Mittelstand droht Kredit- und Investitionsengpass

02.04.2008
Der deutsche Mittelstand hat der internationalen Finanzmarktkrise den Wirtschaftsprüfern von PricewaterhouseCoopers (PwC) zufolge bisher getrotzt. Trotzdem müssen sich Firmen laut PwC auf veränderte Finanzierungskonzepte einstellen. Laut Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) sowie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform ist eine restriktivere Kreditvergabe der Banken jedoch bereits Realität. Das könnte Konsequenzen für Investitionen, Produktentwicklung und Arbeitsplätze haben.

Die internationale Kreditkrise ist bislang für den deutschen Mittelstand ohne schlimmere Folgen geblieben. Zu diesem Ergebnis kommen die Finanzexperten von PwC nach einer Umfrage, an der sich in der zweiten Märzhälfte über 300 mittelständische Unternehmen beteiligten. Aus der Erhebung geht hervor, dass acht von zehn Unternehmen derzeit gar keine oder nur sehr geringe Auswirkungen auf ihre Geschäftsentwicklung sehen. Auf einer Bewertungsskala von 1 ("gar nicht betroffen") bis 5 ("sehr stark betroffen") gaben 54 Prozent der Unternehmen an, unter der Kreditkrise überhaupt nicht zu leiden, weitere 27 Prozent sehen nur geringe Auswirkungen. Immerhin sechs Prozent der Befragten halten sich für stark oder sehr stark betroffen.

Gegenkonzepte im Fall der Kreditklemme

Allerdings beobachtet der Mittelstand die Entwicklung mit Sorge und hält sich keineswegs für immun, sollte die Krise länger andauern. "Der Mittelstand reagiert gelassen, aber nicht blauäugig. Die Unternehmen wissen, dass sie für den Fall einer anhaltenden Kreditklemme kreative Gegenkonzepte entwickeln müssen", kommentiert Professor Norbert Winkeljohann, Mitglied des PwC-Vorstands und Leiter des Bereichs Mittelstand, die Haltung der Unternehmer.

Während Abschreibungen auf Immobilienkredite weltweit zu Liquiditätsengpässen im Finanzsektor geführt haben, ist laut PwC im Mittelstand von einer Kreditverknappung bisher wenig zu spüren. Lediglich ein Zehntel der teilnehmenden Firmen berichtet über eine Verschlechterung der Finanzierungskonditionen, während sich 90 Prozent der Befragten bislang zu den gleichen Bedingungen refinanzieren können wie vor Beginn der Kreditkrise. Allerdings registriert PwC-Vorstand Winkeljohann eine Tendenz der Kreditinstitute, verstärkt auf die Einhaltung der bestehenden Darlehensbedingungen zu achten. Eine Veränderung des Kreditumfeldes für mittelständische Unternehmen sei daher nicht ausgeschlossen.

Kredite werden knapp und teuer

Ohoven: Firmenkredite werden sich weiter verteuern.
Foto: BVMW

Nach Ansicht des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) ist die von Winkeljohann befürchtete Verschärfung im Kreditumfeld aufgrund des angeschlagenen Finanzmarktes längst Realität. BVMW-Präsident Mario Ohoven hatte schon Ende vergangenen Jahres eine rigorosere Kreditpolitik der Geldhäuser gegenüber dem Mittelstand ausgemacht und diese Tatsache jetzt erneut angeprangert. Wegen der negativen Folgen der Bankenkrise erwarte der Mittelstand eine weitere Verknappung und Verteuerung der Firmenkredite, teilte der Verbandschef nach einer Umfrage zu den Auswirkungen der Finanzkrise auf den Mittelstand mit. Beide Effekte, so Ohoven, seien für mittelständische Unternehmen bereits jetzt spürbar. Der BVMW-Präsident verglich die aktuelle Situation mit der Einführung der Rating-Mechanismen im Zuge von Basel II vor einigen Jahren, als die Banken ebenfalls mit einer restriktiveren Kreditvergabe reagierten.

KFW gibt sich optimistisch

Von einem Kapitalengpass will die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) hingegen nichts wissen und beurteilt die Lage des Mittelstandes positiv: Trotz der Finanzmarktkrise, so verlautet es seitens der KFW, sei das deutsche Bankensystem in der Lage, diesen Unternehmenssektor mit den von ihm nachgefragten finanziellen Mitteln auszustatten.

Betriebe müssen Investitionen verschieben

Rödl: Betriebe fürchten ein Überschwappen der Finanzkrise auf die deutsche Wirtschaft.
Foto: Rödl Helmut

Gegen den Optimismus der KFW spricht jedoch die jüngste Erhebung des BVMW. Darin rechnet knapp die Hälfte der Unternehmen (45 Prozent) damit, dass sich die Bedingungen für die Beschaffung von Firmenkrediten in den nächsten sechs Monaten weiter verschlechtern werden. Besonders negative Erwartungen hegen Dienstleistungsunternehmen, Baufirmen sowie Betriebe mit Umsätzen zwischen 500.000 und zwei Millionen Euro. Aufgrund der restriktiveren Kreditvergabe durch die Banken mussten der Umfrage zufolge rund 20 Prozent der Betriebe geplante Neuinvestitionen zurückstellen. Die Mehrheit der Mittelständler habe, so der BVMW, den Eindruck gewonnen, ihre jeweilige Hausbank agiere bei der Kreditvergabe noch zurückhaltender vor als bisher, erläuterte Ohoven.

Die Ansicht des BVMW wird auch durch eine brandneue Umfrage der Wirtschaftsauskunftei Creditreform bestätigt. Sie brachte ans Licht, dass es für jedes dritte Unternehmen (32,5 Prozent) seit Herbst 2007 deutlich schwieriger wurde, Kapital von den Banken zu bekommen. Außerdem befürchten 78,5 Prozent der Befragten in mittelständischen Unternehmen ein Überschwappen der Finanzkrise auf die deutsche Wirtschaft. Die Aussichten für Umsätze und Erträge werden von den Firmen laut Creditreform-Vorstand Helmut Rödl zwar weiter positiv eingeschätzt, aber pessimistischer als noch vor einem Jahr.

Wachstumsbremse für den Mittelstand

In Sachen restriktiver Geldpolitik kommt eine Mitgliederbefragung der Handwerkskammer Düsseldorf zu ähnlichen Ergebnissen. Darin beklagt ein Drittel der teilnehmenden Betriebe ein gestiegenes Zinsniveau und muss jeder zweite Firmeninhaber im Gegensatz zu früheren Finanzierungen höhere Sicherheiten hinterlegen. Außerdem gab fast ein Fünftel der Interviewten an, dass ihre Kreditwünsche negativ beschieden wurden. Ein Drittel der Unternehmen plant sogar, die Hausbank zu wechseln. Wolfgang Schulhoff, Präsident der Handelskammer Düsseldorf mahnt die Banken indes zu mehr Weitsicht. Eine zu strenge Vergabepolitik könne schnell zu einer Wachstumsbremse für das Handwerk und die kleinen Mittelständler werden. Schulhoff weiter: "Das deutsche Handwerk ist auf Bankkapital angewiesen, um weiter investieren zu können."

Finanzierungskonzepte überdenken

Skepsis hinsichtlich der Darlehenserteilung und -konditionen seitens der Banken herrscht auch unter den von PwC befragten Unternehmen vor. Sie beurteilen die mittelfristigen Auswirkungen der Finanzkrise kritisch. Jeder fünfte Mittelständler (22 Prozent) geht davon aus, sein Finanzierungskonzept überdenken zu müssen. Bei den Investitionen wollen 13 Prozent kürzen, elf Prozent lassen sich mit der Erschließung neuer Märkte mehr Zeit als geplant. Einschneidende Korrekturen hält nur eine kleine Minderheit der Unternehmen für notwendig. So kommen fünf Prozent nach eigener Einschätzung nicht um eine Kürzung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben herum, vier Prozent schließen sogar den Abbau von Personal nicht aus.

Notfallplan in der Schublade

Auch BVMW-Chef Ohoven rät den Firmen dazu, einen Notfallplan in der Schublade zu haben und sich über alternative Finanzierungsformen Gedanken zu machen. Als Ersatz für Bankkredite seien zum Beispiel Gesellschafterdarlehen, Lease-back-Verfahren, Factoring, Leasing, Mezzanine oder die Ausgabe von Genussscheinen denkbar.

Eine Kürzung der Investitionen sowie Entwicklungsgelder beurteilen die Fachleute über alle Organisationen hinweg im Interesse des Wachstums des deutschen Mittelstands als negativ. Immerhin ist Deutschland derzeit in der Europäischen Union Spitzenreiter in Sachen Investitionen. Das belegt der jüngste Technologie- und Investitionsbericht 2008 der EU-Kommission. Zwei Drittel (65,1 Prozent) der erfassten 65.897 deutschen Unternehmen tragen laut EU mit mindestens einem neuen Produkt oder der Erfindung einer neuen Dienstleistung jährlich zur Innovation in Europa bei. Allerdings hängt das Innovationspotenzial signifikant von der Unternehmensgröße ab. Der deutsche Mittelstand spielt deshalb trotz steigender Tendenz eine immer noch eher schwache Rolle, weil sich die Firmen Personal für Forschung und Entwicklung oft nicht leisten können. (pg)