Interkulturelle Herausforderung

Offshoring verändert Job-Anforderungen

04.11.2011 von Hans Königes
Indisch-deutsche Zusammenarbeit gehört in Beratungshäusern mittlerweile zum Alltag. Dennoch sollten beide Seiten gründlich darauf vorbereitet werden, wie das Beispiel Capgemini zeigt.

Früher waren Informatiker vor allem mit dem Entwickeln und Pflegen von kundenspezifischen IT-Systemen in den IT-Anwenderbranchen beschäftigt - einem weitgehend stabilen und auch relativ homogenen Umfeld. "Das hat die Anforderungen an die Ausbildung geprägt", erklärt Mathias Weber, Bereichsleiter IT-Services beim Branchenverband Bitkom. Im Fokus hätten fachliche Inhalte gestanden. "Heute entwickeln internationale Teams IT-Systeme an mehreren Standorten", beobachtet Weber. Auf diese Anforderungen müssten die IT-Experten in der Ausbildung vorbereitet werden. "Die global verteilte Entwicklung und Lieferung von IT-Systemen setzt voraus, dass die Zusammenarbeit in solchen Teams funktioniert", erklärt der Bitkom-Mann. Voraussetzung dafür sei, dass die IT-Profis über entsprechende Sprachkenntnisse verfügen und interkulturell geschult sind.

Gesucht: Der weltoffene Kollege

Julia Andersch, Capgemini: "Nicht nur die indischen, auch die deutschen Kollegen müssen lernen, global zu denken."
Foto: Capgemini

Julia Andersch, Leiterin HR-Marketing und Recruiting bei der Management- und IT-Beratung Capgemini, sieht die Veränderung des Berufsprofils ähnlich. Hat ihr Unternehmen noch vor Jahren "einfach nur" 300 Generalisten im Techniksektor gesucht, sind heute für Projekte mit weltweit verteilten Teams Informatiker mit ganz speziellen Fähigkeiten gefragt - und zwar weltoffene Mitarbeiter, die sensibel sind und sich gerne mit anderen Menschen und Kulturen beschäftigen.

Im Idealfall verfügt der potenzielle Mitarbeiter über ausgezeichnete Englischkenntnisse sowie eine Kombination aus Technik- und sozialer Kompetenz. Die Personal-Managerin gibt zu bedenken, dass Projekte mit weltweit verteilten Teams durchaus ihre Tücken haben.

Auch bei Capgemini sei man in den ersten Offshoring-Projekten davon ausgegangen, dass die indischen Kollegen lernen müssten, in europäischen Strukturen zu arbeiten. "Dieser Blickwinkel war einseitig. Genauso wichtig ist es, dass die deutschen Kollegen bereit sind, global zu denken und zu handeln", meint die Personalerin heute. Zum Erfolg beigetragen hätten ein konstantes indisches Team, Erfahrungsberichte von Mitarbeitern, die über globale Erfahrung verfügten, und spezifische Schulungen, an denen deutsche und indische IT-Profis gemeinsam teilnehmen.

Arbeiten an der Kundenschnittstelle

Jeannette Sacharowa, Capgemini: "International zu arbeiten war ursprünglich nicht mein ausdrücklicher Wunsch."
Foto: Capgemini

Jeannette Sacharowa kam vor drei Jahren zu Capgemini. Die Wirtschaftsinformatikerin ist als fachliche Chefdesignerin in einem Projekt tätig, in dem Software für einen großen deutschen Automobilhersteller entwickelt wird.

Mit Hilfe dieser Software sollen Prozesse im Anlauf- und Änderungs-Management unterstützt werden. Sacharowa stimmt die fachlichen Anforderungen mit dem Kunden auf Deutsch ab und transferiert sie in das englischsprachige Team. Die Softwareexpertin sieht sich als Schnittstelle zwischen Kunde und Entwicklerteam. In der Hochzeit des Projekts waren von den bis zu 60 Teammitgliedern knapp 40 in Indien tätig. "International zu arbeiten war ursprünglich nicht mein ausdrücklicher Wunsch, ich bereue es aber keineswegs, dass mich mein beruflicher Weg dorthin geführt hat", kommentiert Sacharowa.

Einstellen auf andere Mentalität

Die indischen Kollegen hat sie bei einem einwöchigen Aufenthalt in Mumbai näher kennen gelernt. Als Erstes sei ihr aufgefallen, dass die Softwareprofis, anders als es ihre deutschen Kollegen gewöhnt sind, in einem Großraumbüro arbeiten. "Auffallend war auch die persönliche Atmosphäre, die im Team herrschte", so Sacharowa. Es sei viel über Privates gesprochen worden. Unterschiede gibt es der Chefdesignerin zufolge auch in puncto Mentalität. Man habe sich erst aneinander herantasten müsse.

Mit der Zeit aber lernten die Projektmitarbeiter, Gestik und Verhalten des Gegenübers richtig zu interpretieren. Wenn ein indischer Kollege beispielsweise eine Frage wiederhole, sei das fast immer ein Zeichen dafür, dass es zu einem Punkt noch Klärungsbedarf gebe: "Probleme oder Missverständnisse haben die indischen und deutschen Kollegen aber nach einer gewissen Zeit gut in den Griff bekommen." Zum Erfolg der virtuellen Zusammenarbeit trage auch bei, dass hiesige Capgemini-Mitarbeiter ihre Erfahrungen mit ausländischen Kollegen im eigenen Unternehmen weitergeben.

Ein solcher "Erste-Hilfe-Kurs" in puncto Offshoring sei vor allem für neue Mitarbeiter hilfreich. Ein weiterer Erfolgsfaktor seien die gegenseitigen Besuche. "Persönliches Kennenlernen ist der Garant dafür, sich - unabhängig von der Nationalität - als Team zu fühlen", ist Sacharowa überzeugt.

Interkulturelle Kompetenz in virtuellen Teams
Virtuelle Teams: Beziehungspflege
Von Projekt Beginn an sollten intensive "Kennenlern-Komponenten" eingeplant werden. Teammitglieder müssen die Möglichkeit erhalten, emotionale Verbindungen zu den Kollegen herzustellen. Es ist wichtig, dass Mitglieder für das geschätzt werden, was sie sind und nicht für das, was sie tun. Idealerweise geschieht das über ein Face-to-face Kick-off-Meeting. Falls das nicht möglich ist, wäre eine virtuelle Vorstellungsrunde etwa in Wikis oder per Videokonferenz angebracht. Dabei könnten Mitglieder beispielsweise ihre Interessen, Ziele und Visionen sowie persönliche Bilder untereinander austauschen.
Interkulturelle und virtuelle Teams führen
Fünf Tipps von der Expertin Carolin Schäfer, damit internationale Projektarbeit in virtuellen Teams zum Erfolg wird.
Virtuelle Teams: Klare Ziele
Es zahlt sich aus, zu Anfang genügend Zeit in die Klarstellung des Teamzwecks, der Rollenverteilung im Team und den Verantwortlichkeiten zu investieren. Aufgrund der Distanz bestehen schon ausreichend Unsicherheiten, die nicht noch zusätzlich mit Verwirrung und Ungewissheit angereichert werden sollten. Klare Ziele und Aufgaben, einschließlich der Festlegung von wem, bis wann und in welcher Art diese zu erfüllen sind, schaffen Fokus und Klarheit für alle Teammitglieder.
Virtuelle Teams: Berechenbarkeit
Unmodern, aber nicht wegzudenken: Ein klarer Ablauf und Berechenbarkeit der Teammitglieder sind kritische Erfolgsfaktoren für virtuelle Teams. Ungewissheit erzeugt Zweifel, Angst und Rückzug. Das Resultat ist ein demotiviertes und unproduktives Team. Der Nutzen von einheitlichen Team Tools, Vorlagen, definierte Prozesse oder festgelegte Kommunikationszeiten tragen zu einem klaren Ablauf und somit zu Berechenbarkeit bei. Teamleiter sollten leicht erreichbar sein sowie den Dreh- und Angelpunkt im Team darstellen.
Virtuelle Teams: Ablaufvereinbarungen
Operationale Ablaufvereinbarungen legen Methodik und Prozesse der Teamarbeit fest und sollten zu Beginn des Projektes gemeinsam definiert werden. Ablaufvereinbarungen bedarf es in der Regel für Planungsprozesse, Entscheidungsfindung, Kommunikation und Koordination. Während virtueller Team-Meetings sollte der Teamleiter sich immer wieder Zeit nehmen zu prüfen, ob und wie gut die Ablaufvereinbarungen gelebt werden.
Virtuelle Teams: Aufmerksamkeit
Was bei Face-to-face-Teams selbstverständlich ist und in Kaffeeecken oder auf dem Flur vor dem Meeting informell passiert, sollten Manager von virtuellen Teams explizit einplanen, nämlich dass sie einzelne Teammitglieder auch außerhalb des offiziellen Meetings treffen. Jedes Mitglied sollte die Möglichkeit bekommen, mit dem Leiter persönliche Erfolge, Herausforderungen, Bedürfnisse und Wünsche zu besprechen. Die Distanz und die Technologien wecken leicht den Eindruck, dass Teammitglieder abstrakt und "ohne Gesicht" sind. Persönliche Aufmerksamkeit schafft Vertrauen, kostet wenig und bietet einen enormen Vorteil für jeden einzelnen im Team und letztlich für die gesamte Teamleistung.