Krise der amerikanischen Chip- und System-Industrie hält weiter an, aber:

NatSemi will Führungsanspruch ausbauen

24.10.1986

MÜNCHEN (bk) - Bei der National Semiconductor (NatSemi) Corporation ist Zuversicht angesagt: Trotz anhaltender Flaute im Halbleiter- und System-Geschäft glaubt Präsident Sporck, bis 1990 zu den am schnellsten wachsenden Herstellern In den USA zu zählen. Dennoch schnallen die Amerikaner den Gürtel immer enger. Auf der diesjährigen Electronica wird NatSemi fehlen.

Noch im März des vergangenen Jahres hatte ein fassungsloser Charles E. Sporck die katastrophale Halbleiter-Marktlage mit den Worten kommentiert: "Etwas Vergleichbares habe ich in den 17 Jahren meiner Betriebszugehörigkeit noch nicht erlebt." Das Unternehmen rutschte tief in die roten Zahlen und macht auch heute noch in erster Linie mit Verlustmeldungen auf sich aufmerksam. Auf dem vierten "European Press Briefing", das unlängst in München im Beisein des NatSemi-Präsidenten stattfand, war dieses Thema indes tabu. Optimismus war ,angesagt. Bis 1990, so Sporck, werde National Semiconductor zu den am schnellsten wachsenden amerikanischen Herstellern sowohl im Halbleiter- als auch im Systemgeschäft gehören.

Den Grundstein zum Erreichen dieses Ziels habe man bereits Anfang des Jahres mit einer umfassenden Neustrukturierung des Konzerns gelegt. In zwei gleichwertigen Divisionen wurden die einzelnen Halbleiter- und System-Gruppen zusammengefaßt. Laut Sporck könnten durch diese neue Organisation strategische Projekte zwischen beiden Gruppen effektiver und effizienter durchgeführt werden. Auch dürfte ein engeres Zusammenarbeiten der beiden Divisionen der Halbleitergruppe ermöglichen, die Ansprüche und Ziele ihrer Systemkunden besser zu verstehen. Für die Division Informationssysteme, in der die National Advanced Systems (NAS) als weltweiter Lieferant für Zentralrechner, Valueadded-Hardware und Software für den PCM-Markt die größte Rolle spielt, erwartet Sporck eine Steigerung am Gesamtumsatz auf mehr als 50 Prozent in den kommenden Jahren. Derzeit liegt der Umsatzanteil bei 43 Prozent.

Unerläßlich, betonte der NatSemi-Chef, sei aber auch, das hohe Investitionsvolumen der vergangenen Jahre in Forschung und Entwicklung beizubehalten. Immerhin habe man selbst in finanzschwachen Jahr 1986 noch 23 Prozent des Halbleiter. Umsatzes in die Forschung und Entwicklung gesteckt. Bis 1990 beabsichtigen die Amerikaner, mehr als 60 Prozent in die Chip-Forschung zu investieren. Schwerpunkt soll hierbei die Entwicklung der CMOS-Technologie darstellen. Im Peripheriebereich setzt National Semiconductor hingegen auf Grafik- und LAN-Chips. Vor allem die zunehmende Bedeutung des Telecom-Bereichs ließ die Amerikaner bekanntlich unlängst ein Abkommen mit Thomson Semiconductor schließen. Die beiden Unternehmen wollen zukünftig gemeinsam Telecom-Produkte im ISDN-Bereich entwickeln.

Trotz der optimistischen Zukunftsmusik des NatSemi-Häuptlings ist unübersehbar, daß die Corporation harten Zeiten entgegengeht. Die amerikanische Halbleiter- und System-Industrie befindet sich weiterhin im Tief, und der Konzern macht noch immer Verlust. Niemand wagt eine Prognose, wann sich die mißliche Situation verbessern wird. Im Gegenteil: Ein Sprecher der deutschen NatSemi-Tochter in Fürstenfeldbruck glaubt, daß das untere Ende der Chip-Krise in den USA noch nicht erreicht ist.

Außerdem seien nun die Auswirkungen auch in Deutschland zu spüren. Man habe bereits mit Absatzproblemen zu kämpfen, die Umsätze gingen zurück. Erste Maßnahme: Das deutsche NatSemi-Team "darf" zwischen Weihnachten und Neujahr Urlaub nehmen.

Daß die NatSemi Corporation den Gürtel noch enger schnallen muß, beweist auch die Tatsache, daß das Unternehmen in diesem Jahr zum ersten Mal nicht auf der Münchner Electronica im November vertreten ist. Ein Grund: Die Ressourcen fehlen.