re:publica

Netzneutralität - mehr Politik als Technik

16.04.2010 von Simon Hülsbömer
Welche Leistungen darf ich erwarten, wenn ich mir einen Internetanschluss kaufe? Auf welche Webdienste darf ich zugreifen? Auf alle? Oder keine?

Stehen auch den Nutzern von kostengünstigen Zugängen trafficstarke Webdienste wie Youtube, Flickr oder Bittorrent ohne Aufpreis zu? Mit diesen Fragestellungen beschäftigte sich eine Subkonferenz zum Thema Netzneutralität im Rahmen der Social-Media-Konferenz re:publica 2010.

Simon Schlauri verwies darauf, dass die Politik keinesfalls der Wirtschaft das Feld überlassen sollte, was die Festlegung von in Internetzugängen inkludierten Leistungen angeht.

Der Zürcher Rechtsanwalt und Autor Simon Schlauri, der über das Thema habilitiert hatte, gab in seiner Einführungsrede zu bedenken, dass bereits die bestehenden Exklusiv-Deals zwischen Mobilfunkanbietern und Geräteherstellern wie T-Mobile/Apple und das Video-on-Demand-Angebot der Deutschen Telekom, die bestimmte IPTV-Sender nur den eigenen VDSL-Kunden zur Verfügung stelle, der grundsätzlichen Idee der Netzneutralität zuwider liefen. "Der Grundsatz der Netzneutralität besagt, dass die Internetprovider alle Dateien, die sie übertragen, gleich behandeln - ganz egal, wer Sender und wer Empfänger ist. Sie verhalten sich damit insbesondere gegenüber Anbietern von Internetinhalten und -anwendungen neutral", so Schlauri. Neben der mit solchen Exklusiv-Geschäften zunehmenden Monopolisierung von Anwendungsmärkten sieht der Schweizer auch die Gefahr eines diskriminierenden Traffic Shapings, wenn einzelne Datenströme gezielt priorisiert werden. Einerseits mache es Quality-of-Service-Technologie (QoS) möglich, dass IPTV-Anwendungen stabiler liefen, weil andere Webdienste nachrangig behandelt würden, andererseits würden trafficstarke Peer-to-Peer-Tauschbörsen wie Bittorrent aber gezielt ausgebremst (Degrading), wie durch Comcast in den USA geschehen.

Das dritte Problem seien Pläne großer Netzbetreiber wie der Telekom, für die Nutzung ihrer Leitungen den Webdienst-Anbietern Gebühren abzuknüpfen, was kleine Unternehmen ohne entsprechende finanzielle und strukturelle Mittel benachteiligen würde. Zu all dem gesellten sich dann noch die viel diskutierten Sperren von Zugängen zu illegalen Webinhalten oder gleich die Komplett-Abschaltung von Internetzugängen bei Raubkopierern, wie in Frankreich initiiert.

Regulierung nur im Sinne der Wirtschaft?

Auf dem Panel "Netzneutralität in Deutschland" diskutierten Falk Lüke von der Verbraucherzentrale Bundesverband, Cara Schwarz-Schilling von der Bundesnetzagentur, Moderator Thorsten Schilling von der Bundeszentrale für politische Bildung und Chaos-Computer-Club-Sprecherin Constanze Kurz (von links nach rechts) eifrig mit dem Publikum.

Schlauris Vortrag schloss sich ein prominent besetztes Panel an, das zu dem Schluss kam, dass Netzneutralität kein technisches, sondern ein politisches Thema sei. Cara Schwarz-Schilling, Vertreterin der Bundesnetzagentur, wies darauf hin, dass es in Deutschland bereits einen Rechtsrahmen gebe, der viele Probleme hierzulande gar nicht erst entstehen ließen. Lediglich die Skype-Blockierung durch einige Mobilfunk-Provider im vergangenen Jahr habe der Behörde einige Arbeit gemacht. Alle Netzbetreiber in ein Boot zu holen, sei nicht immer einfach, letztlich regle sich der Markt jedoch zumeist selbst. In diesem Punkt waren sich sowohl die Diskutanten als auch die Konferenzbesucher untereinander uneinig: Das Bereitstellen von Netzen sei eine öffentliche Aufgabe und keine Aufgabe des Marktes, merkte ein Blogger an. Es werde jedoch nur im Interesse der Konzerne reguliert und ihm sei es unverständlich, dass es bis heute nicht möglich sei, symmetrische Leitungen bereit zu stellen (Uploadgeschwindigkeit = Downloadgeschwindigkeit). Schwarz-Schilling verteidigte die Industrie, die schließlich eine Menge Geld in die Hand nehmen müsse, um den Netzausbau voranzubringen, während die Nachfrage nach schnellen Leitungen noch ziemlich niedrig sei. Sie forderte stattdessen einen von allen Anbietern einzuhaltenden Mindeststandard für Internetanschlüsse, der als Grundversorgung für jeden zugänglich sei. Falk Lüke von der Verbraucherzentrale Bundesverband gab jedoch zu bedenken, dass es sich einem Privatanwender kaum vermitteln lasse, warum er für sein Geld zukünftig nur ganz bestimmte Internet-Dienste bekomme, wo es doch früher jahrelang anders gewesen sei.

Telekom drückt sich vor Debatte

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) kritisierte, dass diese Diskussion in die falsche Richtung gehe: "Ein Kunde, der weniger zahlt, bekommt dann lediglich den 'Rest', der nach dem Traffic Shaping für andere Anwender übrig geblieben ist." Diese Entscheidung dürfe man nicht der Wirtschaft überlassen. Sie erwarte sich in diesem Punkt deutlich mehr von einer Regulierungsbehörde wie der Bundesnetzagentur, so Kurz. Die CCC-Vertreterin kritisierte, dass Netzneutralität und -ausbau nicht auf der politischen Agenda stünden und sich die Politik in letzterem Punkt für als nicht zuständig erklärt habe, um den Ausbau gänzlich der Privatwirtschaft zu überlassen. Bezeichnend war, dass die für die Diskussionsrunde ebenfalls eingeladene Deutsche Telekom keinen Vertreter entsenden konnte, um ihren Standpunkt in der Debatte vor dem re:publica-Publikum zu verdeutlichen.

re:publica 2010
re:publica 2010 - Impressionen
Zum Start der Konferenz am Mittwoch entstehen lange Schlangen an der Registrierung im Friedrichstadtpalast Berlin.
Blick ins Publikum
Der Hauptsaal füllt sich langsam...
Volles Haus
... bis schließlich viele Plätze besetzt sind.
Begrüßung
Johnny Haeusler, Tanja Haeusler, Andreas Gebhard und Markus Beckedahl (von links) begrüßen die Besucher...
Einführung ins Programm
... und stellen das Programm der Social-Media-Konferenz vor.
Glashaus live
Der österreichische Schriftsteller und Journalist Peter Glaser spricht in seiner Keynote über "das Leben auf dem achten Kontinent".
Schlaue Sprüche
Ein Vortrag mit Tiefgang,...
Noch mehr schlaue Sprüche
... der auch einen Ausblick in die Zukunft wagt.
Malen nach Worten
Die wichtigsten Vorträge werden zusätzlich grafisch visualisiert.
Kunterbunt
Dabei entstehen ganz eigene Welten.
Voller Elan
Medienforscher Jeff Jarvis begeistert mit einem gekonnten Vortrag über die deutsche Privatsphäre und die Öffentlichkeit des Internets.
Voller Emotion
Er fordert mehr Offenheit von den Deutschen und ist mit vollem Elan bei der Sache.
Voller Willen
Jarvis appelliert an die Blogger, "ihr" Web zu verteidigen.
Volle Kraft voraus
"Vergesst die Privatsphäre - wir müssen die Öffentlichkeit verteidigen!"
Mittendrin statt nur dabei
Im Anschluss an seinen Vortrag geht Jarvis ins Publikum und diskutiert mit den Kongressteilnehmern.
On Air
Alle Vorträge, Panels und Debatten werden auch live ins Web gestreamt.
Bühnenkunst
Die IBM präsentiert ein selbstentwickeltes Theaterstück zum Thema Enterprise 2.0 - das Unternehmen der Zukunft.
Alles nur Theater
Es dreht sich viel um die Frage: Wie wird unser Arbeitsplatz in zehn Jahren aussehen?
Relax, don't do it
In den Pausen: Entspannen vor dem Friedrichstadtpalast...
Kalkscheune
Wie immer bei der re:publica gibt es auch viele politische und gesellschaftlich-kulturelle Themen, wie zu Feminismus und Web 2.0.
Gebannte Mienen
Gespannt lauschen die Besucher in der Kalkscheune den Diskussionen.
Monetarize your Blog
Profi-Blogger Sascha Pallenberg (Netbooknews) erzählt, wie er Monat für Monat einen fünfstelligen Betrag mit seinem Blog verdient.
Geld verdienen mit Lebenseinstellung
Ohne exklusive und gute Inhalte, aufopfernde Rund-um-die-Uhr-Arbeit, ständiger Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit sei mit Bloggen jedoch eine derartige Summe nicht zu machen, so Pallenberg. Das Bloggen sei kein Job, sondern ein Lifestyle.
Netzneutralität
Simon Schlauri, Zürcher Rechtsanwalt und Autor, hält die Eröffnungsrede zum Subkongress "Netzneutralität", der am zweiten Tag in der Kalkscheuen stattfindet.
Vorsicht vor den Netzbetreibern!
Der Schweizer verweist darauf, dass die Politik keinesfalls der Wirtschaft das Feld überlassen sollte, was die Festlegung von in Internetzugängen inkludierten Leistungen angeht.
Streitgespräch
Ein hochkarätig besetztes Panel zum Thema "Netzneutralität in Deutschland" kommt später zu dem gleichen Schluss...
Debatte frei
... Falk Lüke von der Verbraucherzentrale Bundesverband, Cara Schwarz-Schilling von der Bundesnetzagentur, Moderator Thorsten Schilling von der Bundeszentrale für politische Bildung und Chaos-Computer-Club-Sprecherin Constanze Kurz (von links nach rechts) diskutieren eifrig mit dem Publikum.
Zeitreise durch die Zensur...
Tim Wu, Professor an der Columbia Law School, gibt zum Abschluss des zweiten Kongresstages einen historischen Abriss über politische und kulturelle Zensur in allen Herren Länder.
... bis hinein in die digitale Gegenwart
Aktueller denn je ist das Thema wieder auf die politische Agenda gerückt - es wird im weltweiten Netz zensiert und gesperrt, was das Zeug hält.