Oberpfalz: Bodenständigkeit als Erfolgsfaktor

15.10.2004 von Jürgen Mauerer
Durch die EU-Osterweiterung ist die Oberpfalz vom Rand in das Zentrum Europas gerückt. Der Bezirk an der tschechischen Grenze hat sich in den vergangenen Jahren heimlich, still und leise zu einer Hightech-Region entwickelt. Motor ist der Wirtschaftsraum rund um die Hauptstadt Regensburg, in dem etwa 20 000 Menschen in der IT-Branche arbeiten.

Ein guter Ruf eilt der Oberpfalz nicht voraus: Die Region selbst gilt als strukturschwach und wirtschaftlich rückständig, ihre Bewohner sind als hinterwäldlerisch, engstirnig und konservativ verrufen. Ernüchternd für den Bezirk im Nordosten Bayerns ist auch das Ergebnis einer aktuellen Studie des Vereins Regional-Marketing Oberpfalz. Demnach wird die Oberpfalz kaum als Wirtschaftsraum wahrgenommen und häufig mit der Pfalz (Rheinland-Pfalz) verwechselt. "So halten viele die Region fälschlicherweise für ein Weinanbaugebiet", bedauert Brigitte Kauer, Geschäftsführerin des Vereins.

Mit Wein jedoch hat die Oberpfalz wenig am Hut, ihr Boden gab anderes her. Wegen der früheren Kohle- und Eisenerzvorkommen wird die Region gerne als "Ruhrgebiet des Mittelalters" bezeichnet. Doch das war einmal. Bergbau und Stahlindustrie liegen in den letzten Zügen, wie das Ruhrgebiet vollzieht auch die Oberpfalz einen tief greifenden Strukturwandel hin zu einer vom Dienstleistungssektor dominierten Wirtschaft. Eine Hauptrolle spielen dabei die Maschinenbau- und Automobilindustrie sowie vor allem die IT-Branche. So hat BMW mit Werken in Regensburg und Wackersdorf Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen, und auch Zulieferfirmen wie Benteler-Automobiltechnik und andere Dienstleister haben sich im Windschatten des großen Autoherstellers hier angesiedelt.

Führend bei Getränkeabfüllanlagen ist die Krones AG mit weltweit knapp 9000 Mitarbeitern, 5300 davon in den Oberpfälzer Standorten Neutraubling und Nittenau. Weitere bekannte oberpfälzische Unternehmen sind das Elektronik-Versandhaus Conrad Electronic und aus der Glas- und Porzellanindustrie die Firmen Nachtmann und Seltmann in Weiden. Dort ist auch der Hauptsitz der bekannten Firma Auto-Teile-Unger.

Regensburg bewirbt sich um den Titel Europäische Kultur-hauptstadt für das Jahr 2010.

Foto: Stadt Regensburg.

Das Herz der Oberpfälzer Wirtschaft schlägt aber in und um die Bezirkshauptstadt Regensburg. Von Maschinenbau und Automobilbau über Biotechnologie und Medizintechnik bis hin zur IT-Branche - Regensburg ist ein Zentrum der Industrie und Dienstleistung und als Standort einer Universität sowie einer Fachhochschule auch Mittelpunkt von Wissenschaft und Forschung. Das wird mittlerweile auch anerkannt. So listet das renommierte Baseler Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos den Raum Regensburg bezüglich seiner Innovationskraft und technologischen Leistungsfähigkeit auf Platz zehn unter 97 deutschen Regionen.

Der Platz unter den Top Ten hängt vor allem mit dem Wachstum der IT-Branche zusammen. Der Raum Regensburg ist nach München und der Region Nürnberg/Erlangen drittstärkster IT-Standort in Bayern. "Die Oberpfalz als IT-Region wird immer noch unterschätzt", sagt Christian Götz von der IHK Regensburg.

IT-Security als Schwerpunkt

In den rund 300 IT-Unternehmen der Stadt sind etwa 11000 Menschen beschäftigt, im Großraum Regensburg insgesamt rund 20000. Mit Siemens, Infineon, Osram Opto Semiconductors, der Deutschen Telekom und Toshiba agieren hier Konzerne von Weltruf. Allerdings haben Toshiba und Infineon vor knapp einem Jahr in ihren Regensburger Werken rund 200 beziehungsweise 350 Mitarbeiter entlassen.

"In Regensburg hängt jeder neunte Arbeitsplatz von der IT-Branche ab", erläutert Herbert Vogler, Geschäftsführer der IT Inkubator Ostbayern GmbH, einem Unternehmen der Stadt Regensburg. Die GmbH soll die IT-Region Ostbayern fördern und betreibt den so genannten Regensburger IT-Speicher. Früher lagerte hier Getreide, heute finden Gründer Büroräume, Farbdrucker, Kopierer und eine Internet-Standleitung zu günstigsten Konditionen. Aktuell sind im Gründerzentrum 35 IT-Firmen mit zwei bis zehn Mitarbeitern angesiedelt, die im IT-Speicher Kontakt zu anderen Betrieben knüpfen können. Zudem finden dort Vorträge und Seminare zu IT-Themen, regelmäßige Treffen der Regionalgruppe der Gesellschaft für Informatik, Veranstaltungsreihen der Universität und auch ein IT-Stammtisch statt.

Vogler nennt diese Netzwerkbildung "aktives Cluster-Management für die IT-Branche in der Oberpfalz". Unter "Cluster" versteht er die Vernetzung von Wissenschaft, Forschung und Unternehmen innerhalb einer Region. Die Förderung von Clustern wiederum wird nach den Worten von Ministerpräsident Edmund Stoiber künftig die Politik der Bayerischen Staatsregierung bestimmen. "Cluster sind die entscheidende Antwort auf die Frage, wovon wir morgen leben sollen", sagte Stoiber am 13. Juli 2004 nach einer Kabinettssitzung. Regensburg ist darauf vorbereitet und hat die "Security-IT Cluster Initiative" ins Leben gerufen.

Hauptakteure der Initiative sind die IT Inkubator Ostbayern GmbH, die IKT-Akademie und die Universität Regensburg. Ziel ist, Ostbayern als innovativen IT-Standort mit Schwerpunkt IT-Security zu präsentieren und die Kompetenzen zu bündeln. Das Know-how ist laut Vogler vorhanden. So seien rund 20 Prozent der Regensburger IT-Firmen im Bereich IT-Sicherheit tätig. An der Universität Regensburg gebe es zudem drei Lehrstühle zum Thema sowie einen Professor, der sich ausschließlich mit dem Thema Kryptographie befasst.

Ein weiterer Baustein im IT-Cluster Regensburg ist das neue Kompetenzzentrum für Software-Engineering. Das Projekt ist an der Fachhochschule Regensburg angesiedelt und wird von den Unternehmen Infineon, Osram Opto Semiconductors und Micron Electronic Devices finanziert. Mittlerweile arbeiten acht Softwarespezialisten an Projekten der Industriepartner. Durch die Fachhochschule, die Universität Regensburg und die Fachhochschule Amberg/Weiden verfügt die Oberpfalz über hoch qualifizierten Nachwuchs.

Die Walhalla vor den Toren der Stadt Regensburg gilt als Wahrzeichen.

Foto: Stadt Regensburg.

Jährlich schließen rund 1200 Absolventen aus den Studiengängen Wirtschaftsinformatik, Informatik, Elektrotechnik, Mathematik und Physik ihr Studium ab. "Die jetzigen Absolventen hatten hervorragende Studienbedingungen. Anfangs waren es nur 20 Studenten pro Semester", betont Josef Pösl, Professor für Software-Systemtechnik an der FH Amberg. "Wir arbeiten bei Praktika und Diplomarbeiten eng mit Firmen aus dem Umkreis zusammen", so Pösl weiter. Auch außerhalb Regensburgs sind IT-Unternehmen angesiedelt, wie Witron in Parkstein (Software für Logistiksysteme) oder Samhammer in Weiden (Call-Center-Software).

Niedrige Gehälter

Neben der guten Ausbildung gilt auch die Mentalität der Oberpfälzer als großes Plus der Region. "Die Leute hier sind bodenständig, engagiert, motiviert und identifizieren sich stark mit ihrem Unternehmen", betont IHK-Mann Götz. Vogler von IT Inkubator bestätigt dies: "Das Personal hier ist wesentlich solidarischer mit dem Unternehmen als anderswo." Zudem sei das Gehaltsniveau in der Oberpfalz bei gleicher Qualifikation niedriger als etwa in München. Durch die niedrigeren Lebenshaltungskosten und den größeren Erholungseffekt im eher ländlichen Gebiet eigne sich die Oberpfalz sehr gut für Familien.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und vor allem seit der EU-Osterweiterung ist die Oberpfalz von der Peripherie in den Mittelpunkt Europas gerückt. "Die Oberpfalz ist auf dem Weg zum Drehkreuz in Europa", so Rudolf Reger, Wirtschaftsreferent beim Landratsamt Schwandorf. Er bezieht sich dabei auf das Autobahnkreuz A93/A6 in Wernberg-Köblitz: Die A6 ist Teil der E50, die Paris mit Prag verbindet und mit Waidhaus den größten Autobahnübergang zu Tschechien einschließt. Die räumliche Nähe zu Tschechien sieht Reger eher als Vorteil für die oberpfälzischen Firmen. "Sie können Teile der Produktion oder Routinearbeiten ins billigere Tschechien auslagern oder mit tschechischen Firmen kooperieren und dadurch auf dem globalen Markt einen Wettbewerbsvorteil erringen. Leider fallen diese Arbeitsplätze aber hier weg beziehungsweise werden nicht geschaffen." Allerdings befänden sich neue Absatzmärkte "unmittelbar vor der Haustür", so

Reger.

Die Wachstumsprognose für die neuen EU-Länder liegt zwischen 4,5 und 5,5 Prozent bis 2010 und damit doppelt so hoch wie für die alten EU-Länder. Ähnlich sieht das Götz: "Insbesondere bei Hard- und Software ist Bedarf in Osteuropa vorhanden, der Modernisierungsprozess birgt hier großes Potenzial für Oberpfälzer Firmen."

Die Oberpfalz

- Bevölkerung: 1,1 Millionen

- Regionale Gliederung: drei kreisfreie Städte (Regensburg, Amberg, Weiden), acht Landkreise mit 247 Gemeinden

- Studenten: rund 23 000

- Erwerbstätige: 510 000

- Dienstleistungsquote: 61 Prozent

- Bruttoinlandsprodukt: 30 Milliarden Euro