Oben ist die Luft dünner

17.10.2003 von Helga Ballauf
Der Weg nach oben fängt nicht mit einem Sitz im Vorstand an. Man muss erst einmal dorthin kommen. In der IT-Branche kann das bedeuten: eine Laufbahn als Fachexperte einschlagen, Personalverantwortung übernehmen oder sich selbständig machen.

Pit Löllmann, Peter Schmitt und Bernhard Schicht haben drei völlig unterschiedliche Karrierewege in der IT eingeschlagen. Aber es gibt etwas, das sie verbindet: Sie sind nah dran am Kunden und verstehen etwas von der Technik und vom Geschäft. Da ist der Startup-Unternehmer aus den Boom-Jahren der Branche, der sich etabliert hat; der Entwickler, der jetzt oder nie mit seiner Geschäftsidee auf den Markt muss; der Ingenieur, der sich als Wissens-Manager profiliert.

Pit Löllmann wagte den Weg von der Forschung in die Praxis.

Pit Löllmann ist Geschäftsführer der LF Consult GmbH. Die Stuttgarter Firma entwickelt, verkauft und betreut Software für mittelständische Firmen aus dem produzierenden Gewerbe. Das so genannte Drei-Liter-PPS-Konzept unterstützt die Planung und Steuerung dezentraler Herstellungsprozesse. Löllmann hat mit seiner Crew den Sprung vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung ins eigene Unternehmen zwei Jahre lang sorgfältig vorbereitet und im September 2002 gewagt. "Der Zeitpunkt war nicht optimal, aber es gab keine andere Möglichkeit, wollten wir unseren innovativen Vorsprung nicht verspielen", beschreibt er.

Den fünf jungen Maschinenbauingenieuren und Informatikern kommt zugute, dass sie bereits am Fraunhofer-Institut gelernt haben, Aufträge zu akquirieren und zu kalkulieren. Es gehört seit Jahren zur Politik der Institute, anwendungsorientierte Forschung zu betreiben und auch Firmenausgründungen junger Forscher zu fördern. Ein Ansatz, der Löllmann und seinen Kollegen gerade recht kam. Sie entwickelten während der Zeit am Fraunhofer-Institut den Wunsch, "den Schritt aus der Forschung zu tun und etwas Konkretes zu machen", berichtet er.

Durchhaltevermögen wichtig

In drei Jahren soll die LF Consult GmbH schwarze Zahlen schreiben. Ein ehrgeiziges Ziel, nicht nur deshalb, weil es unter den PPS-Entwicklern viel Konkurrenz gibt. Die Herausforderung ist auch deshalb groß, weil das Geschäft mit Entwicklung, Verkauf und Consulting von kompakten Softwaresystemen personalintensiv und die Auftragsanbahnung langwierig ist. Zudem überlegen es sich die potenziellen Kunden aus dem Mittelstand in wirtschaftlich schlechten Zeiten besonders gut, ob sie in ein neues Softwarekonzept investieren, an das sie dann jahrelang gebunden sind.

Doch Löllmann ist optimistisch:"Wir wissen von Informationsveranstaltungen, dass es eine Nachfrage für unser Produkt gibt. Wir haben das System schon mehrfach installiert und kennen daher die Punkte, an denen Probleme entstehen können." Ohne diese Erfahrung wäre der Sprung in die Selbständigkeit im aktuellen ökonomischen Umfeld "fahrlässig", meint der junge Geschäftsmann. Jetzt sind aus seiner Sicht zwei Eigenschaften nötig: Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen.

Peter Schmitt ist mit Leib und Seele Ingenieur. Dennoch steckt der Fachmann für Elektrotechnik zuletzt seine gesamte Freizeit in ein ganz anders geartetes Studium. Schmitt absolviert an der Universität Würzburg den berufsbegleitenden MBA-Studiengang Business Integration. Sein Beweggrund: "Betriebswirtschaft erhält beim Weg auf der Karriereleiter nach oben eine immer größere Bedeutung." Ein paar Stufen hat er bereits genommen: Nach dem Diplom an der FH Nürnberg durchlief Schmitt ein internationales Traineeprogramm beim Ingolstädter Autohersteller Audi. Danach arbeitete er in der Fertigungsplanung, wo der hochautomatisierte Herstellungsprozess ständig weiter entwickelt wird. Inzwischen ist er in die Abteilung Strategieplanung aufgerückt.

Zusatzstudium selbst bezahlt

Ob es nun um die Berechnung der Investitionskosten für eine Modellserie oder um Fragen des Marketing geht - Schmitt erlebt ständig, dass ein aufstiegsorientierter Ingenieur etwas von betriebswirtschaftlichen Grundlagen und von Management-Methoden verstehen muss. Im MBA-Studiengang bei den Würzburger Wirtschaftsinformatikern lernt er, wie sich Betriebsabläufe und Geschäftsprozesse mit informationstechnischen Mitteln optimieren lassen. Berufsbegleitend zu studieren hat seine Vorteile.

Peter Schmitt: "Als Berufsanfänger konnte ich nicht abschätzen, wie viel ein Projektleiter wissen muss."

So verknüpft Schmitt das betriebliche Pilotprojekt "Wissens-Management" mit den Studieninhalten: Welches Wissen muss beim Start einer neuen Produktionslinie zusammenfließen? Wie lässt sich dieser hochkomplizierte Prozess informationstechnisch unterstützen? Mit welchen Widerständen ist bei jenen Mitarbeitern zu rechnen, die ihr Spezialwissen teilen müssen? Worin besteht der Nutzen für den Einzelnen? Den Synergieeffekt beim kombinierten Arbeiten und Lernen beschreibt der Techniker so: "Im Studium schärft sich der Blick, um zu sehen, wo es bei den jeweiligen Geschäftsprozessen hapert. Ich bekomme die Werkzeuge an die Hand, in kleinen Schritten Veränderungen anzugehen und selbst zögernde Mitarbeiter mitzunehmen."

Heute muss Schmitt lächeln über sein Ziel als Berufsanfänger, baldmöglichst Projektleiter mit Kapital- und Personalverantwortung zu sein. "Ich konnte damals nicht abschätzen, wie viel an Wissen und Erfahrung auf einem solchen Posten notwendig sind." Das technische Know-how ist als Basis wichtig, um bei Neuerungen von den Mitarbeitern akzeptiert zu werden, glaubt der Ingenieur: "Ich kenne alle Tools und kann mit gutem Beispiel vorangehen." Schmitt zahlt das berufsbegleitende Studium aus eigener Tasche, investiert Urlaub und Freizeit fürs Lernen. Arbeitgeber Audi hat zugesichert, dass der Studierende für die Vorlesungsblöcke frei bekommt, selbst wenn eine neu anlaufende Fertigungslinie gerade in einer kritischen Phase stecken sollte.

Verzicht auf Fremdkapital

"Diese Planungssicherheit ist wichtig", sagt Schmitt und beschreibt, wie er sich seinen Karrerieweg weiter vorstellt: MBA-Abschluss im Herbst, Erfahrungen in der Strategieplanung sammeln, schließlich Leiter eines internationalen Projekts im Autokonzern mit Personalverantwortung werden.

Bernhard Schicht: "Es war wichtig, den Abschluss in Informatik zu machen."

Bernhard Schicht ist mit 28 Jahren fast ein alter Hase als Unternehmer. Schon während des Informatikstudiums in München gründete er seine ersten Firmen, zunächst allein und dann 1999 mit den Studienkollegen Björn Bores und Patrick Panke die D-Bug GmbH. Es war die Zeit, in der praktisch jeder, der ein IT-Unternehmen starten wollte, mit Risikokapital rechnen durfte. Das D-Bug-Team entwickelte jedoch den Ehrgeiz, ohne fremdes Geld den Sprung vom studentischen PC-Notdienst zum IT-Rundumservice zu schaffen.

Die Rechnung ging auf. Die Firma ist nach wie vor ein Low-Budget-Unternehmen: Die Büroräume sind schlicht, die Ausstattung ist improvisiert, die ausführenden Arbeiten in den Projektteams erledigen studentische Hilfskräfte. Dazu Schicht: "Die Firma wächst langsam - mit uns. In den ersten drei Jahren haben wir den Umsatz verdoppelt. Für die kommenden drei Jahre haben wir Ähnliches vor. Wichtig ist, dass sich der Betrieb selbst trägt und wir davon leben können. Alles, was darüber hinaus erwirtschaftet wird, stecken wir in neue Projekte."

Ziel ist, D-Bug als Spezialberater für IT-Komplettlösungen zu etablieren. "Der Kunde spart hohe Nachfolgekosten, wenn er sich für ein IT-Gesamtkonzept entscheidet." Doch das darf beim anvisierten Kundenstamm - Unternehmen mit zehn bis 100 Beschäftigten - nicht von der Stange sein. Das hat Schicht hautnah erfahren, als er für den Wasseraufbereitungsbetrieb seines Vaters ein brauchbares Warenwirtschaftssystem suchte. Fast alle getesteten Syteme erwiesen sich als zu unflexibel, um eingespielte Geschäftsprozesse abzubilden, kritisiert Schicht, sie gaben stattdessen eigene Standards vor. Schließlich fand er das Warenwirtschaftssystem Avista - das Richtige für Papas Firma und für die eigene.

"Unorthodox" nennt Schicht die Herangehensweise des Gründerteams: "Jeder hat Ideen. Sie werden in Demoaufträgen ausprobiert. Was auf diesem Weg zur Marktreife gelangt, wird ins Angebot der Firma übernommen." Es ist kein Geheimnis, dass Unternehmen in wirtschaftlich kritischen Zeiten ungern Geld in IT-Komplettsysteme investieren. Doch Schicht glaubt an den weiteren Geschäftserfolg: "Einmal gewonnene Kunden kommen wieder, wenn sie mit improvisierten Billiglösungen schlechte Erfahrungen gemacht haben. Unsere Stärke ist es, vorhandene IT-Substanz in neue Systeme einzubauen."

Schicht ist froh, das Diplom als Informatiker in der Tasche zu haben: "Es war wichtig, den Abschluss zu machen. Denn das Studium ist wie ein Auftrag, den man bis zum Ende durchziehen muss und nicht auf halber Strecke hinschmeißen darf."