Mittelständler entdecken Wert des Wissens

04.11.2004 von Erwin Halentz
Mit einem neuen Instrument lässt sich das intellektuelle Kapital identifizieren. 14 mittelständische Betriebe haben es mit staatlicher Unterstützung ausprobiert und wichtige Erfahrungen gesammelt.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat 2003 mit dem Fraunhofer-Institut Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin den Arbeitskreis Wissensbilanz gegründet. Nun wurde eine Methode vorgestellt, mit der ein Unternehmen seine Wissensbilanz aufstellen kann. Pilotprojekte in 14 mittelständischen Betrieben bildeten die Basis für den Leitfaden "Wissensbilanz".

Zu den 14 Piloten gehört auch die Xcc Software AG. "Nur mit dem richtigen Wissen sind wir in der Lage, für Kunden sinnvolle Leistungen zu erbringen, Projekte finanziell erfolgreich abzuwickeln und uns von den Wettbewerbern zu differenzieren", erklärt Edgar Schüber, Vorstandssprecher des IT-Beratungshauses. Das Karlsruher Unternehmen, das mit 50 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von mehr als fünf Millionen Euro erzielt, entwickelt zum Beispiel In-Car-Informationssysteme, Fahrzeug-Diagnose-Systeme und Software für Steuergeräte.

Bis 2010 will der Mittelständler unter die "Top 5" der Softwaredienstleister für den Bereich Embedded-Software in den dafür wichtigsten Marktsegmenten aufsteigen -- so formuliert es das Unternehmen in seiner ersten Wissensbilanz 2004. Das ehrgeizige Vorhaben lässt sich nur mit einer Wissensakkumulation meistern. Dazu Schüber: "Das war auch ein Grund für unsere Teilnahme am Pilotprojekt Wissensbilanz und das ich jedem mittelständischen Unternehmen empfehlen kann".

In Workshops und Interviews wurde der vorhandene Wissensbestand des Unternehmens in Form von Human-, Beziehungs- und Strukturkapital erfasst. Die erfolgskritischen immateriellen Vermögenswerte wurden beschrieben und den extern erzielten Wirkungen gegenübergestellt. Dann erfolgte die Bewertung der erfassten Elemente: Sie wurden entsprechend ihrem Beitrag zum Geschäftserfolg gewichtet und mit aussagekräftigen Indikatoren hinterlegt. Anschließend fasste man die strukturierten Indikatoren in der Wissensbilanz zusammen. "Ein Blick darauf zeigt die wichtigsten immateriellen Einflussgrößen für den Geschäftserfolg", erläutert Schüber.

Auch die Firmengruppe Blumenbecker, mit Sitz im nordrhein-westfälischen Beckum, die in der Automatisierungstechnik zu Hause ist und 2003 mit 650 Mitarbeitern einen Umsatz von mehr als 70 Millionen Euro erwirtschaftete, schwört auf die Wissensbilanz. Manfred Wunderlich, Abteilungsleiter im Unternehmen, zieht ein Resümee: "Wenn man sich die Zusammenhänge in den Wirkungsnetzen in der Wissensbilanz anschaut, wird einem erst wirklich klar, was heute von einem Manager erwartet wird: in einem undurchschaubaren Durcheinander von Einflüssen zielsicher richtige und zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen."

Für den Aufbau einer neuen, schlagkräftigen Firmenstruktur war die Wissensbilanz hilfreich. Doch das wichtigste, direkt umsetzbare Ergebnis ist laut Wunderlich die Erkenntnis, dass "unsere größten Potenziale in der Entwicklung der Qualifikation und Motivation unserer Mitarbeiter sowie in der systematischen Verbesserung unseres Engineering-Prozesses liegen". Der Automatisierungsspezialist hat sich deshalb entschlossen, sich erst einmal nur auf diese Faktoren zu konzentrieren. Die Bilanzierung des Wissens zwinge einen dazu, die Maßnahmen zu priorisieren und nicht das Gießkannenverfahren anzuwenden.

Auch die Volks- und Raiffeisenbank (VR) Südpfalz mit Sitz in Landau hat sich am Pilotprojekt beteiligt. Vorstandsvorsitzender Reinhold Schreck kommentiert: "Die immateriellen Vermögenswerte waren für uns schon immer wichtig. Bisher war es allerdings äußerst schwierig, diese Werte zu messen oder gar zu steuern." Das Institut, das mit seinen 460 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von 1,3 Milliarden Euro eine der größten Genossenschaftsbanken in Rheinland-Pfalz ist, hat 20 Erfolgs- beziehungsweise Einflussfaktoren des intellektuellen Kapitals identifiziert.

Kritisch merkt Schreck an, dass die geschaffene Transparenz "nicht nur Freude" bei den Verantwortlichen ausgelöst hat. Für ihn spielt ein weiterer Effekt der Wissensbilanz eine Rolle: Wenn die immateriellen Werte im Rating eines Unternehmens stärker gewichtet werden, wird die Wissensbilanz auch für die Kunden einer Bank interessant. Rezzo Schlauch, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, bringt es auf den Punkt: "Die Wissensbilanz hilft nicht nur den Unternehmen bei der internen Steuerung ihres intellektuellen Kapitals, sondern schafft auch Transparenz gegenüber Kreditgebern, Partnern und Kunden. Das erleichtert die Kreditaufnahme und senkt die Finanzierungskosten."

Vor allem aber ist die Wissensbilanzierung ein Instrument der Zukunftssicherung, wie Leif Edvinsson, Direktor of Intellectual Capital at Universal Networking Intellectual Capital, Stockholm, auf der internationalen Konferenz "Wissensbilanz -- Made in Germany" in Berlin ausführte: "Wissenskapital definiert sich über Gewinne in der Zukunft, nicht über Werte, die auf historischen Kosten basieren." Für ihn bedeutet die Nutzung des Wissenskapitals, "vorausschauend zu arbeiten". Diese Langzeitperspektive versteht Wissen als brachliegendes Kapital, als Chance, der sich jeder Entscheider bewusst sein sollte -besonders in Deutschland. (hk)

*Erwin Halentz ist freier Journalist in Berlin.