa Univac, Burroughs, Control Data oder Honeywell, hätten entweder fusioniert oder spielten am Markt keine Rolle mehr. Unternehmen wie DEC oder Data General, ebenfalls schon lange am Markt, könnten heute - ebenso wie die Europäer - kaum mit erfreulichen

Erträgen und Bilanzen aufwarten.

Von den frühen 70ern bis in die 80er Jahre hinein sei dann eine zweite Generation zu weltweiter Marktbedeutung gelangt, zu der Cassoni US-Anbieter wie Sun, Apple oder Compaq zählt. "Die europäische DV-Industrie", so das Resümee des Olivetti-Managers, "war nicht in der Lage, sich dieser zweiten Welle anzuschließen."

Heute versuchten die Krisenunternehmen, die Hauptquellen ihrer Gewinne zu verlagern und sich an die zweite DV-Welle anzuhängen. Open Systems und neue Plattformen würden vermehrt von europäischen Unternehmen angeboten. Hier sieht der Olivetti-Manager auch für sein Unternehmen die einzige Überlebenschance. Cassoni versicherte, daß die Italiener diese Marktentwicklung früher begriffen hätten als andere europäische Player.

Entsprechend präsentierte der Managing Director sein Unternehmen als einen der letzten profitablen europäischen DV-Anbieter. 1990, das bisher schlechteste Geschäftsjahr, hatte dem Konzern immerhin noch einen konsolidierten Nettogewinn von 82,6 Millionen Mark beschert - im Vorjahr konnten allerdings 277,4 Millionen Mark verbucht werden. Der Umsatz war mit 12,4 Milliarden Mark in etwa gleich geblieben.