Ratgeber für kleine und mittelständische Firmen

Muss es immer die große ERP-Lösung sein?

01.04.2015 von Tobias Hagenau
Große ERP-Systeme, die alle möglichen Anwendungsszenarien abdecken, haben ihre Berichtigung bei Unternehmen, die alle denkbaren Funktionen tatsächlich auch benötigen. Alle anderen, besonders kleine und mittelständische Unternehmen, fahren mit individuell konfigurier- und erweiterbaren Systemen sehr viel besser – und günstiger.
Um betriebsrelevante Zahlen zu erhalten, muss es nicht immer die teuerste ERP-Lösung sein.
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Es gibt große und mächtige ERP-Lösungen, die man einführt, um nach und nach die vielen Funktionen zu entdecken, die für das Unternehmen vielleicht wichtig sind oder einmal sein werden. Dieser Weg ist möglich, für viele Unternehmen aber schlicht zu teuer, weil sie neben der übermächtigen Software in der Regel auch kostspielige Wartungsverträge und kostenpflichtige Updates in die Kalkulation einplanen müssen, die langfristig Kapital binden. Dazu kommt, dass es mit dem einfachen Roll-out solcher Mammutlösungen selten getan ist; Prozesse müssen an die große Lösung angepasst werden, die überdies oft einen ganz eigenen Programmieraufwand für die Anpassung an vorhandene Systeme und Datenspeicher erfordert.

Agilität und Flexibilität, die von der Unternehmens-IT in Zeiten sich rasch wandelnder Märkte und sich eher täglich verändernden Kundenverhaltens mehr denn je gefordert sind, sehen anders aus. Aber wie?

An der digitalen Transformation kommt kein Unternehmen vorbei

Kein Unternehmen - und sei es auch noch so klein - kommt heute mehr ohne Software-Unterstützung aus. Die digitale Transformation fordert von Organisationen jeder Größe und Branche aktive Teilhabe - bei Strafe ihres Untergangs für den Fall der Weigerung. Umgekehrt - und auch hier gibt es keine zwei Expertenmeinungen - schafft die Digitalisierung von Produktions- und Distributionsprozessen völlig neue Möglichkeiten für Geschäfts- und Erlösmodelle, die es ohne Digitalisierung gar nicht gab. Ein Beispiel dafür sind Predictive Analytics auf der Basis von riesigen, in der Regel unstrukturierten Datenmengen, die in Echtzeit Einblicke in das laufende Geschäft möglich machen. Solche Einblicke erlauben es Unternehmen, zum Beispiel auf Kundenanforderungen oder Vorfälle in der Produktion schnell zu reagieren - noch bevor es einer der Mitbewerber tut. Für die Kundenbindung und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ist das absolut erfolgskritisch.

Intersearch über die Anforderungen der Digitalen Transformation
Chefs ohne Datenverständnis
In der Studie "Digitale Transformation und ihre Auswirkung auf die Führung im Mittelstand" stellt der Berater Intersearch Executive Consultants fest, dass es Führungskräften an Datenverständnis mangelt.
Verstärkte Anforderungen
Fast sechs von zehn Befragten erwarten, dass Führungskräfte künftig mehr Datenverständnis mitbringen müssen. 72 Prozent sehen diese Kompetenz derzeit nur "eher ausgeprägt" bei den Entscheidern.
Überblick neue Anforderungen
Nicht nur Hard Skills, sondern auch Soft Skills wie Kommunikationsstärke und Offenheit für Feedback werden nach Ansicht der Umfrageteilnehmer künftig stärker gefragt sein.
Verständnis für Daten
Beim Punkt Datenverständnis haben die Autoren der Umfrage nachgehakt. Demnach wird diese Kompetenz auch in Stellenbeschreibungen festgehalten.
Kooperatives Handeln
Außerdem ist mehr als jeder zweite Befragte davon überzeugt, dass die Fähigkeit zu kooperativem Handeln an Bedeutung gewinnt.
Julia Böge, Client Partner
Julia Böge ist Client Partner der Personalberatung Intersearch. Ihre These: Je höher die Digitalkompetenz der Entscheider, umso besser für den CIO: „Diese Führungskräfte werden den CIO dabei unterstützen, Projekte zur digitalen Transformation umzusetzen.“

ERP - so individuell wie nötig, aber auch nicht mehr

Der Markt bietet mittlerweile ERP-Lösungen in jeder Größenordnung und Darreichungsform an - On-Premise und aus der Cloud. Aber welche Lösung passt zu dem einzelnen Unternehmen? Im Prinzip eine, die so individuell wie möglich die Prozesse unterstützt. Individuell - das ist meist gleichbedeutend mit komplex und teuer.

Man kann das Problem auch von oben aus angehen: Es gibt, wie beschrieben, mächtige ERP-Suiten am Markt, die individuellen Bedarf mit einer großen Fülle an Funktionen befriedigen - frei nach dem Gießkannenprinzip, nach dem großflächig in der Hoffnung geschüttet wird, schon die richtige Saat zu treffen. Auch das ist gerade für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) keine Alternative, denn jede einzelne Funktion will bezahlt werden - ob sie nun tatsächlich benötigt und eingesetzt wird oder nicht.

ERP als modulares und konfigurierbares, also offenes System

Gerade für KMU bietet sich ein dritter Weg an, der ihnen Teilhabe an der digitalen Transformation ermöglicht, aber weder das komplette Umlauf- noch das Anlagevermögen bindet. Dieser Weg besteht aus einem modularen ERP-System, das mit einer Vielzahl von Schnittstellen und Importfunktionen an der in aller Regel bereits vorhandenen IT-Infrastruktur andockt, aber nur genau die Funktionen bietet, die das Unternehmen im Moment braucht. Entwicklungsfähig sind diese Systeme dennoch: Aus dem Katalog von Modulen suchen sich Anwenderunternehmen die zu ihrer Evolution passenden Erweiterungen raus und verbinden sie mit dem vorhandenen ERP-System.

Bei Einrichtung und Erweiterung solcher modularen Systeme liegt der Fokus im Unterschied zu den ganz großen Lösungen auf dem Konfigurieren; das aufwändige, fehleranfällige und wartungsintensive Programmieren von Erweiterungen gehört hier der Vergangenheit an. Das hat einen weiteren Vorteil, der bei der Diskussion um die digitale Transformation eine wichtige Rolle spielt: IT ist nicht länger Expertensache, sondern lässt sich so anpassen und bedienen, dass sie dort effizient ist, wo sie effizient sein soll: in den Fachbereichen, in denen die Mitarbeiter zum Beispiel Kundenbewegungen und Produktionsabläufe auch ohne Spezialistenwissen und steile Lernkurven analysieren wollen.

8 Trends, die den Markt für Enterprise Software prägen werden
Hybrid Cloud wird zum Mainstream-Thema.
Chris Wolf, Chief Technolgy Officer (CTO) bei VMware in den USA, hat im vergangenen Jahr eine Tendenz zu Multi-Cloud-Strategien beobachtet, die sich seiner Einschätzung nach 2015 verstärken wird. „CIOs wollen die Flexibilität nutzen, die Hybrid-Cloud-Umgebungen bieten“, sagt Wolf. „Und Senior IT-Entscheider werden in Hybrid-Cloud-Architekturen investieren, um ihre Anwendungen und Services zukunftssicher zu gestalten.“ Mit dieser Einschätzung ist der VMware-Manager nicht allein. Für Marc Malizia, CTO bei RKON Technologies, einem Anbieter von Managed-Cloud-Lösungen, wird sich der Trend nicht mehr umkehren: „Die Cloud ist nun schon seit einigen Jahren ein ganz heißes Thema. Unternehmen legen Anwendungen in die Wolke, um schneller zu werden, die Kosten zu senken und einen höheren Servicelevel zu erreichen.“ Malizia erwartet, dass sich 2015 sehr viele Firmen für ein Hybrid-Cloud-Modell entscheiden und dabei externe Cloud-Services mit ihrer hausinternen Private Cloud integrieren werden.
Enterprise Mobile Apps heben ab.
Mobile CRM wird eines der Themen sein, die Enterprise-Software auf mobilen Endgeräten zum Durchbruch verhelfen. Dazu hat nicht zuletzt Salesforce.com beigetragen, das 2014 massiv in seine Mobile Apps investiert und auch seine Integrationspartner dazu gedrängt hat. Mark Seemann, CEO von Synety, einem Spezialisten für die Integration von VoIP-Telefonie in Business-Anwendungen, sieht „Mobile als das wichtigste Schlachtfeld für die großen CRM-Anbieter“. Die Funktionalität der zahlreichen Apps werde sich weiter der von klassischen Web-basierten CRM-Lösungen annähern. Michael DeFranco, Gründer und CEO von Lua, einem Anbieter von sicheren Messaging-Lösungen für Unternehmen, stimmt zu: “Die Mitarbeiter von Unternehmen halten sich immer seltener in ihren Büros und immer häufiger beim Kunden auf. Lösungen wie CRM oder BPM, die mobil einsetzbar sind, werden essenziell.“ Allerdings müsse deren Design optimal auf die Bedürfnisse und das Verhalten mobiler Nutzer abgestimmt sein. Die störungsfreie Kommunikation und Teamarbeit mit den Kollegen im Büro und unterwegs sei erfolgskritisch.
Enterprise Software wird im Abo bezogen.
Anstatt Lizenzen zu kaufen, werden Anwender im großen Stil auf Subskriptionsmodelle wechseln. Das erwartet unter anderem Engin Kirda, Mitgründer und Chief Architect des Security-Anbieters Lastline. „Die Abrechnung von Pro-User- und Pro-Jahr-Gebühren kommt auch für Enterprise-Software und ersetzt Pauschalpreise für Lizenzen und teure Software-Preloads für proprietäre Hardware.“ Nicht nur Enduser-bezogene Anwendungen würden künftig so berechnet, sondern auch Enterprise-Software und -Services – beispielsweise Lösungen für das Data Center Management oder die Einbruchserkennung und –vorbeugung. Die neuen Pricing-Modelle seien besser kalkulierbar und skalierbar.
In-Memory Computing trennt Spreu und Weizen im ERP-Markt.
„Plattformen wie SAP HANA oder Oracle In-Memory Application werden vor allem im Großkundenmarkt den Unterschied zur Konkurrenz ausmachen“, meint Glenn Johnson, Senior Vice President bei Magic Software Enterprises, einem Anbieter von Anwendungs-, Mobility- und Integrationslösungen. “In dem Maße, wie der Hype um Big-Data-Lösungen zunimmt, wird es für ERP-Unternehmen, die – anders als die ganz großen Player - keine In-Memory-Lösungen haben, schwieriger.“
ERP-Welten öffnen sich für tiefe Integration.
„ERP wird flexibler und ermöglicht die Einbindung neuer Einkaufs-, HR- und Kundenservicelösungen“, beobachtet Michael Golz, Senior Vice President und CIO von SAP Americas. SAP habe einige strategische Übernahmen getätigt, darunter die des auf Reisekosten-Management spezialisierten Anbieters Concur. Solche Lösungen könnten ERP-Kunden helfen, den Wert ihres Systems zu erhöhen und den Rahmen auszuweiten. Damit verschwänden die Grenzen zwischen den Enterprise-Software-Systemen immer mehr, und der Wert von IT-Investitionen steige. „Historisch wurden ERP und CRM als zwei separate Systemwelten gesehen“, ergänzt Jeremy Roche, CEO von FinancialForce, einem Anbieter von ERP-Software auf der Salesforce-Plattform. Mittlerweile realisierten viele Unternehmen aber den großen Wert, der darin liege, die Trennung zwischen Front- und Back-Office-Prozessen aufzuheben und das ERP-System ähnlich wie die CRM-Welt weiter in den Vordergrund zu rücken. „Anstatt zu erlauben, dass wichtige Kundeninformationen irgendwo im Unternehmen verteilt herumliegen, gehen Unternehmen daran, CRM und ERP zu einem einzigen System of Engagement zu verschmelzen. So können sie die gesamte ‚Customer Journey‘ begleiten – von der Geschäftsanbahnung bis zur Auslieferung des Produkts und nachgelagerten Service-Prozessen.“
Open Source gewinnt weiter an Bedeutung.
Data Warehousing und Business Intelligence waren lange die Domäne einiger weniger Anbieter von proprietärer Software. Das hat sich geändert. „In den vergangenen zehn Jahren haben sich Techniken wie Hadoop oder später auch Apache Spark als preiswerte Open-Source-Alternativen etabliert, die sowohl vom Maßstab als auch von der Raffinesse her alles mitbringen, um große Datenmengen analysieren zu können“, beobachtet Ali Ghodsi, Mitgründer von Databricks. 2015 werde diese und andere Open-Source-Software noch tiefere Spuren in der Enterprise IT hinterlassen. „Das Hadoop-Ökosystem soll bis 2020 einen Gesamtwert von 25 Milliarden Dollar erreichen“, beruft sich Ghodsi auf Marktforscher. Und Spark werde inzwischen von mehr als zehn Anbietern vermarktet, darunter Größen wie SAP, Oracle, Microsoft und Teradata. Alle großen BI-Tools wie Tableau, Qlik oder MicroStrategy würden unterstützt.
BI-Software wird visuell und einfacher zu nutzen.
„2015 werden Business-Intelligence-Lösungen so gut aussehen wie sie funktionieren - und so gut funktionieren wie sie aussehen“, sagt James Richardson, Business-Analytics-Stratege bei Qlik, einem Anbieter von BI- und Datenvisualisierungswerkzeugen. „Unternehmenskunden verlangen BI-Lösungen, die einfach zu nutzen sind – Self-Service-Lösungen. Visualisierung ist der Schlüssel dafür. Indem Daten in einfach zu erfassende Graphen und Charts aufgelöst werden, können User die Inhalte schnell und auf natürliche Art erfassen. Damit werden die Barrieren zwischen den Menschen und ihren Daten beseitigt“, so der Qlik-Manager.
Social-Web-Analyse wird selbstverständlich.
„2014 haben wir gesehen, dass die Unternehmen ernsthaft damit begonnen haben, Social Data zu analysieren“, sagt Ellie Fields, Managerin bei Tableau Software. Dieser Trend werde sich 2015 weiter verstärken. „Indem Konversationen im Social Web analysiert werden, können Unternehmen herausfinden, worüber ihre Kunden reden und wann ein Thema zu einem Trend wird.“ Social Intelligence sorge dafür, dass Firmen schneller würden und auf Kundenanforderungen, -wünsche und -beschwerden zeitnah reagieren könnten. Wer hier nicht aktiv werde, bringe sich gegenüber dem Wettbewerb ins Hintertreffen.

So viel Beratung wie nötig - den Rest schaffen die Unternehmen alleine

Auch modulare ERP-Systeme, die anstelle einer meistens überdimensionierten Standardsoftware eine echte individuelle Lösung bieten, kommen in der Regel nicht ohne Beratungsgeschäft und externe Dienstleistung aus. Allein die Frage, ob Anbieter X ein passendes Modul zur Anforderung des Unternehmens Y hat, erzeugt mindestens Gesprächsbedarf. In der Regel ist diese Einführung zusätzlich mit einer Anpassung an die Prozesse verbunden.

Der Unterschied zu den überfunktionalen Suiten liegt dennoch auf der Hand: Nach der Einführung einer Basislösung sowie modularer Erweiterungen geht der Beratungsbedarf tendenziell wieder gegen Null. Alles weitere, und hier ist die Unternehmens-IT als Partner ihrer Fachabteilungen nach wie vor sehr gefragt, schaffen die Anwender über die Konfiguration der Module auch alleine. Zusätzliches finanzielles Engagement, das am Ende vor allem dem Anbieter und seinem Partner ein erquickliches Auskommen garantiert, ist dann nicht mehr nötig. Und die Zukunftsfähigkeit solcher Systeme, die Veränderungen am Markt und im Kundenverhalten dynamisch und agil begleiten müssen, ist dennoch gewahrt. (bw)