Nicht jeder Hype wird zum Trend

17.10.2003 von Jan Schulze
Obwohl das Wissen um neue Technologien am Arbeitsmarkt gefragt ist, bilden die Hochschulen überwiegend Generalisten aus. Ein solides Fundament hat zumindest in der grundlegenden Ausbildung des akademischen Nachwuchses Priorität gegenüber aktuellen Trends und Hypes.

Praxisfremde Ausbildung, veraltete Lerninhalte - mit diesem Vorwurf sehen sich die Universitäten immer wieder konfrontiert. Neue Technologien als Einstiegshilfe in das Berufsleben würden zu wenig vermittelt, lautet ein oft genannter Kritikpunkt. Dabei sind den Universitäten der Wandel in der IT und auch die Bedeutung neuer Technologien durchaus bewusst. "Moderne Technologien schaffen Arbeitsplätze in der IT-Branche; deshalb ist entsprechendes Wissen wichtig", sagt Hans-Joachim Bungartz, Studiendekan und Professor am Institut für Parallele und Verteilte Systeme der Universität Stuttgart. Doch sieht er die Aufgabe der Hochschulen nicht darin, jeden Hype in das Curriculum zu integrieren und Spezialisten auszubilden.

Heftige Inhaltediskussion

"Es geht darum, die Grundlagen und die Methodik der Informatik zu lernen. Die Trends sind letztlich immer nur Anwendungen dieser Methodik." Er verweist auf das Beispiel einer neuen Programmiersprache. Als etwa Java aufkam, war nicht das Erlernen der Sprache das Spannende, sondern das dahinter liegende Konzept einer plattformunabhängigen Softwareentwicklung. Zudem: Würde ein Studierender sich zu früh auf eine bestimmte Sprache festlegen, könne es passieren, dass diese bis zum Examen bereits keine Rolle mehr spielt.

Hans-Joachim Bungartz: "Es geht darum, die Grundalgen und die Methodik der Informatik zu lernen."

Die konkrete Technologie ist aus Bungartz Sicht immer nur ein Aufhänger: "Wer verstanden hat, was eine Schleife ist, kann das auch in einer neuen Sprache schnell programmieren. Wer nur Kommandos in einer bestimmten Syntax beherrscht, tut sich da schwerer." Auch hinsichtlich der Einbindung neuer Technologien in den Uni-Alltag weist der Professor allzu harsche Kritik zurück. Denn viele neue Ansätze würden ja gerade an den Universitäten erdacht. Natürlich stünden jedem Studierenden Angebote zu Web-Services und anderen aktuellen Themen in Form von Kompaktkursen, Seminaren oder Diplomarbeiten zur Verfügung. "Neue Technologien werden von uns früh in die Lehre integriert. Es dauert aber natürlich eine Zeit, bis sie auch in die großen Vorlesungen einfließen", gesteht Bungartz ein.

Doch die zulässige Zahl der Wochenstunden, die den Studierenden zugemutet werden dürfe, sei begrenzt. Neues aufzunehmen heißt auch immer, Altes aus dem Lehrplan zu werfen. Damit muss sichergestellt sein, dass ein Trend nicht nur eine kurzlebige Seifenblase ist. "Über die Ausbildungsinhalte wird jedes Semester in den zuständigen Gremien heftig diskutiert", berichtet Bungartz.

Wichtig: Trends beurteilen

Dass trotz des generalistischen Anspruchs an den Universitäten auch eine Spezialisierung stattfindet, ist allein wegen der Themenfülle der Informatik für Bungartz unvermeidlich und auch sinnvoll: "Es reicht nicht, viele Gebiete oberflächlich zu kennen. Man muss sich in ein paar Themen auch intensiv einarbeiten bis hin zur funktionsfähigen Implementierung einer Technologie." Dabei geht es Bungartz jedoch nicht primär um die tiefen Kenntnisse in einem Spezialgebiet, sondern auch wieder um die Methodik. "Es spielt keine so große Rolle, ob sich eine Gruppe Studenten auf ein Web-Services-Projekt stürzt oder ein neues Netzwerkprotokoll implementiert. Es geht darum, alle Phasen und Aspekte eines Projekts mit seinen Zwängen und Hürden möglichst praxisnah kennen zu lernen."

Bungartz erteilt einer frühen und starken Spezialisierung im Studium eine klare Absage. Zum einen gebe es für diejenigen, die ein fokussierteres Studium wünschen, die "Bindestrich-Studiengänge" wie Wirtschafts- oder Bio-Informatik. Zum anderen sei es Ziel des Informatikstudiums an der Universität, den Absolventen für den erfolgreichen Berufsstart das Rüstzeug mitzugeben, das sie brauchen, um sich bedarfsgerecht in Technologien einzuarbeiten. "Aber das Lehrangebot ist nur ein Teil. Für das Wissen um aktuelle Trends müssen die Studierenden schon ein Stück Eigenverantwortung aufbringen, sich selbst informieren und zum Beispiel durchaus auch mal Vorschläge für ein Seminar machen", stellt Bungartz klar.

Wichtig sei nicht, dass die Absolventen neue Technologien aus dem Effeff beherrschen, sondern dass sie Trends beobachten und in ihrer Relevanz beurteilen können. "Neue Technologien sind fraglos eine Jobmaschine", ist sich Bungartz sicher. Die vergangenen Jahre hätten aber gezeigt, dass manche Seifenblase platzen kann - auch im IT-Bereich. Zudem würden die jetztigen neuen Technologien in fünf bis zehn Jahren wieder durch etwas Neueres abgelöst.