ERP-Migration

Mut zum Prozesswechsel

27.05.2008 von Axel Schmidt
Firmen sollten den Umstieg auf ein anderes ERP-System nicht nur als technische Aufgabe betrachten, sondern als Chance nutzen, ihre Abläufe anders zu gestalten.

Allzu oft betrachtet man eine ERP-Migration einzig und allein aus der technischen Sicht und begeht damit eigentlich schon den ersten Kardinalfehler. Denn ERP-Umstellungen berühren die Hauptschlagader eines Unternehmens, die Versorgungs- und Wertschöpfungsketten. Wer hier Veränderungen vornimmt, sollte dies als Chance begreifen und sämtliche Prozesse auf den Prüfstand stellen. Das betrifft nicht nur das ERP-System selbst, sondern auch alle vor- und nachgelagerten Prozesse und Systeme.

Das Thema ERP-Migration steht bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Aufgabenliste. Einerseits sind die Firmen mit ihrer ERP-Software nicht mehr zufrieden, andererseits zeigt sich, dass viele beim Systemwechsel ein hohes Risiko eingehen.

Ist die Entscheidung für ein neues Enterprise Resource Planning (ERP) erst einmal gefallen, kommt es zunächst vor allem darauf an, das neue System mit Leben zu füllen. Oder anders formuliert: Die neue Lösung ist mit Daten zu "füttern". Und dennoch ist die Lage nicht ganz so schlicht, dass man einfach alle Daten von A nach B "schaufeln" könnte. Vielmehr gilt es, einen sanften Übergang zu schaffen, während altes und neues System im Parallelbetrieb nebeneinander laufen. Denn Migration erfordert meist auch Koexistenz.

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Datenmigration liefert das Industrieunternehmen Friwo aus Ostbevern. Durch gute Vorbereitung gelang es, eine veraltete AS/400-Software abzulösen und die Daten in eine Client/Server-Lösung zu übernehmen.

Welche ERP-Daten sind noch wichtig?

Frank Jelinek, Leiter des Competence and Delivery Center (CDC) Nordeuropa beim IT-Integrationsspezialisten Axway, gibt Unternehmen dafür einen einfachen Fahrplan an die Hand: "Zunächst muss sich das Unternehmen die banale Frage stellen, welche Daten es überhaupt noch benötigt." Hierzu sollten die Firmen definieren, welche Daten als Stamm- und welche als Bewegungsdaten gelten können. Jelinek zufolge ist das keinesfalls selbstverständlich. Danach ist zu überlegen, welche Dateninhalte in welche Elemente des neuen Systems zu überführen sind. Auf dieser Grundlage lässt sich entscheiden, welche Formate zukünftig benötigt werden und wie diese Daten gegebenenfalls anzureichern beziehungsweise zu transformieren sind.

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Die Transformationsaufgaben lassen sich mit Softwarewerkzeugen automatisieren. Tools erlauben es, Daten flexibel zu konvertieren und zu validieren. Firmen können so die Datenqualität erhöhen. Ganz wichtig: Die Verantwortlichen sollten sich bereits im Vorfeld Routinen überlegen, was geschehen soll, wenn Daten fehlerhaft übertragen werden.

Prozesse auf dem Prüfstand

"Die Datenmigration ist jedoch nur ein relativ kleiner Schritt im Gesamtprojekt", so Jelinek. "Da eine ERP-Migration alle Unternehmensressourcen berührt, sollten Firmen die Chance nutzen, um Abläufe zu verbessern, statt nur alten Wein in neuen Schläuchen zu produzieren."

Im Zuge eines Prozess-Redesigns müssen Abläufe so grupppiert werden, dass sich Prozessketten ergeben, die aufeinander abgestimmt sind. Erst dann hat das Unternehmen die Möglichkeit, Vorgänge zu straffen.

ERP-Umstieg als Chance

Die Prozessüberprüfung verlangt dabei zunächst nur eine rein fachliche Analyse des Zusammenspiels aller am Geschäftsbetrieb Beteiligten. Reine Dokumentation und Evaluation also, die eruieren soll, wo und warum sich Flaschenhälse, Verzögerungen und Kapazitätsengpässe ergeben und wie sie sich beseitigen lassen.

"Prozessvisualisierung ist eine wesentliche Komponente, die Unternehmen dabei unbedingt berücksichtigen sollten", rät Axway-Manager Jelinek. Dabei komme es nicht darauf an, einfach nur Bildchen zu zeichnen, sondern Business Process Management zu betreiben. Die modellierten Prozesse lassen sich so durch einen Server kontrollieren, um Rückmeldungen in die beteiligten Instanzen zu erzeugen. Diese können sowohl technisch als auch inhaltlich sein, zum Beispiel eine Zeitüberschreitung einer Rückmeldung oder ein außergewöhnliches Bestellvolumen an einen Lieferanten.

ERP-Migration ist nicht nur ein internes Projekt

Auch wenn es abgedroschen klingt: Immer kürzere Produktlebenszyklen sowie der Druck, Erzeugnisse schnell auf den Markt zu bringen, sorgen dafür, dass Unternehmen sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Daraus folgt, nicht mehr alles selbst zu machen, sondern Partnernetzwerke zu bilden, aus denen komplexe Wertschöpfungsketten entstehen.

Auch diesen Sachverhalt sollten Anwender beim ERP-Wechsel berücksichtigen. Beispielsweise sind Strukturen zu bilden, die eine durchgängige Partnerkommunikation vom ERP-System bis zum Vertrieb schaffen. Das schließt alle Systeme mit ein, die mit der ERP-Lösung kommunizieren.

Zunächst muss man sich schlicht die banale Frage stellen, welche Daten man überhaupt benötigt, meint Frank Jelinek, Leiter des Competence and Delivery Center (CDC) Nordeuropa bei Axway Deutschland.

Jelinek verweist exemplarisch auf ein Projekt, das Axway für einen großen Einzelhändler abgewickelt hat. Der habe ein neues ERP-System eingeführt und dabei die Chance genutzt, sein Partnernetz und die anfallenden Prozesse flexibler zusammenzuführen. Dabei spielte auch die Möglichkeit, neue Partner ohne großen Aufwand einbinden zu können, eine bedeutsame Rolle.

Die Bons aus über 750 Filialen laufen bei dem Einzelhändler von der jeweiligen Kasse in das ERP-System der Konzernzentrale. Dort erzeugen sie einen Bestellvorschlag und übermitteln ihn zurück an die Filiale. Der Filialleiter vor Ort erstellt auf dieser Grundlage seine Bestellung, die dann über das System an den Lieferanten versendet wird. Die Prozesse werden dabei sowohl von technischer als auch von inhaltlicher Seite überwacht und eröffnen dem Nutzer die Chance, bei ungewöhnlichen Entwicklungen frühzeitig einzuschreiten.

Fazit

Mit einer ERP-Migration bietet sich Anwenderunternehmen die große Chance, effektivere Prozesse zu etablieren. Sie lassen sich besser aufeinander abstimmen, sicherer gestalten und vor allen Dingen automatisieren.

Dies wird aber nur gelingen, wenn auch die Lösungsanbieter von Anfang an bemüht sind, die Prozesse der Anwender zu verstehen. Denn nur so können sie diese durchgängig abbilden und systemgestützt einführen. Dafür ist nicht gleich eine neue Form von Unternehmensberatung erforderlich, sondern eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Geschäft des Anwenders.

Firmen wiederum sollten sich, wenn sie schon die Soll-Prozesse auf den Prüfstand stellen auch mit den Fragen ihrer Partner- und Lieferantenkommunikation auseinandersetzen.

Auf den Punkt gebracht kann man allen "ERP-Migranten" mit auf den Weg geben: Analysieren, strukturieren und konsolidieren. Und dies möglichst ohne proprietäre, sondern mit standardisierten Lösungen. (fn)

Bei der Auswahl Ihres ERP-Systems hilft Ihnen der ERP-Matchmaker von der COMPUTERWOCHE und der Trovarit AG.