Öffentlicher Dienst benötigt IT-Fachkräfte

Modernisierungsbedarf ist nach wie vor enorm

01.11.1996

Der sogenannte Durchdringungsfaktor wurde zur Beschreibung eines Arbeitsmarktes bisher nicht verwendet und muß daher erst einmal definiert werden. Die Meßziffer sagt aus, wie sich das Gesamtstellenangebot für Fach- und Führungskräfte zahlenmäßig zu den offenen Stellen für DV-Spezialisten verhält. Bei einem Durchdringungsfaktor von fünf kommen beispielsweise auf zehn (oder 20 oder 100 etc.) freie Fach- und Führungsjobs jeder Art zwei (oder vier oder 20 etc.) zu vergebende Plätze in der DV. Es läßt sich nach Belieben festlegen, auf welche Branchen, Funktionen, Disziplinen und Zeiträume sich der Durchdringungsfaktor jeweils beziehen soll.

So wurden beispielsweise in den ersten acht Monaten des Jahres 1995 in den Printmedien rund 14100 Positionen für Wirtschaftswissenschaftler ausgeschrieben. Von 820 unter ihnen wurden gleichzeitig spezielle Datenverarbeitungskenntnisse erwartet, mithin eine Meßgröße von 17,2. In den ersten acht Monaten des Jahres 1996 betrug die Relation 13 840 zu 1490, was einem Meßwert von 9,3 gleichkommt. 1995 bezogen sich demnach von 172 für Wirtschaftswissenschaftler ausgeschriebenen Stellen zehn auf Ökonomen mit speziellen Datenverarbeitungs-Kenntnissen. Ein Jahr später mußten bereits von 93 Ökonomen zehn auch einschlägiges Computer-Know-how mitbringen. Je niedriger also der Durchdringungsfaktor ausfällt, um so größer ist, gemessen am Gesamtmarkt, die Nachfrage nach DV-Experten.

Keine Frage, das Stellenangebot für DV-Spezialisten entwickelt sich derzeit günstig. Treten innerhalb eines Jahres zirka 4000 Absolventen im Studienfach Informatik inklusive Wirtschaftsinformatik auf den Markt, so wurden bereits innerhalb der ersten acht Monate des Jahres 1996 für diese Disziplin 9800 Stellen angeboten. 1700 solche Jobs schrieb der öffentliche Sektor aus, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es nur 1025.

Der Durchdringungsfaktor im öffentlichen Sektor veränderte sich innerhalb der ersten acht Monate des Jahres 1995 zu 1996 von 23,4 auf 13,8.

Von 138 für den öffentlichen Dienst ausgeschriebenen Positionen im Jahr 1996 waren also zehn für DV-Spezialisten gedacht. Ein Jahr davor hatte die Relation erst 234 zu zehn betragen. Somit hat der öffentliche Dienst in den zurückliegenden Monaten beim Einsatz von Computerfachleuten kräftig aufgeholt, meldet aber nach wie vor erheblichen Bedarf an.

Zwar ist der Anteil des öffentlichen Dienstes mit sechs Prozent aller Stellen für Informatiker recht klein, dennoch übertrifft er den des Handels mit vier Prozent. Auf die Industrie entfallen gegenwärtig 22 Prozent und auf den privaten Dienstleistungssektor 67 Prozent der per Inserat gesuchten DV-Spezialisten.

Innerhalb des öffentlichen Sektors ist der größte Stellenanbieter der Hochschul- und Forschungsbereich mit 41 Prozent der freien Positionen, gefolgt von Behörden mit 22 Prozent, dem Gesundheits- und Sozialwesen mit 15 Prozent, den Versorgungsunternehmen mit zwölf und den Verbänden mit zehn Prozent. Beim aktuellen Durchdringungsfaktor sieht die Reihenfolge anders aus. Weit fortgeschritten sind hier die Versorgungsunternehmen mit 6,9. Es folgen die Behörden mit 9,8, Hochschule und Forschung sowie Verbände mit 11,3, weit abgeschlagen das Gesundheits- und Sozialwesen mit 32,7. Hier sind also von 327 ausgeschriebenen Positionen erst zehn für DV-Fachleute vorgesehen. Im gesamten Arbeitsmarkt für qualifizierte Fach- und Führungskräfte liegt diese Relation derzeit bei 48 zu zehn.

Welche DV-Qualifikationen werden im öffentlichen Sektor gebraucht? Die Hochschulen und Forschungsinstitute suchen vor allem DV-Dozenten für Lehre und Forschung. Auch ganz junge Fachkräfte kommen als Anwendungstrainer (Tutoren) für die Anwendungsschulung des akademischen Nachwuchses unter. Ebenfalls gute Chancen im Wissenschaftsbetrieb haben Software- und Anwendungsentwickler sowie Programmierer. Ferner wird nach Systemspezialisten und -beratern sowie System-Managern, -ingenieuren und allgemeinen Software-Ingenieuren gefahndet.

Die Behörden fragen in erster Linie nach Anwendungs- und Software-Entwicklern, danach folgen die Systemverwalter. Relativ stark ist ferner der Bedarf an Systemberatern und -Managern, -ingenieuren und -programmierern. Gute Chancen haben auch Netzwerkspezialisten und Fachleute für die Bereiche Koordination und Organisation. Wer gar "Leiter DV" werden möchte, hat bei Behörden ebenfalls mehr Auswahl als anderswo. Beziehen sich innerhalb des gesamten Stellenmarktes nur 0,6 Prozent der Angebote auf diese Position, so sind es bei Behörden fast vier Prozent.

Versorgungsunternehmen fragten am häufigsten nach Anwendungsentwicklern, Systemanalytikern, Entwicklungs-, Organisationsingenieuren und Netzwerkspezialisten. Krankenhäuser und Sozialstationen haben einen etwa gleich großen Bedarf an Fachleuten für Systeme, Systemprogrammierung und Anwendungsentwicklung. Im Verbandswesen, nicht so ganz dem öffentlichen Dienst zuzurechnen, aber gleichwohl mit einer Reihe öffentlicher Aufgaben betraut, ist der Markt für PC-Koordinatoren am ergiebigsten. Das hängt offensichtlich mit dem hier bereits weit fortgeschrittenen Downsizing zusammen.

*Dr. Sigmar Gleiser arbeitet bei der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Frankfurt am Main in der Arbeitsmarktforschungs-Stelle (AMS).