Nur Visionäre brauchen kein Berufsprofil

15.10.2004 von Ina Hönicke
Informatiker zu sein heißt heute nicht automatisch, einen Job zu bekommen. Eines der Probleme bei der Suche nach einer Stelle: Gerade in der IT-Welt stimmen Berufsprofil und Anforderungen oft nicht überein.

Immer häufiger haben Young Professionals bei der Jobsuche das Gefühl, dass es den Unternehmen nicht mehr um das Fachwissen des potenziellen Mitarbeiters geht. Sie würden vielmehr einen erfahrenen IT-Profi suchen, der sofort und überall eingesetzt werden kann und zudem ins Preisgefüge des Unternehmens passt. Hochschulabsolventen, die sich von den Anforderungen überrollt fühlen, erhalten Trost von Anna Beeger, die bei dem Personaldienstleister Hays Ascena Tag für Tag Freiberufler und Festangestellte rekrutiert und vermittelt: "Natürlich wird in der jetzigen Situation der 150-prozentige Mitarbeiter gesucht. Wenn wir den Kunden aber klar machen, dass wir diesen nicht 'backen' können, werden letztlich doch Abstriche gemacht." Schließlich spiele die Persönlichkeit des Bewerbers eine entscheidende Rolle.

Anders dagegen sehe die Situation bei den IT-Freiberuflern aus. Beeger: "Deren fachliches Know-how muss perfekt passen." In einer Umfrage der D21-Initiative klagten die befragten 136 Personalchefs, dass zwar die Zahl der Bewerbungen zugenommen habe, nicht aber deren Qualität. "Es gibt weder in Deutschland noch international eine einheitliche Definition darüber, welche Jobprofile das Informationszeitalter erfordert", sagt Silke Ramelow, Projektleiterin der Online-Befragung "E-Skills in Wirtschaft und Verwaltung". Laut D21 wollen die Personaler nicht nur Bewerber mit IT-Wissen, sondern erwarten verstärkt Sozial- und Methodenkompetenzen. Ein besonderes Augenmerk legen sie auf Persönlichkeitsmerkmale wie Engagement, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein sowie auf Berufserfahrung.

Pluspunkt Doppelqualifikation

"Zusätzlich suchen die Unternehmen nach IT-Profis mit Doppelqualifikation", stellt Stephan Pfisterer vom Branchenverband Bitkom fest. Damit sei nicht wie früher die Verbindung von IT-Wissen und Betriebswirtschaftslehre gemeint, sondern beispielsweise eine Kombination aus IT- und Maschinenbau-Know-how. Das hätten indes nur wenige Informatiker zu bieten, da es zu viele Branchensegmente und zu viele Spezialisierungen gebe. Auch Johannes Bussmann, der für IT-Projekte verantwortliche Partner der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton in München, bestätigt die hohen Erwartungen vieler Personalverantwortlichen, die Angebot und Nachfrage noch weiter auseinander klaffen ließen. So würden Personaler Young Professionals suchen, welche die betreffende Branche - seien es Banken, Versicherungen oder die Konsumgüterindustrie - "von der Pike auf" kennen und verstehen.

Foto: Joachim Wendler

Diese Voraussetzung erfüllten indes die wenigsten Kandidaten. Bei Booz Allen Hamilton ist man darum zu gewissen Abstrichen bereit, erklärt Bussmann: "Wenn ein Bewerber vom Profil nicht hundertprozentig, dafür aber menschlich gut zu uns passt, bekommt er eine Chance." Letztlich zählten in der Beratung neben Fach- und Branchenwissen analytisches und strukturiertes Denken sowie eine sehr hohe Sozialkompetenz.

Noch höhere Anforderungen an die deutschen IT-Profis stellt nach Meinung von Arbeitsmarktexperten die verstärkte Verlagerung von Arbeit in Billiglohnländer dar. Um gegen die Konkurrenz mithalten zu können, müssen die hiesigen IT-Profis auf jeden Fall Englisch beherrschen sowie als Moderator und Integrator auftreten können. Wer dazu nicht in der Lage ist, wird zu den Verlierern gehören. Fragt sich nur, wie angesichts der Konkurrenz in Offshore-Ländern das ideale Profil eines Informatikers aussehen sollte.

An der Frage, ob die Hochschulen den Nachwuchs angemessen auf diese Situation vorbereiten, scheiden sich die Geister. Während die einen mehr Praxisbezug fordern, lehnen andere dies kategorisch ab. Ihrer Meinung nach bietet eine fundierte Grundlagenausbildung die beste Chance, das lange Berufsleben zu meistern. Davon ist auch Christian Boos, Geschäftsführer des Sicherheitsdienstleisters Arago in Frankfurt am Main, überzeugt: "Auf Grundlagenwissen wird tatsächlich zu wenig Wert gelegt. Viele der zu Jobprofilen führenden Studiengänge sind weder Fisch noch Fleisch." Statt die Studenten darauf festzunageln, sich ein fundiertes und tiefes Wissen anzueignen, versuche man sie zu überzeugen, möglichst viele Felder der Informationstechnologie bereits im Studium abzudecken.

Mangel an guten Ideen

Systembedingt zwinge diese Angebotsbreite zu Inhaltsarmut. Gerade im Bereich Sicherheit kann man seiner Meinung nach die Folgen am deutlichsten sehen. Das breite Fundament falle ob der schnellen Änderungszyklen schnell in sich zusammen. Für den Arago-Chef stehen die Anforderungen fest: Er erwartet von den potenziellen Mitarbeitern tiefes Grundlagenwissen für das jeweilige Gebiet. Boos: "Wer bei uns im Bereich Security arbeiten möchte, muss wissen, wie TCP funktioniert und welche Algorithmen verwendet werden." Darüber hinaus müsse der Bewerber teamfähig sein. Einzelkämpfer seien in der IT fehl am Platz. Schließlich sei auch ein privates Engagement eine wichtige Voraussetzung: "Gerade im Bereich Sicherheit muss sich ein Mitarbeiter auch privat für das Thema interessieren, sonst wird ihn die Entwicklung unglaublich schnell überholen."

Dass die deutschen Hightech-Profis einige qualitative Defizite haben, ist hinter vorgehaltener Hand immer wieder zu hören. Dies ist nach Meinung von Personalberatern auch der Grund, warum sich die Green Card so lange gehalten habe und warum so manches Unternehmen oder Forschungsinstitut so gerne auf hochqualifizierte IT-Experten aus dem Ausland zurückgreife. Der Personalchef eines IT-Unternehmens, der lieber nicht genannt werden will: "Wir finden in Deutschland nicht genügend qualifizierte Talente. Wenn unser Haus also weiter eine Vorreiterrolle spielen will, müssen wir auch in Zukunft auf ausländische Computerexperten zurückgreifen."

Der Wirtschafts-informatiker Christopher Gawron hatte viele Jobangebote.

Ein Manko der deutschen Studenten sei zudem ihr Mangel an neuen, zündenden Ideen. Das kann Markus Huber-Graul von der Meta Group bestätigen. Innovationsfähigkeit gehöre neben Grundlagenwissen allemal zu den Voraussetzungen für einen interessanten und sicheren IT-Job. Der Marktanalyst: "Wer denn sonst, wenn nicht junge, kreative Leute, kann den Unternehmen neue Impulse und Produktideen präsentieren?" Für diese IT-Visionäre spiele es auch ganz sicher keine Rolle, ob ihr Berufsprofil nun hundertprozentig ins Unternehmen passt oder nicht.

Der 28-jährige Christopher Gawron wiederum kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Er zählt zu der glücklichen Spezies, die von einem Jobproblem nur gerüchteweise gehört hat. Der Wirtschaftsinformatiker, der seit zwei Monaten für die IT-Beratung Cap Gemini als Technologieberater im Mobility Team tätig ist, hat sich in aller Ruhe zwischen mehreren Arbeitgebern entscheiden können. Nach dem Abitur hatte sich Gawron ganz genau überlegt, welchen beruflichen Weg er einschlägt. Er beobachtete sehr intensiv den Markt, führte viele Gespräche, beschäftigte sich mit möglichen Trends und entschied sich dann für Wirtschaftsinformatik.

Der Newcomer: "Nachdem Outsourcing und Offshoring sich immer mehr durchsetzen, werden Softwaretätigkeiten eher in Billiglohnländer verlagert als Jobs mit Integrations- und Organisationswissen. Also entschied ich mich für Letzteres." Aufgrund der sich ständig verändernden Strukturen in der IT-Welt rät Gawron Hochschulabsolventen, die Weichen für die Zukunft sorgfältig zu stellen.