Studienanbieter nutzen Unsicherheit im Markt für Content-Management-Systeme aus

Newmediasales kassiert auf allen Seiten

09.08.2002
MÜNCHEN (ba) - Die Berater von Newmediasales versuchen, von den Wirren im Markt für Content-Management-Systeme (CMS) zu profitieren. Neben den Kunden, die bis zu 4800 Euro für die Studien zahlen, müssen auch die Hersteller ihren Obulus entrichten, um Aufnahme zu finden. Ferner scheint das Unternehmen ein lukratives Geschäft mit Informationen zu entwickeln.

"Wir arbeiten mit Newmediasales bereits seit Juni nicht mehr zusammenarbeiten", erklärt Sören Stamer, Vorstandsvorsitzender des CMS-Anbieters Coremedia AG. Das Unternehmen kassiere gleichermaßen von Kunden- wie von Anbieterseite. Diese Praxis sei geschäftsethisch nicht zu vertreten. Es bestehe die Gefahr, dass die CMS-Anbieter, die am meisten Geld lockermachten, beim Kunden in ein besseres Licht gerückt würden, warnt er.

Die Verantwortlichen von Newmediasales, die das Unternehmen als Fachverlag und IT-Research-Haus verstehen, haben ausgehend vom Bereich Content-Management das Spektrum der IT-Studien sukzessive erweitert. Softwarelösungen würden detailliert erhoben, Herstellermärkte, Player und Trends offen und kritisch beobachtet sowie interpetiert, heißt es in der Selbstdarstellung auf der Firmen-Website.

Diese Selbsteinschätzung kann Coremedia-Chef Stamer nicht nachvollziehen. Im Frühjahr dieses Jahres beteiligte sich der Hersteller an einem Live-Test von CMS-Systemen, den Newmediasales zusammen mit Cap Gemini veranstaltete. Bis Mai 2002 unterzogen sich ein Dutzend Hersteller mit ihren Produkten der Prüfung. Innerhalb von zwei Tagen musste ein Mitarbeiter das System installieren sowie einen vorgegebenen Testparcours bewältigen.

Bis dahin sei noch alles in Ordnung gewesen, berichtet Stamer. Er habe kein Problem damit, Daten für eine neutrale Bewertung offen zu legen. Problematisch werde es jedoch, wenn diese von Newmediasales dazu genutzt würden, sich selbst als Presales-Arm von Konkurrenten im Markt zu positionieren. "Dann ist das Unternehmen ein Wettbewerber und keine neutrale Instanz mehr." Die Coremedia-Verantwortlichen haben mittlerweile ihre Teilnahme sowie das Recht auf Veröffentlichung der Testdaten zurückgezogen.

Ein Insider aus dem Testumfeld bestätigt die zweifelhaften Geschäftspraktiken. So habe Newmediasales die Unterlagen von Coremedia an den Wettbewerber Day Software GmbH verkauft. Im Rahmen eines Kundeneinsatzes hätten die Day-Verantwortlichen dann diese Informationen dazu genutzt, ihr eigenes System im direkten Vergleich höher einzustufen als das Coremedia-Produkt.

Daniel Heck, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Day, weist die Vorwürfe zurück. Jeder Anbieter könne die Ergebnisse des Live-Tests bestellen und liege damit auf dem gleichen Informationsniveau wie alle anderen Teilnehmer. "Von irgendeiner Art Vorteilsverschaffung kann deshalb wohl kaum die Rede sein." Merkwürdig ist nur, dass die Studie, wie auch Heck einräumt, bis heute nicht ausgeliefert ist. Damit bleibt die Frage nach dem möglichen Verkauf der Informationen offen.

Auch Martin Hegi, Geschäftsführer von Newmediasales, will von einer irregulären Weitergabe nichts wissen. Er könne sich Stamers Reaktion auch deshalb nicht erklären, weil der Coremedia-Manager sich noch wenige Tage zuvor ihm gegenüber positiv über die Studien geäußert habe.

Im Grunde habe die Firmengeschichte von Newmediasales mit Presales-Services vor zwölf Jahren in New York begonnen, aber dieser Bereich sei völlig unabhängig vom Studiengeschäft, versichert Hegi. Das Presales-Geschäft sei eine Art vorgespannter Klinkenputzer. Auch in Deutschland seien diese Konzepte hinlänglich bekannt. Man bekomme von dem auftraggebenden CMS-Anbieter eine Reihe von Adressen. Dort müsse man Termine vereinbaren, um das System des Auftraggebers vorzustellen. Abgerechnet werde pauschal. Eine Provision gebe es nicht.

Unterstützung im Kampf gegen die nach seiner Einschätzung unlauteren Geschäftsmethoden von Newmediasales bekommt Stamer von Vertretern anderer CMS-Anbieter. Josef Huber, Deutschland-Chef von Tridion, kann mit Hilfe von Unterlagen, die auch der COMPUTERWOCHE vorliegen, belegen, dass CMS-Anbieter eine einmalige Gebühr von 5000 Euro zahlen müssen, um in den Basisstudien von NMS berücksichtigt zu werden.

Mit dem Hinweis, Newmediasales betreue Evaluationen von CMS-Lösungen für große deutsche Unternehmen, werde Druck auf die Anbieter ausgeübt, an den Studien teilzunehmen, schimpft Huber. So würden beispielsweise die Audi AG, T-Systems oder Eon in Sachen CMS beraten, heißt es in einer E-Mail des Geschäftsführers Hegi an den Tridion-Manager vom April dieses Jahres. "Wir können nur die Anbieter berücksichtigen, die an unseren lokalen Studien teilnehmen", lässt Hegi im darauf folgenden Absatz seiner Mail durchblicken. Für Huber ist damit klar, dass nur diejenigen CMS-Anbieter in den Beratungsservices von Newmediasales berücksichtigt würden, die vorher für die Aufnahme in die Studien gezahlt hätten.

Praktisch sehe diese Basisstudie so aus, dass der jeweilige Hersteller einen Fragebogen zugesandt bekomme, den er auszufüllen habe, berichtet der deutsche Documentum-Chef Daniel Pelke. Damit sei die Sache erledigt. Im Prinzip könne hier jeder hineinschreiben, wie toll er sei. Newmediasales überprüfe die Angaben nicht. "Das als eine Studie zu deklarieren, finde ich fragwürdig", resümiert Pelke.

Diese Einschätzung will Björn Negelmann, zuständig für den Research-Bereich bei Newmediasales, nicht gelten lassen. Er räumt ein, dass zwar ein einmaliger Betrag für den Eintritt zur Studie fällig werde. Dafür hätten die Anbieter jedoch auch die Möglichkeit, ständig aktualisierte Profile ihrer Produkte einzureichen.

Die Studienstruktur von NMS bestehe aus drei Stufen, erklärt Negelmann. Die Basisstudie bildet ein standardisierter Frageboden, der die Funktionen der verschiedenen Produkte spezifizieren und damit vergleichbar machen soll. Hier würden die NMS-Mitarbeiter "grob drüber schauen". Wie dies konkret aussehe, vermag er nicht zu präzisieren. In einer zweiten Stufe würden die Hersteller in die Research-Zentrale nach Nürnberg eingeladen, um dort die Systeme detailliert zu diskutieren. Die hier gewonnenen Resultate fließen laut Negelmann in Zweier- und Dreiervergleiche verschiedener CMS-Produkte ein.

Die dritte Stufe soll künftig ein eigenes Live-Testlabor nach dem Vorbild der Cap-Gemini-Kooperation bilden. Hier sollen die Hersteller ihre Produkte zu Testzwecken zur Verfügung stellen. Außerdem wolle man Anwendern die Möglichkeit bieten, einen unabhängigen Vergleich der Systeme zu ziehen. Die Teilnahme an diesem Testlabor war bis zum 1. Juli dieses Jahres kostenlos. Wer nach diesem Termin mitmachen wollte, musste einen einmaligen Aufnahmebeitrag von 12000 Euro leisten, berichtet Negelmann.

In der Branche schwindet zusehends die Unterstützung für Geschäftspraktiken à la Newmediasales. Thomas Gessner, seit rund zwei Monaten Sprecher von Vignette in Deutschland, bekräftigt zwar sein Interesse an Studien, genauso allerdings auch an einer fairen Bewertung. Dazu könne es jedoch nicht kommen, wenn man nur die Hersteller aufnehme, die dafür bezahlten.

Laut Stefan Pfeiffer, Pressesprecher von Filenet, ist es schwer einzuschätzen, was wirklich seriös und was gekauft ist. Es sei leider oft so, dass Hersteller für Studien zahlten. Er bekomme fast täglich entsprechende Studienangebote, die er aber in aller Regel von vornherein ablehne. Die Sprecherin eines anderen CMS-Anbieters, die an dieser Stelle nicht genannt werden möchte, bestätigt, dass es im Analystenumfeld nicht unüblich sei, Anbieter kostenpflichtig zu evaluieren. Sogar das Ranking sei oft von Zahlungen abhängig.

Kunden suchen sich ihre CMS selbst aus

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch die Anwender immer misstrauischer werden. Zwar würden jedem Kunden die Geschäftspraktiken dargelegt, versichert Negelmann. Ob damit neben dem Verweis auf die reinen Herstellerangaben zu den Basisstudien auch der Hinweis auf die kostenpflichtige Teilnahme an den Studien inbegriffen ist, lässt er allerdings offen.

Kai Friedrich, Sprecher der Friedrich-Schiller-Universität Jena, zweifelt am Nutzen dieser Untersuchungen: "Was wollen wir mit einer Studie, bei der die Hersteller von vornherein dafür zahlen, dass sie mit dabei sind?" Douglas Hart, der das Content-Management-System des ADAC betreut, hält bezahlte Studien für Blödsinn. Für eine neutrale Studie müsse man sich alle Anbieter ansehen, unabhängig davon, ob sie zahlten oder nicht. Sollte dies nicht gegeben sein, verzichte er lieber.

Wolf-Ingomar Faecks, Mitglied der Geschäftsleitung von Cap Gemini Telekom Media Networks und zuständig für das Live-Testing mit Newmediasales, plant momentan keine weiteren Investitionen für Studien im CMS-Umfeld. Auch Newmediasales vollführe mit der Verbreitung von Marketing-Unterlagen nur Trockenübungen. Zwar habe das Unternehmen durch geschicktes Marketing eine hohe Marktdurchdringung erreicht. Die meisten Ergebnisse halte er aber für äußerst flach. "Ein Kunde, der auf Basis einer NMS-Studie sein CMS-System auswählt, wird wahrscheinlich nur zufällig glücklich."