Nichts bleibt beim Alten

Neue Regeln in der Formel 1

14.04.2009 von Jürgen Mauerer
Die Formel 1 präsentiert sich 2009 in ganz neuer Form. Noch nie hat sich beim Reglement von einer Saison zur anderen so viel geändert. Ob Aerodynamik, Slicks oder das Hybridsystem KERS - hier finden Sie die neuen Regeln auf einen Blick.

Die Ergebnisse der ersten beiden Formel 1-Rennen sind bemerkenswert. Jahrelang dominierende Teams wie Ferrari oder McLaren Mercedes fahren hinterher, der Newcomer Brawn GP bestimmt derzeit die Szene. Das Team kommt anscheinend am besten mit den neuen Regeln zurecht. Denn die zahlreichen Änderungen im Reglement zwangen die Teams zu vielen Umstellungen und komplett neuen Autos.

Mit dem neuen Regelwerk reagiert der Automobil-Weltverband FIA auch auf die Rezession. Die Änderungen sollen die Kosten im Formel 1-Zirkus weiter senken und die Zuverlässigkeit erhöhen. Zudem will die FIA damit die Rolle der Aerodynamik in der Leistung des Autos verringern sowie das Überholen vereinfachen. Hier ein Überblick der wichtigsten Neuerungen.

Teamwork
Boxenstopp
In 57 Runden werden insgesamt 310 km zurück gelegt.
Straßenkurs in Valencia
Die Rennstrecke in Valencia besitzt 13 Rechts- und 12 Linkskurven sowie eine Mindestbreite von 14 Meter. Ihre Spezifikationen und Sicherheitsvorkehrungen sind allen anderen Strecken im Formel-1-Kalender ebenbürtig.
Valencia - La Ciudad de las Artes y de las Ciencias (CAC)
Der Große Preis von Europa wird in diesem Jahr in Valencia auf dem erst vor einem Jahr angelegten Stadtkurs ausgetragen.
Valencia Marina
Der Stadtkurs verläuft größtenteils entlang des Hafens und kann somit auch bestens von Booten aus verfolgt werden.
Veles e Vents
Der für den 32. America's Cup geschaffene Hafen ist Mittelpunkt des Rennens.
GP Valencia
Nicht nur ausgedehnte Freizeitanlagen und die "Wissenschaftsstadt" wurden in das trockengelegte Flussbett des Turia integriert, sondern auch der westliche Abschnitt des F1-Parcours.
Valencia Street Circuit
Ein Formel-1-Rennen muss mindestens über eine Anzahl von Runden gehen, deren Summe insgesamt mindestens 305 Kilometern ergibt, darf jedoch längstens zwei Stunden dauern.

Aerodynamik

Am auffälligsten sind die Veränderungen am Front- und Heckflügel. Die neuen Formel 1-Autos sehen jetzt schlanker aus, da die Frontflügel tiefer und breiter, die Heckflügel an den Seiten schmaler und höher sind. Da sich damit die Luftturbulenzen hinter dem Auto verringern, vereinfacht sich das Überholen.

Konkret wächst der Frontflügel in der Breite von 140 auf 180 Zentimeter (die gleiche Breite wie das Auto), während sein Abstand zur Straße von 15 auf 7,5 Zentimeter schrumpft. Am Frontflügel befinden sich zudem Klappen, welche die Fahrer zweimal pro Runde um maximal sechs Grad verstellen dürfen, um besseren Abtrieb zu erreichen und das Auto zu beschleunigen. Die verbesserte Front-Aerodynamik wird kompensiert durch einen deutlich gestutzten Heckflügel. Er schrumpft in der Breite von 100 auf 75 Zentimeter; die Höhe ist jetzt mit 95 statt 80 Zentimetern definiert.

Große Änderungen gibt es am Diffusor, dem ansteigenden Teil des Unterbodens. Als wichtige Aerodynamik-Hilfe verstärkt er den Abtrieb, da er den hinteren Teil des Boliden auf den Boden presst, indem er eine Saugwirkung erzeugt. Der Wagen lässt sich so schneller um Kurven lenken. Das neue Reglement legt fest, dass der Punkt, an dem der flache Unterboden in den Diffusor übergeht, 33 Zentimeter weiter hinten liegt als bisher. Sein führender Rand beginnt damit nicht mehr vor, sondern auf gleicher Linie wie die Mittelachse der Hinterradaufhängung. Zudem steigt der Diffusor auf einer Länge von 35 Zentimetern statt bislang 12,5 Zentimeter um 17,5 Zentimeter an. Die Änderungen beim Diffusor führen dazu, dass sich der Anpressdruck auf das Auto und damit der Abtrieb verringert.

Die Diffusoren sorgen derzeit für großen Streit in der Formel 1. Die Formel 1-Teams Brawn GP, Toyota und Williams haben einen Doppel-Diffusor entwickelt, der pro Runde einen Zeitvorteil von bis zu 0,5 Sekunden bringen soll. Ferrari, Renault, Red Bull und BMW-Sauber halten die Diffusoren der Konkurrenz für nicht regelkonform und haben deswegen Protest bei den Rennkommissaren gegen die Wertung des Auftaktrennens in Australien eingelegt. Die Verhandlung vor dem Berufungsgericht des Automobil-Weltverbandes FIA ist für den 14. April angesetzt. Bis dahin stehen die Ergebnisse der ersten beiden Rennen in Australien und Malaysia unter Vorbehalt.

Reifen

Das Comeback der profillosen Slicks ist eine der größten Veränderungen der neuen Saison. Sie ersetzen die Rillenreifen, die vor elf Jahren eingeführt wurden, um die Kurvengeschwindigkeiten zu senken. Weil die FIA nun alle Flips und Flaps genannten Aerodynamik-Aufbauten auf der Karosserie verboten hat, kommen die ursprünglichen Slick-Reifen zurück. Da diese in den langsamen Kurven mehr Haftung bieten, werden die Autos dort schneller. In schnellen Kurven, in denen es mehr auf die Aerodynamik ankommt, werden die Wagen dagegen langsamer. Insgesamt sorgen die Slick-Reifen dafür, dass der Abtrieb mehr von der mechanischen Seite kommt als von der Aerodynamik.

An jedem Rennwochenende stehen den Piloten 40 Trockenreifen - 20 von jedem der beiden Typen - zur Verfügung. Hintergrund: Die Ingenieure von Bridgestone entwickeln für jedes Rennwochenende vier Mischungen an Trockenreifen, die sich vor allem in der Härte des Gummis unterscheiden: sehr weich, weich, mittel und hart (Englisch: super-soft, soft, medium, hard). Vor Ort an der Rennstrecke wählen sie dann zwei unterschiedliche Reifenmischungen aus, die von allen Fahrern während eines Rennens genutzt werden müssen. Zudem kann jeder Fahrer auf 16 Intermediates (für leichten Regen) und 12 Regenreifen zurückgreifen.

Motor und Getriebe

Bei den Motoren hat die FIA die maximale Drehzahl von 19.000 auf 18.000 U/min reduziert.
Jedem Team stehen 20 V8-Motoren für die gesamte Saison zur Verfügung, davon je acht für die beiden Piloten und vier für Testfahrten. Ein Motor muss nicht mehr - wie noch im letzten Jahr - mindestens zwei Rennen halten, sondern drei. Benötigt ein Fahrer mehr als acht Motoren während der Saison, wird er bei jedem Einsatz mit einem neu eingebauten Aggregat zehn Startplätze nach hinten verbannt.

Ein Getriebe muss weiterhin vier Rennen in Folge eingesetzt werden. Tauscht ein Pilot beziehungsweise sein Team die Gangräder, muss er fünf Startplätze zurück. Wer gleichzeitig das Gehäuse wechselt, fällt weitere fünf Startplätze nach hinten.

KERS (Kinetic Energy Recovery System)

Seit dieser Saison befindet sich auch die Formel 1 im Hybridzeitalter. Die Teams können - bislang noch freiwillig - das Energierückgewinnungssystem KERS (Kinetic Energy Recovery System) einsetzen, um die Leistung ihres Boliden zu steigern. Wie der Name schon andeutet, holt KERS die (in der Regel verschwendete) kinetische Energie zurück, die durch das Bremsen verloren geht. Bremst ein Fahrer während des Rennens, wird die Bremsenergie in einem Akku gespeichert. Pro Runde dürfen die Teams maximal 400 Kilojoule Energie speichern.

Über einen „Boost“-Knopf am Lenkrad kann der Fahrer die gespeicherte Energie am Stück oder in Portionen abrufen und beispielsweise beim Überholen einsetzen. Dank KERS stehen ihm pro Runde 6,66 Sekunden zusätzlich 82 PS zur Verfügung. Wenn man bedenkt, dass die Motoren wegen der Drehzahlreduzierung auf 18.000 U/min rund 50 PS verlieren und damit knapp über der 700 PS-Grenze liegen, sind diese 82 PS Extraleistung durchaus von Bedeutung. Der „Boost“-Knopf könnte mehrere Zehntel Zeitgewinn auf der Strecke ausmachen, jedoch sind das Gewicht und die Verpackung des Systems zu berücksichtigen.

Die Fahrer dürfen KERS beim Start ab einer Geschwindigkeit von 100 km/h und grundsätzlich nur bei mindestens 90 Prozent Gaspedalstellung aktivieren. Schummeln ist aber nicht möglich, da die Standard-Elektronik das System nach 6,66 Sekunden abschaltet; bei jeder Zieldurchfahrt wird das Konto wieder aufgefüllt.

Das KERS-System ist erst ab 2010 verpflichtend. Daher haben die meisten Rennställe zum Saisonauftakt auf „Turbo Boost“ verzichtet. Teams, die mit KERS fahren, müssen das Starkstrom-Symbol auf der Verkleidung tragen. Jedes Auto, das KERS an Bord hat, wird zudem mit einer Kontrolllampe ausgerüstet. Wenn das Steuergerät meldet, dass kein Reststrom mehr gemessen wird, leuchtet die Lampe grün. Erst dann dürfen Mechaniker und Streckenposten das Auto anfassen, damit sie keinen Stromschlag versetzt bekommen.

Die FIA hat den KERS-Fahrplan für die nächsten fünf Jahre abgesteckt. 2011 sollen die Teams auf eine Speichermenge von 800 Kilojoule und eine Abgabe von 136 PS aufrüsten. 2013 sind 1.600 Kilojoule und 272 PS geplant. Diese Regelungen stehen allerdings noch nicht fest, da die Formel 1-Teams die FIA drängen, ab 2010 ein Standardsystem einzuführen.

Sparmaßnahmen

Um die Kosten in der Formel 1 zu reduzieren, hat der Automobil-Weltverband FIA eine Reihe von Sparmaßnahmen beschlossen. So gibt es in der Saison 2009 nur 17 Rennen statt der bisherigen 18. Der Grand Prix von Frankreich in Magny Cours wird dabei durch den Grand Prix von Abu Dhabi ersetzt, der Grand Prix von Kanada entfällt ersatzlos.

Vor der Saison sind maximal 20 Testtage und 15 000 Kilometer erlaubt, vorher waren es rund 30.000 Kilometer. Auch die Testfahrten während der Saison zur besseren Abstimmung der Autos wurden drastisch reduziert; die Teams dürfen jetzt nur noch am Freitag vor einem Rennen testen. Zwischen dem 1. Januar und dem letzten Rennen am 1. November können die Rennställe acht Aerodynamik-Testtage auf Flugplätzen absolvieren. Zudem bleiben die Formel-1-Fabriken künftig jeweils vierzehn Tage lang im August und Dezember geschlossen. Dann hat das Technikpersonal Ferien.

Weitere Einschnitte gibt es für die aufwändige Forschung nach aerodynamischen Verbesserungen. So dürfen die Rennställe nur noch einen Windkanal benutzen. Zudem erlaubt die FIA den Teams nur noch maximal 40 Stunden Windkanal pro Woche bei Windgeschwindigkeiten von höchstens 50 km/h und einer Modellgröße von maximal 60 Prozent des Original-Autos. Während eines Testlaufs dürfen die Teams auch nur ein Modell testen.

Neu sind Restriktionen, um die Verlagerung der Ressourcen von Windkanal- zu Strömungssimulationen am Computer (CFD) zu verhindern. So wird die Zahl der an der CFD-Entwicklung beteiligten Mitarbeiter pro Team begrenzt (die Zahl wird noch vereinbart); auch die CFD-Computersystemen der Teams sollen bei der Hardwareausstattung beschränkt werden.

Für 2010 plant die FIA weitere einschneidende Änderungen. So ist das Nachtanken während des Rennens nicht mehr erlaubt und die Teams müssen einheitliche Funk- sowie Telemetriesysteme benutzen. Reifenwärmer werden verboten. Möglicherweise werden auch die Renndistanzen gekürzt.

Sportgesetz

Nach heftigen Protesten der Formel 1-Teams bleibt bei der Punkteverteilung nun doch alles beim Alten. Die FIA hatte in ihrem Regelentwurf vorgesehen, den Fahrer mit den meisten Grand Prix-Siegen zum Weltmeister zu krönen. Letzte Woche hat der Automobil-Weltverband seinen Entwurf zurückgezogen. Weltmeister wird weiterhin der Fahrer, der die meisten Punkte erzielt hat. Wie bisher bekommt der Gewinner des Rennens 10 Punkte, die folgenden Ränge 8, 6, 5, 4, 3, 2, 1 Punkte (zweiter bis achter Platz).

Beim Einsatz des Safety-Cars bleibt die Boxengasse geöffnet. Allerdings gilt für alle Piloten in Abhängigkeit ihrer Position auf der Strecke eine Countdown-Zeit bis zur Box. Wer diese unterschreitet, muss zur Strafe ein Mal durch die Boxengasse fahren, wenn das Rennen wieder freigegeben wurde. Das Tempolimit in der Boxengasse steigt während des Rennens von 80 auf 100 km/h, während der Trainings gilt weiterhin Tempo 60.

Die Parc-fermé-Zeiten sind jetzt flexibler gestaltet und den Trainings- und Startzeiten angepasst. Dreieinhalb Stunden nach Ende der Qualifikation müssen alle Autos im Parc fermé eingetroffen sein. Von dort werden sie am Sonntag fünf Stunden vor Beginn der Formationsrunde wieder an die Teams ausgehändigt. Im Parc Fermé dürfen die Teams nicht mehr an den Autos arbeiten. Nach Erlaubnis der Rennleitung dürfen sie lediglich Reparaturen durchführen, den Frontflügel verstellen oder die Elektronik umprogrammieren - alles natürlich unter strengster Kontrolle.

Link: Die neuen Formel 1-Regeln im englischen Original sind auf der folgenden Website zu finden: http://www.fia.com/EN-GB/SPORT/REGULATIONS/Pages/FIAFormulaOneWorldChampionship.aspx