Standard-Lizenzverträge zu 70 Prozent ungültig

" Ohne Gewähr " ist auch bei DV-Vertägen nicht mehr drin

31.01.1992

Wirtschaft und Verwaltung sind heutzutage in vielfältiger Weise von der elektronischen Datenverarbeitung abhängig. Sei es durch Telekommunikationsdienste, Computer Integrated Manufacturing oder lokale Netzwerke-EDV ist eine unersetzliche Stütze für moderne Produktions- und Vertriebssysteme. Der Einsatz von EDV hat aber auch seine Schattenseiten: Computer, Hardware wie Software, sind anfällig für Fehler.

Es kann daher nicht verwundern, daß der EDV-Einsatz eine Fülle von rechtlichen Fragen aufgeworfen hat, die bislang nur teilweise und nicht immer zufriedenstellend gelöst worden sind Insbesondere die Gewährleistung für Hard- und Softwarefehler sowie ihre Regelung in allgemeinen Geschäftsbedingungen bereitet allen Beteiligten -Herstellern, Verkäufern, Anwälten und Richtern - erhebliche Schwierigkeiten. Vor allem folgende Fragen werden von den Gerichten unterschiedlich beantwortet und machen damit immer wieder Probleme:

- Wann beginnt die Verjährungsfrist bei Gewährleistungsansprüchen? Mit dem Kauf oder der Installation eines Computerprogramms-oder wenn der Käufer das Programm ausdrücklich als einwandfrei abgenommen hat?

- Welche Rügepflichten treffen den Käufer? Wie genau muß der Anwender angebliche Fehler spezifizieren?

- Wofür muß der Verkäufer haften? Umfaßt seine Haftung auch den Verlust von Daten? Oder entgangenen Gewinn?

- Wie können sich die Parteien eines EDV-Vertrages gegenüber den gefährlichen Haftungs- und Gewährleistungsrisiken vertraglich absichern?

- Welche besonderen Gefahren entstehen durch den Vertrieb von EDV-Produkten über Leasing oder Shareware?

Die Lösung dieser Fragen wird noch dadurch verkompliziert, daß es neuere höchstrichterliche Entscheidungen und aktuelle Gesetze zu diesem Bereich gibt, die in der EDV-Branche kaum bekannt sind:

- Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 4. November 1987 ausdrücklich klargestellt, daß der Erwerb von Standardsoftware zumindest gewährleistungsrechtlich als Sachkauf anzusehen ist. Diese Entscheidung hat gravierende Folgen für die Gestaltung allgemeiner Geschäftsbedingungen: Klauseln, die eine Gewährleistung und Haftung ausschließen oder auf Ansprüche gegen den Hersteller beschränken, sind damit unwirksam.

- Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 7. März 1990 die Frage untersucht, ob und wann der Käufer eines EDV-Komplettsystems wegen Mängeln an der Software das gesamte System, also auch die (fehlerfreie) Hardware zurückgeben kann. Das Gericht vertritt hier neuerdings eine restriktivere Haltung und hat eigene Kriterien für eine Gesamtwandelung beziehungsweise einen Gesamtrücktritt konzipiert.

- Seit dem 1. Januar 1991 ist das bei den Vereinten Nationen definierte Kaufrecht unmittelbar wirkendes Bundesrecht. Es gilt für alle Kaufverträge über Waren, sofern die Parteien ihre Niederlassungen in unterschiedlichen Vertragsstaaten haben. Das UN-Kaufrecht sieht eine völlige Neukonzeption des Gewährleistungsrechtes auch beim grenzüberschreitenden Kauf von Software vor, die zum Beispiel eine garantieartige Haftung des Verkäufers für alle Arten von Schäden einschließlich des entgangenen Gewinns beinhaltet.

- Das seit dem 1. Januar 1990 geltende Produkthaftungsgesetz ergänzt diese Haftung des Verkäufers um eine verschuldensabhängige Einstandspflicht für alle durch EDV verursachten Schäden .

Vertragsformular auf Wirksamkeit überprüfen

Für alle, die mit EDV-Produktion und -Vertrieb zu tun haben, ist es von besonderer Bedeutung, sich diesen rechtlichen Problemen zu stellen. Insbesondere sind die bestehenden Vertragsformulare auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. l Sieht man sich zum Beispiel die Geschäftsbedingungen der großen Softwarehersteller einmal kritisch an, so fällt auf, daß zirka 70 Prozent der dort verwendeten Klauseln unwirksam sind. Hier manifestiert sich eine gefährliche Schlampigkeit, die ein EDV-Unternehmen bei Streitigkeiten mit dem Anwender teuer zu stehen kommen kann. Nur durch umfassende Kenntnis des aktuellen Gewährleistungsrechts lassen sich solche Risiken aus der Welt räumen.

Dr. Thomas Hoeren ist Lehrbeauftragter für EDV-Recht und wissenschaftlicher Assistent an der Universität Münster. Heiner Beckmann ist seit 1987 als Richter in dem für

Computerrechtsstreitigkeiten zuständigen Fachsenat des Oberlandesgerichts Hamm tätig.