Schreibtischkultur

My Büro is my Castle

09.02.2012 von Judith-Maria Gillies
Action-Figuren, Familienfotos, Witz-Gadgets: Privatkram am Arbeitsplatz gibt dem Büro eine persönliche Note. Doch was sagt dies über den Mitarbeiter und dessen Teamfähigkeit aus? Experten geben überraschende Antworten.
Volker Pinsdorf, Electronic Arts: "Bei uns stört sich keiner, wenn ein Kollege seine E-Gitarre auf der Fensterbank hat."
Foto: Privat

Ein Pin-up-Manga als Mauspad. Eine Webcam in Form der Enterprise. Und neben der Tastatur ein Yoda-Wackelkopf. Nun ja, man kann sich das Arbeiten am Schreibtisch schon schön machen. Und das Beste daran ist: Die meisten Arbeitgeber haben noch nicht mal was dagegen. "Freiraum im Job ist uns ganz wichtig. Dazu gehört auch der Freiraum der Arbeitsplatzgestaltung", sagt Volker Pinsdorf, Human Resources Manager bei Electronic Arts Deutschland in Köln. Solange man seine beruflichen Ziele erreiche, könne man seinen Platz so dekorieren, wie man will.

Das gilt auch bei SAP. "Die Mitarbeiter haben die Freiheit, im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit die Arbeitszeiten und Arbeitsumgebungen so zu gestalten, wie es ihnen gefällt", sagt Jörg Staff, Senior Vice President Human Resources der Walldorfer Softwareschmiede. Und bei Unisys Deutschland in Sulzbach im Taunus heißt es: "Unsere Arbeitsplätze werden zunehmend mobil, das Projektgeschäft nimmt zu, feste Arbeitsplätze sterben aus. Wenn die Mitarbeiter aber dann im Büro sind, sollten sie eine Umgebung vorfinden, in der sie gern mit den Kollegen kommunizieren", sagt Geschäftsführer Dietrich Schmitt. Er fördert daher Arbeitsumgebungen, in denen sich seine Leute wohlfühlen. "Eine persönliche Note am Arbeitsplatz ist ausdrücklich erwünscht, weil sie die Effizienz fördert", so Schmitt.

Lernen von den Vertriebsprofis

Jede Menge Grünpflanzen: Eines der Büros von Google in Zürich.
Foto: Google

Erlaubt ist in Deutschlands Büros also alles, was gefällt. Allerdings würde sich genaueres Hingucken durchaus lohnen. Denn der Privatkram am Arbeitsplatz gibt Führungskräften und Kollegen wertvolle Hinweise. "Vorgesetzte können viel aus der Arbeitsplatzgestaltung ihrer Mitarbeiter herauslesen - wenn sie diese Möglichkeit bewusst nutzen", erklärt Egon Stephan, Leiter des Psychologischen Instituts der Universität Köln. Um die Signale richtig zu deuten, reicht der aufmerksame Blick auf verschiedene Schreibtische. Was man dort im Durchschnitt zu sehen bekommt, gilt als ungeschriebene Betriebsnorm in Sachen Gestaltungsrichtlinien. "Weicht ein Kollege stark davon ab, fehlt es ihm entweder an der notwendigen Sensibilität, oder er verletzt die Normen absichtlich", so der Psychologe. "In beiden Fällen kann man davon ausgehen, dass der betreffende Mitarbeiter Probleme haben wird, sich in bestehende Abläufe und Teams zu integrieren."

Michael Breidung, Stöger & Partner: "Vielen Mitarbeitern ist gar nicht bewußt, daß sie mit der Einrichtung ihres Büros bestimmte Signale aussenden."
Foto: Privat

Der Blick ins Büro als Blick in die Seele? Dieser Zusammenhang dürfte manch einen IT-ler überraschen. "Vielen Mitarbeitern ist gar nicht bewusst, dass sie mit der Einrichtung ihres Büros bestimmte Signale senden. Dabei ist den meisten von ihnen wichtig, wie sie auf andere wirken", sagt Michael Breidung, Geschäftsführer der Personalentwicklungsgesellschaft Stöger & Partner in Markt Schwaben. Er empfiehlt IT-Kräften, sich bei Vertriebsprofis etwas abzugucken. Denn in dieser Berufsgruppe gehört es zum Standardrepertoire, sein Gegenüber schon beim ersten Kennenlernen richtig einzuschätzen. Die Regeln lauten: Umgibt sich ein Mitarbeiter mit privaten Dingen, ist er offen für persönliche Gesprächseinstiege. Richtet er sich dagegen völlig unpersönlich ein, hat er keinen Sinn für persönliches Geplauder und will lieber gleich zur Sache kommen. Breidung: "Wer sein Gegenüber richtig einordnet, kann schnell die passende Ansprache herausfinden."

Gemütliches Wohnzimmer

Nicht nur Chefs profitieren von einem Kennerblick. Auch Kollegen, die wissen, was ihr Kram ausstrahlt, können gewinnen. So nutzen clevere Mitarbeiter ihre persönliche Arbeitsumgebung, um dem Umfeld ihre soziale und emotionale Kompetenz mitzuteilen. Psychologe Stephan: "Wenn sie ihre privaten Dinge am Arbeitsplatz auf die Betriebskultur abstimmen, können sie damit auch ihre Karriere fördern." Mit anderen Worten: Ist es in der Firma gern gesehen, dass Mitarbeiter einen familiären Rückhalt haben, macht sich ein Familienfoto sicher nicht schlecht. Wird viel Wert auf Individualität gelegt, lässt sich womöglich mit dem neuesten Nerd-Spielzeug punkten.

Bei Electronic Arts zum Beispiel ist Kreativität gefragt. Daher stört sich auch niemand daran, wenn sich auf einer Schrankwand Dutzende Fußbälle türmen oder wenn ein anderer Kollege seine E-Gitarre im Büro prominent auf der Fensterbank ausstellt.

Jörg Staff, SAP: "Je gemütlicher das Büro, desto effektiver die Mitarbeiter."
Foto: Privat

SAP geht sogar noch weiter. Für 300 ihrer Entwickler richtet die Firma gerade eine riesige Großraumlounge ein. "Eine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre soll die Techies einladen, zusammen zu kommen und gemeinsam neue Ideen zu entwickeln", erklärt Personaler Staff. Auf den Wohlfühleffekt im Job setzt auch Google. Legendär sind die Büros, die eher Spiel- als Arbeitsplätzen gleichen. Zwischen Hängematten und Kletterwänden, Badewannen und Rutschen sollen sich die Mitarbeiter so wohl wie möglich fühlen. "Wir arbeiten alle hart. Aber das sieht man den Arbeitsplätzen nicht an", sagt Stefan Keuchel von Google Deutschland in Hamburg.

Stefan Keuchel, Google: "Wir arbeiten alle hart, aber das sieht man den Büros nicht an."
Foto: Privat

Aber auch Nicht-Googler können sich ihren Arbeitsplatz schön gestalten. Der Drang dazu liegt in der Natur des Menschen. "Mit privaten Dingen stecken Mitarbeiter ihr eigenes Territorium ab", sagt Lenelis Kruse-Graumann, Honorarprofessorin am Psychologischen Institut der Uni-versität Heidelberg. "In der Innenwirkung zeigen sie damit, was ihnen wichtig ist. In der Außenwirkung signalisieren sie, wer sie sind."

Verschönerung hat ihre Grenzen

Doch Vorsicht. Bevor man die eigene Sammlung von Super-Mario-Figuren aufbaut, sollte man mit offenen Augen durch die Firma gehen und gucken, was willkommen ist. "Häufig widerspricht die Corporate Identity den Bedürfnissen des einzelnen Mitarbeiters nach seinem eigenen Territorium", so Kruse-Graumann. Soll heißen: Ein Arbeitgeber, der stolz ist auf die cool durchgestylte Firmeneinrichtung, mag wenig Verständnis für die Star-Wars-Sammlung des IT-Leiters mitbringen.

Wann zu viel wirklich zu viel ist, muss jeder Mitarbeiter selbst entscheiden. Wer sich einrichtet nach dem Motto "My Büro is my castle", wird nicht punkten. Es gilt, immer an die Normen zu denken. "Und die werden beispielsweise verletzt, wenn Kollegen den Eindruck bekommen, sie beträten ein privates Wohnzimmer", sagt Fachmann Stephan.

Dietrich Schmitt, Unisys: "Ein Pirelli-Kalender macht sich nicht so gut, wen Kunden kommen."
Foto: Privat

Schluss mit der Verschönerung sollte sein, bevor der Chef sich fragen könnte "Kann der Kollege bei diesem ganzen Kram eigentlich noch klar denken?" Berater Breidung rät, "die Balance zu halten zwischen dem, was mir die Arbeit versüßt, und dem, was mein Umfeld von mir fordert". Bei Electronic Arts etwa ist Schluss mit lustig, wenn andere Kollegen gestört werden könnten, etwa durch Musik. Zudem sollten auch IT-Kreise auf ein Schreibtisch-Durcheinander im großen Stil verzichten. "Dass Genies angeblich das Chaos beherrschen, ist längst als Mythos enttarnt", so Breidung. Und Unisys-Geschäftsführer Schmitt weist darauf hin, dass die Großraumbüros der Firma auch "unsere Visitenkarte für Geschäftspartner" sind. Schmitt schmunzelt: "Da würde sich ein Pirelli-Kalender wohl nicht ganz so gut machen."