Neue Alternativen zu klassischen Übertragungsverfahren

Networking abseits von Ethernet und ATM

13.08.1999
MÜNCHEN (jha) - Zwei neue Übertragungsverfahren sollen dem Ethernet beziehungsweise dem Asynchronous Transfer Mode (ATM) Paroli bieten. Die US-Technik "Wideband" sucht mit hohen Übertragungsraten und günstigen Preisen den Weg ins LAN. Der in Schweden entwickelte Dynamic Synchronous Transfer Mode (DTM) ist als Alternative zu ATM vorgesehen und verspricht die einfache Installation von High-speed-Netzen im Weitverkehrsbereich mit Geschwindigkeiten jenseits der 1-Gbit/s-Grenze.

Die Wideband Gigabit Networking-Allianz (WGNA) positioniert ihr Verfahren vor allem gegen Gigabit Ethernet. Die Übertragungsraten, so die Argumentation, seien ähnlich hoch, da Gigabit Ethernet lediglich eine theoretische Transferrate von 900 Mbit/s, in der Praxis jedoch deutlich weniger liefere. Wideband biete hingegen im Vollduplex-Betrieb 534 Mbit/s. Zusätzlich liefert das junge Verfahren Sicherheitsmechanismen und Übertragungsqualitäten, die dem Ethernet fehlen.

Die hohen Transferraten erreicht Wideband, indem jedes der vier Adernpaare eines Kategorie-5-Kabels eine spezielle Aufgabe übernimmt. Jeweils ein Doppel verwendet die Technik für das Senden und Empfangen mit 267 Mbit/s. Ein weiteres Kabelpaar - "Widecast" genannt - ist für verzögerungskritische Daten wie Video-Anwendungen oder Sprache reserviert. Dieser Kanal unterstützt theoretisch eine Transferrate von 333 Mbit/s. Der Codierungs-Overhead reduziert die nutzbare Kapazität jedoch auf 267 Mbit/s. Das letzte Leitungspaar ist für Steuerdaten - ähnlich wie beim ISDN der D-Kanal - reserviert. Die Übertragungsreichweite ist auf 100 Meter über Kupferleitungen festgelegt, in der Praxis wurden je nach Kabeltyp jedoch schon weitere Entfernungen überbrückt.

Das alles soll sich nach Angaben der WGNA (http://www.wgna. org), einem 1997 gegründeten Konsortium aus 50 namenlosen Anbietern von Wideband-Komponenten in vorhandene Ethernet-Installationen integrieren lassen. Für das Netzbetriebssystem ändert sich nichts, denn erst auf der Adapterkarte kommen die Unterschiede zum Tragen. Ein dem Treiber übergebenes Datenpaket versieht die Karte mit einem speziellen Wideband-Header, der beim Empfang wieder entfernt wird. Zusätzlich zu diesen Funktionen nimmt die Netzkarte bei jeder Übertragung eine automatische Verschlüsselung vor.

Wideband wird wie Ethernet als Sterntopologie implementiert. Die Sendestationen übergeben ihre Pakete einem Konzentrator, der die Daten an die Empfangsstation weiterreicht. Aufgrund dieser Konstellation bezeichnen die Förderer ihr junges Verfahren als kollisionsfrei. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, verwenden die Hersteller in ihren Konzentratoren die Technik Buffered Packet Synchronization, mit deren Hilfe von den Sendestationen eingehenden Daten in einem Puffer gespeichert werden.

Damit bei der Weiterleitung keine Überlagerungen zwischen den Nachrichten von mehreren Quellen entstehen, synchronisiert der Konzentrator die ausgehenden Datenströme.

Zwar versprechen die Hersteller einen kollisionsfreien Verkehr auch bei hohem Datenaufkommen, doch der Puffer des Konzentrators ist begrenzt. So können durchaus zwei Endstationen um den Eingangspuffer des zentralen Knotens konkurrieren. In einem solchen Fall signalisiert das Gerät einem der Sender, mit der Übertragung zu warten, und bevorzugt den zweiten. Anders als in Ethernet-Umgebungen sind jedoch nicht beide sendewilligen Stationen gezwungen, eine von einem Zufallsgenerator definierte Zeitspanne verstreichen zu lassen, bevor sie einen erneuten Versuch starten.

Doch eigentlich sollte es zu diesen Kollisionsfällen nicht kommen, integrieren die Wideband-Netzadapter doch Funktionen für die Flußkontrolle. In der Hardware sind Mechanismen eingebrannt, die die Auslastung des Netzes beobachten. Bei hohem Verkehrsaufkommen halten die Sendestationen ihre Daten zurück, bis wieder Kapazität für die eigene Datenübertragung vorhanden ist. Sollte die Netzsättigung über einen längeren Zeitraum anhalten, wird dem Anwender eine entsprechende Meldung geliefert.

Auch bei den Dienstqualitäten sticht Wideband die bisherigen Ethernet-Möglichkeiten aus. Dafür haben die Macher der Netztechnik folgende zwei Verfahren umgesetzt: Die "Class of Services" räumen wichtigen Daten über die Sende-und Empfangskanäle Vorfahrt selbst in belasteten Netzen ein. Die "Quality of Services" sorgt für eine verzögerungsfreie Zustellung von Sprache, Audio- sowie Videoströmen. Dazu nutzt Wideband den besagten Widecast-Kanal, der übertragungskritischen Nachrichten exklusiv zur Verfügung steht.

In puncto Kosten hat Wideband derzeit im Vergleich zu Gigabit Ethernet eindeutig die Nase vorn. So schlägt eine Netzwerkkarte mit knapp 200 Dollar zu Buche, ein Konzentrator mit neun Ports kostet rund 1700 Dollar. 3Com verlangt dagegen derzeit für seine Gigabit-Ethernet-Netzkarte um die 900 Dollar, der Hub "Superstack II 1000 SX" kostet etwa 6400 Dollar.

Mit den technischen Finessen, der - laut Anbieter - einfachen Installation sowie den günstigen Preisen bringt Wideband im Kampf gegen Ethernet um Marktanteile im LAN bessere Voraussetzungen mit als ATM. Dem asynchronen Übertragungsverfahren ATM wurde der Einzug in die lokalen Installationen vor allem aufgrund der hohen Kosten und der komplizierten Umsetzung verwehrt. Seit dem gescheiterten Vorstoß ins LAN konzentrieren sich die Anbieter von ATM-Equipment auf den Weitverkehrsbereich, für den das Verfahren auch ursprünglich entworfen wurde.

Doch selbst in diesem Marktsegment droht nun Gefahr - und zwar von schwedischen Startups. Mit Rückendeckung des heimischen TK-Konzerns Ericsson haben sich die Anbieter Dynarc AB, Net Insight AB sowie Effnet AB aufgemacht, den Dynamic Synchronous Transfer Mode (DTM) als Alternative zu ATM und Sonet (in Europa SDH) zu etablieren.

DTM wurde Anfang der 90er Jahre entworfen, um Bandbreiten über 1 Gbit/s zu realisieren. Die Entwickler zerteilen die Kapazität von Glasfaserleitungen gleich zweifach. Eine feste, zeitgebundene Einheit bilden die Frames. Diese Zeitzyklen sind auf 125 Mikrosekunden festgelegt. Sie werden wiederum in Slots zerteilt, die immer 64 Bit umfassen, deren Anzahl pro Frame jedoch variabel ist. Ein spezieller DTM-Algorithmus errechnet unter Berücksichtigung der Netzkapazität, wieviele Slots ein Zeitrahmen aufnehmen kann. Bei einem Datentransfer von 2,5 Gbit/s lassen sich beispielsweise rund 4800 Slots in einem Rahmen unterbringen.

Dieses Vorgehen erlaubt es DTM, Applikationen Kanäle und somit Bandbreite je nach Bedarf zur Verfügung zu stellen. Der Aufbau und die Zuteilung der freien Kapazitäten erfolgt automatisch. So können Service-Provider mit DTM-Infrastruktur Leitungskapazitäten für Video- und Sprachübertragungen garantieren, falls notwendig aber auch laufende Datentransfers in ihrer Bandbreite beschneiden. Mit dieser Funktionalität und den implementierten Switching-Verfahren sowie der Signalisierung geht DTM über die in Sonet- und SDH-Netzen gebotenen Möglichkeiten hinaus.

Die Protagonisten der DTM-Szene positionieren DTM nicht zwangsläufig gegen SDH. Ebenso wie ATM läßt sich die junge Technik auf dieses synchrone Weitverkehrsverfahren aufsetzen. Als Grundlage läßt sich aber auch das Dense Wavelength Division Multiplexing (DWDM) nutzen.

Anders als ATM ist die schwedische Entwicklung jedoch besser auf den Transport von IP-Daten ausgelegt. Zwar arbeitet auch das ATM-Forum daran, das asynchrone Verfahren für IP-Verkehr zu optimieren. ATM ist aber ein verbindungsorientiertes Übertragungsverfahren, bei dem zwischen Sender und Empfänger ein Übertragungsweg definiert wird. Mit dieser Voraussetzung lassen sich Broadcasts und Multicasts schwer umsetzten. ATM verwendet einen dafür eigens ausgelegten Server, der die Vermittlung der Nachrichten an eine Vielzahl von Empfängern übernimmt.

DTM ist dagegen senderorientiert. Jeder Datenquelle werden je nach Dringlichkeit und Verfügbarkeit Zeit-Slots in Form von Kanälen zugeteilt, von denen ein geringer Teil für die Übertragung von Kontrollinformationen vorgesehen ist. Diese DTM-Kanäle sind von Natur aus Multicast-fähig, denn pro Sender lassen sich eine Vielzahl von Empfängern definieren. Dadurch erübrigt sich die Installation einer zentralen Kontrolleinheit, wie es in ATM-Umgebungen der Broadcast-Server ist.

DTM ist damit weniger komplex als ATM. Es erzeugt zudem einen geringeren Overhead. Gleichzeitig versprechen die DTM-Anbieter die gleiche Funktionalität. Die derzeitig starke Nachfrage nach ATM-Equipment durch Carrier und Service-Provider beunruhigt Olov Schagerlund, Präsident und Geschäftsführer von Dynarc, nicht.

Europäischer Standard für DTM angepeilt

Der DTM-Anbieter konzentriert sich noch auf die Weiterentwicklung und Durchführung von Feldversuchen, etwa in einigen schwedischen und amerikanischen Städten. "ATM-Netze lassen sich sehr einfach durch DTM-Komponenten ersetzen", gibt sich Schagerlund zuversichtlich. Immerhin, so zitiert er die Erfahrung des Internet-Service-Providers Uunet, verdoppele sich die nachgefragte Netzkapazität alle vier Monate. Die Switches würden in einem Zyklus von zwölf Monaten ausgetauscht.

"Warum Kapazitäten in die Entwicklung einer neuen Technik stecken, wenn es ein funktionierendes und standardisiertes Verfahren gibt?" fragt George Dobrowski, Präsident des ATM-Forums. DTM könne intelligente Netzdienste nicht nutzen und keine komplexen Telefonvermittlungsdienste umsetzen.

Zumindest das Problem der Standardisierung hoffen die schwedischen DTM-Anbieter demnächst gelöst zu haben. Ihre Technik haben sie dem European Telecommunications Standards Institute (ETSI) übergeben; wann eine Entscheidung fällt, ist jedoch nicht bekannt. Das größere Problem dürfte für die DTM-Verfechter ebenso wie für die Wideband-Anbieter jedoch sein, Anwender zur Migration auf ein Verfahren zu bewegen, für das nur wenige Hersteller Equipment anbieten. Trotz technischer Lockmittel ist Zurückhaltung geboten, denn mangelnder Wettbewerb hemmt immer die Weiterentwicklung. Bei exotischen Verfahren besteht zudem stets die Gefahr, daß sie mangels Masse vom Markt verschwinden.