"Nicht alle SAP-Kunden sind zufrieden"

08.02.2005
Mit Rolf Schwirz, Deutschland-Chef von Oracle, sprachen die CW-Redakteure Christoph Witte und Frank Niemann über ERP-Strategien, die Integration von Peoplesoft, Konkurrenz durch Open-Source-Datenbanken und Middleware-Ambitionen des Herstellers.

CW: Wie sehen Ihre Pläne im ERP-Markt nach dem Kauf von Peoplesoft aus?

Rolf Schwirz, Deutschland-Chef Oracle.

SCHWIRZ: Wir hatten vorher eine konservative Einstellung zu Akquisitionen gehabt. Mit dem Zusammenschluss wollten wir eine aktive Rolle im Konsolidierungsprozess im Business-Software-Segment einnehmen. Natürlich möchten wir damit auch unseren Marktanteil erhöhen. Ich kann da keine Zahlen oder Prognosen nennen. Aber sowohl in den USA als auch hierzulande wollen wir stärker mit SAP konkurrieren. Nach Umsatz ist Oracle Marktführer in Amerika. Zudem liegen wir bei Human-Resource- und Supply-Chain-Management-Lösungen international auf Platz eins. Weltweit haben wir über 23 000 Kunden im Bereich Unternehmenssoftware und beschäftigen 8000 Entwickle, und zwar 5000 von Oracle, 3000 von Peoplesoft. Diese Leute befassen sich nur mit Business-Software.

CW: Sind die Entwickler von den Stellenstreichungen betroffen?

SCHWIRZ: 90 bis 95 Prozent der Entwicklungsmannschaft sollen erhalten bleiben. Wir beschäftigen nun 65 Prozent mehr Vertriebsbeauftragte und 80 Prozent mehr Vertriebsberater im Applikationsumfeld als vor der Übernahme.

CW: Diese Größenordnung soll Bestand haben?

SCHWIRZ: Ja. Die Zahlen, die ich nenne, sind in die Zukunft gerichtet.

CW: Welche Perspektive hat Oracle in Sachen ERP hierzulande?

SCHWIRZ: Im Bereich der Datenbanken und Applikations-Server sind wir gut unterwegs. Wir waren in Deutschland weniger erfolgreich mit Business-Applikationen, um es vorsichtig auszudrücken.

CW: Die Firmen, die Sie übernommen haben, waren ja nicht wesentlich erfolgreicher als Oracle.

SCHWIRZ: Peoplesoft hat mehr auf dem deutschen Markt verkauft als Oracle. Da gibt es zwei Schwerpunkte, nämlich HR und CRM. Unter den Kunden finden sich sehr große Namen wie Lufthansa, Deutsche Bank und Deutsche Bahn. Zudem laufen hierzulande viele J.D.-Edwards-Installationen. Wir haben in Deutschland elf Niederlassungen, Peoplesoft hat drei. Eines unserer Büros liegt übrigens in Walldorf.

CW: Also nah am Feind.

SCHWIRZ: Ach wissen Sie, man sollte aufhören, von Feinden zu reden. In den letzten zwei, drei Quartalen hat unserer Applikationsbereich Fahrt aufgenommen. So hat der Freistaat Thüringen bei Oracle gekauft und nicht bei SAP.

CW: Können Sie etwas zu den Wachstumszahlen Ihres Applikationsgeschäfts sagen?

SCHWIRZ: Mit Zahlen bin ich vorsichtig. Wer Prozentrechnung versteht, weiß, dass es da viele Möglichkeiten zur Relativierung gibt.

CW: Sind es in erster Linie einzelne große Deals im ERP-Bereich, die Sie gewonnen haben?

SCHWIRZ: Ja. Wir haben zwar auch mittelständische Kunden von unserer "Special Edition" überzeugen können, aber die trägt längst nicht so viel zum Umsatz bei. (Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um eine für den Mittelstand vorkonfektionierte Variante der "E-Business Suite", die über Partner vertrieben wird).

CW: Die Special Edition hat Oracle bisher gut versteckt. Seit der Vorstellung vor etwa zwei Jahren haben wir nicht mehr viel davon gehört.

SCHWIRZ: Wir mussten zunächst einen Partnerkanal aufbauen und das Produkt für den deutschen Markt vorbereiten.

CW: Tun Sie sich im Mittelstand so schwer wie SAP?

SCHWIRZ: Ich habe nicht das Gefühl, dass wir uns schwerer oder leichter tun als in übrigen Marktsegmenten. Es ist ein anderes Geschäft. Sie treffen auf andere Verhaltensweisen und Bedürfnisse. Ein Evaluierungsprozess im Großunternehmen läuft anders ab. Aber ich finde es ungerecht, dem Mittelstand die Attribute "zäh" und "schwierig" zuzuordnen. Firmen dieser Größe legen mehr Wert auf Betreuung, Preistreue und zugesagte Produkteigenschaften.

CW: Sie sagen, Ihr Applikationsgeschäft lief schon gut. Dann kam also die Übernahme gerade zum rechten Zeitpunkt?

SCHWIRZ: Ja, durch die Übernahme gibt es einen Turbo-Effekt. Wir haben jetzt eine größere kritische Masse und viel mehr Kunden.

CW: Anderseits haben Sie nun Produkte, die miteinander konkurrieren.

SCHWIRZ: Das sind Themen, die wir jetzt angehen müssen. Konkret heißt das, welche Marktsegmente decken wir wie ab? Entscheidungen stehen, wie wir an den Markt herantreten. Peoplesoft hat die eigene Vertriebsmannschaft und die von J.D. Edwards beibehalten. Wenn wir das auch so machen, haben wir einen höheren Spezialisierungsgrad. Der Nachteil ist jedoch, dass wir die Kunden nicht so adäquat beraten können, denn die interessieren sich ja auch für die Module aus den anderen Produktlinien. Die Anwender wissen, dass Oracle im "Project Fusion" das Beste aus den drei Linien zusammenbringen will.

CW: Wie lange soll die Integration der Firmen dauern?

SCHWIRZ: Alles, was mit dem Auftritt vor dem Kunden zusammenhängt, werden wir sehr schnell realisieren. Schwer vorherzusagen ist, wie es mit der juristischen Seite weitergeht.

CW: Gibt es da noch Schwierigkeiten?

SCHWIRZ: Nein, aber Aufgaben, die abgearbeitet werden müssen. Dazu zählen steuerliche und rechtliche Belange. Zudem haben wir Fristen gegenüber Mitbestimmungsgremien einzuhalten. Erste Priorität haben bei uns der Kunde und sein Investment. Eine deutsche Firma, die sich irgendwann gegen SAP entschieden hat, soll diesen Entschluss nicht bereuen. Ich zolle solchen Unternehmen Respekt, weil sie ein Risiko eingehen. Wenn ein ERP-Projekt mit einem Oracle-, Peoplesoft- oder J.D.-Edwards-Produkt scheitert, stehen die Verantwortlichen ganz anders unter Erklärungsdruck, als wenn das einem SAP-Kunden passiert.

CW: Als die Übernahmeschlacht begann, hatte Larry Ellison persönlich angekündigt, die Peoplesoft-Lösungen mittelfristig einzustellen.

SCHWIRZ: Die Kunden glauben uns, dass wir ihre Investitionen schützen wollen. Ich selbst habe das auch nie anders wahrgenommen.

CW: Gleichwohl hat Ellison aber in einer Konferenzschaltung zur Bekanntgabe der Übernahme angekündigt, die Peoplesoft-Lösungen nicht mehr weiterentwickeln zu wollen.

SCHWIRZ: Es bringt wahrscheinlich nichts, über die Vergangenheit zu reden. Fakt ist, dass die Kunden nun eine andere Wahrnehmung haben.

CW: Für die Kunden ist es doch ein Abwägen des geringeren Übels: Vertraue ich Oracle und laufe Gefahr, dass meine Applikation nicht mehr wie bisher weiterentwickelt wird, oder gehe ich auf Alternativen anderer Hersteller ein?

SCHWIRZ: Sie spielen auf SAP und Tomorrow Now an. Ich kenne keinen Kunden, der seine Lösungen von diesem Unternehmen warten lassen möchte. Firmen müssen sich auch überlegen, auf was sie sich da einlassen. Unsere Kunden erhalten, sofern sie einen Wartungsvertrag haben, die nächste Softwareversion kostenlos. Wenn wir unsere Kunden anständig behandeln, dann werden sie uns auch treu bleiben.

CW: Die Kunden haben ja auch kaum eine andere Möglichkeit, da sie auf die Applikationen angewiesen sind. Und wenn Sie nicht gerade verrückte Preise verlangen oder den Support einstellen, werden sie bei Ihnen bleiben.

SCHWIRZ: Ich möchte nicht, dass ein Kunde bei uns bleibt, weil die Alternativen ein noch größeres Übel wären. Unsere Anwender sollen zufrieden sein.

CW: Wie stark schätzen Sie die Lähmungserscheinungen der Mitarbeiter ein?

SCHWIRZ: Ich habe der Oracle- und auch der Peoplesoft-Mannschaft in Deutschland gesagt, dass wir nahezu die gesamten Vertriebs- und Consulting-Leute übernehmen. Bei Peoplesoft gab es zuvor schon Personalmaßnahmen, die wir nicht zurücknehmen. Jede größere Veränderung an der Kundenschnittstelle versuchen wir zu verhindern.

CW: Die drei Anbieter haben unterschiedliche Wartungsverträge und Wartungskonditionen. Werden Sie diese Modelle harmonisieren?

SCHWIRZ: Dass weiß ich nicht. Wir haben das noch nicht für die gesamte Kundschaft analysiert. Grundsätzlich stehen wir zu den Verträgen.

CW: Es wird also keinen neuen, einheitlichen Vertragtyp für alle drei ERP-Linien geben?

SCHWIRZ: Sowohl wir als auch Peoplesoft haben einen Supportvertrag, der sich in die Wartung und Update-Rechte aufteilt. Darüber hinaus gibt es kundenspezifische Verträge, die natürlich weiterlaufen, solange sie gültig sind.

CW: Es ist davon auszugehen, dass vor der Vollendung von Project Fusion nicht viel Geschäft zu machen sein wird. Wie wollen Sie die Marktanteile bis dahin ausbauen?

SCHWIRZ: Das Geschäft mit Unternehmenssoftware ist geprägt von den Erfahrungen aus der Vergangenheit. Zufriedene Kunden sind die Basis für weitere Abschlüsse mit anderen Produkten aus unserem Angebot.

CW: Und was ist mit dem Neukundengeschäft?

SCHWIRZ: Es gibt hier einen Marktführer in Deutschland, der zwar viele Kunden hat, die aber nicht alle glücklich sind.

CW: Werden Sie versuchen, SAP-Kunden zusätzliche Produkte anzubieten? Beispielsweise CRM-Lösungen, wie es Peoplesoft bisher getan hat?

SCHWIRZ: Wir wollen uns auf die Branchen Telekommunikation, Industrieunternehmen mit serviceintensiven Prozessen sowie solche mit vielen Projekte, den öffentlichen Sektor und vielleicht sogar Finanzinstitute konzentrieren.

CW: Und mit welchen Lösungen?

SCHWIRZ: Wir sind im Augenblick dabei, festzulegen, welche Produkte wir hier in Deutschland anbieten wollen. Als Fazit bleibt: Wir werden uns Wege suchen, dass am Ende im Markt für Unternehmenssoftware hierzulande mehr Wettbewerb herrscht.

CW: Wie ist das Umsatzverhältnis von Applikations- zu Nicht-Applikationsgeschäft bei Oracle in Deutschland zurzeit, und wie wird es in drei Jahren sein?

SCHWIRZ: Es ist Firmenpolitik, dass ich zum deutschen Markt nichts sagen kann. Durch den Zusammenschluss wird sich das Verhältnis natürlich verändern.

CW: Wann kommen Middleware-Produkte wie die Data Hubs nach Deutschland?

SCHWIRZ: An den Data Hubs wird mit Hochdruck gearbeitet. Sie werden auch eine Rolle bei der Integration der hinzugekauften Applikationen spielen. Mit den Hubs können Firmen eine einheitliche Datenbasis erzeugen, ohne dass sie ihre bestehenden Programme ablösen müssen. Wir wollen mit unserer Middleware, der Datenbank und unserem Prozesswissen Data Hubs für verschiedene Branchen bereitstellen. Dabei helfen wird auch der Kauf von Collaxa Mitte 2004, einem Anbieter von Tools für das Business-Process-Management auf Grundlage der Business Process Execution Language (BPEL).

CW: Wollen Sie auch Ihre MiddlewareSparte durch Zukäufe stärken, etwa durch den Kauf von Bea Systems?

SCHWIRZ: Das müssen Sie Larry Ellison fragen. Das sind Entscheidungen, die ich hier weder treffe noch beeinflusse. Meine persönliche Anmerkung dazu ist, dass wir im Augenblick genug mit der Integration von Peoplesoft zu tun haben.

CW: Es gibt mittlerweile eine Reihe von Open-Source-Datenbanken, die auch für Business-Applikationen interessant werden. Gefährden solche Produkte nicht Ihr eigenes Geschäft?

SCHWIRZ: Datenbanken werden oft als Commodity dargestellt. Technisch gesehen zählen sie aber zu den anspruchsvollsten Produkten. Um diese weiterzuentwickeln und dem Wettbewerb voraus zu sein, brauchen Sie erstklassige Spezialisten. Ich frage mich, wie viele davon gibt es auf der Welt und wie viele davon arbeiten schon für uns? Zudem stelle ich die Frage, ob das Open-Source-Modell geeignet ist, um ein derart anspruchsvolles Produkt so bauen, dass man gegen Oracle und andere Player bestehen kann.

CW: Die Frage ist doch, wo sie mit OpenSource-Datenbanken in Wettbewerb treten. Im Highend sind diese Programme noch selten zu finden, aber in kleineren Installationen schon.

SCHWIRZ: Wir haben uns da mit der kleinsten Ausgabe unserer Datenbank, der "Standard Edition One", angepasst. Dieses Produkt könnte in Kürze zehn Prozent unseres Datenbankumsatzes ausmachen. Es ist für Kunden gedacht, die bei ihren Entscheidungen auch Microsofts "SQL Server" oder "My SQL" berücksichtigen. Mit der Standard Edition One haben Kunden den Vorteil, dass sie skalieren können.

CW: Sun will dem Linux-Boom durch eine Open-Source-Variante von Solaris entgegenwirken. Wäre dies auch eine Option für Oracle?

SCHWIRZ: Solche Diskussionen sind un-heimlich interessant, aber die Entscheidungen darüber werden nicht in Deutschland getroffen.

CW: Sie stellen auch dieses Jahr nicht auf der CeBIT aus. Warum?

SCHWIRZ: Es bleibt bei unserer schon im Jahr 2000 getroffenen Entscheidung. Wir haben in der Vergangenheit dadurch keinen Nachteil in unserem Geschäft verzeichnen können, und das ist auch heute noch so. Am Anfang waren wir einer der ersten großen Anbieter, die nicht auf der CeBIT ausgestellt haben. Mittlerweile gibt es andere prominente Beispiele.

CW: Bemerken Sie die CeBIT in Ihrem Jahresgeschäft?

SCHWIRZ: Die Messe erhöht natürlich die Aufmerksamkeit für IT.

CW: Geben Großmessen überhaupt noch Sinn?

SCHWIRZ: Nur weil wir nicht zur Messe gehen, stelle ich die Institution CeBIT nicht in Frage. Es gibt Produkte, die man da sehr gut zeigen kann. Für Software bezweifle ich das aber.

CW: Ihre Meinung zum IT-Standort Deutschland?

SCHWIRZ: Es ist gut, dass die wilden Zeiten vorbei und die Geschäfte ruhiger geworden sind. Wir wollen wachsen, und zwar nicht nur durch die Peoplesoft-Übernahme, sondern auch organisch.