Outsourcing

Mit Poker aus der Statistikfalle

03.07.2017 von Branimir Brodnik  
Scrum Poker – eine spielerische Methode, die Klarheit im Auswahlprozess von Outsourcing-Partnern schafft.

Pokerspieler tragen dunkle Sonnenbrillen, verkehren gern in dunklen Hinterzimmern und spielen um große Geldbeträge unklarer Herkunft. Ein schönes Klischee, aber es stimmt längst nicht mehr. Zum einen ist die internationale Pokerszene längst ins Fernsehgeschäft aufgestiegen, zum anderen spielen jetzt auch Unternehmen Poker. Ganz seriös und mit überzeugenden Resultaten. Wie kommt das?

All in? Bei der Entscheidung für einen Outsourcing-Partner ist Teamplay gefragt.
Foto: Kucher Serhii - shutterstock.com

Ein Beispiel: Im Rahmen des Auswahlprozesses vonOutsourcing-Partnern - der zum Beispiel bei Großbanken fast zum Tagesgeschäft gehört - kommt es auf verschiedenen Stufen zu häufig wiederholten Bewertungs- und Entscheidungsprozessen. Das Ziel ist dabei immer, eine große Auswahl auf eine kleinere zu reduzieren.

Das geschieht etwa im Rahmen einer Ausschreibung, um aus der Long list die Teilnehmer für den Beauty Contest zu ermitteln. Im so genannten Beauty Contest muss diese Liste dann auf zwei bis drei Bieter für die Due Diligence verschlankt werden. In der Due Diligence selbst soll dann der beste Anbieter/das beste Angebot in Workshops und in einer Endrunde ermittelt werden. Die Performance der Anbieter gilt es somit in mehreren Runden und zum Teil in unterschiedlichen Teams objektiv zu bewerten.

Was logisch klingt, ist in der Praxis oft gar nicht so einfach - weil nicht eindeutig genug. Das ist ein Problem, denn das finale Ergebnis muss begründbar und revisionssicher sein. Eine klare Entscheidungslinie und eine detaillierte Dokumentation über den gesamten Zeitraum und alle Bewertungsrunden sind Pflicht.

Dem stehen drei Phänomene im Weg, die im Ausschreibungsprozess immer wieder auftauchen:

1. Die Bewertungsergebnisse liegen sehr nahe beieinander
Fast alle Menschen neigen bei einer Befragung dazu, sich um den Mittelwert zu bewegen - zumindest dann, wenn sie keine explizite Zu- oder Abneigung zum Subjekt haben. Das ist in einem Ausschreibungsprozess regelmäßig der Fall, wenn das Projektteam Bewertungen zu Bietern abgeben muss. Da erscheinen dann alle Angebote annähernd "gleich gut".
Äquidistante Bewertungspunkte, zum Beispiel von 1-6, gepaart mit einer ungeraden Anzahl an Bewertungsnoten, und einer Mittelwertbildung verstärken diese Tendenz zur Mitte und zur Gleichbewertung. Werden diese Bewertungsrunden dann oft wiederholt, nähern sich die Bewertungen häufig sehr stark an, so dass die Ergebnisse der Provider kaum noch zu unterscheiden sind. Sprich: Die Ergebnisse nähern sich der Gauß'schen Normalverteilung an. Eine klassische statistische "Falle" also, die die Aussagekraft der Bewertungen untergräbt.

Roundtable-Diskussion IT-Sourcing
Die Diskutanten beim Roundtable
Beim Sourcing-Roundtable der COMPUTERWOCHE diskutierten (v.l.n.r.): Heinrich Vaske (IDG), Carl Mühlner (Damovo), Oliver Kömpf (Hays), Richard Küster (ISG), Christian Neuerburg (ADECCO), Marcus Bluhm (HPE), Dr. Jakob Rehäuser (Ardour) und Klaus Nötzold (SEPICON).
Klaus Nötzold
Klaus Nötzold, Partner bei SEPICON: "Mit der Digitalisierung verhält es sich wie mit Wasser: Es fließt. Und wir werden dieses Wasser nicht stoppen können. Wir müssen vielmehr verstehen, wo das Wasser hinfließt und dann die nötigen Maßnahmen ergreifen und es auffangen."
Carl Mühlner
Carl Mühlner, Geschäftsführer von Damovo: "Das Infragestellen der eigenen Prozesse, Produkte, ja des ganzen eigenen Geschäfts ist ein kulturelles Thema. Da geht es darum, die Veränderung zu den Menschen zu tragen. Und das funktioniert im Unternehmen dadurch, wieder positiv-emotional zu kommunizieren – und zwar jenseits von Konsolidierung und Effizienzsteigerung."
Marcus Bluhm
Marcus Bluhm, Head of Infrastructure Services (ITO) Sales bei HP Enterprise Services: "Flexibilität kostet Geld. Durch eine Verschiebung des Risikos vom Kunden auf den Anbieter verschwindet ja das Risiko nicht, deswegen muss das auch entsprechend bewertet werden. Am Ende braucht es einen gesunden Mix zwischen dem Supplier, der technologische Möglichkeiten leveragen kann, und dem Kunden, der Flexibilität will, um auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren zu können."
Oliver Kömpf
Oliver Kömpf, Director Talent Solutions bei der Hays AG: "Zu oft sind die Kunden und ihre externen Partner noch in ihren Denkmustern gefangen. Daher ist es wichtig, diese Grenzen zu überwinden und bestimmte Dinge bewusst ganz anders zu machen oder anzugehen."
Richard Küster
Richard Küster, Director Information Services Group (ISG): "Wenn man nur von außen agile Gurus reinholt, glaube ich nicht, dass das zum Erfolg führen kann. Da muss auch von innen heraus transformiert werden – und zwar, ohne zu katholisch zu sein und zu sagen: Genau so und nicht anders steht es in der Bibel!"
Jakob Rehäuser
Dr. Jakob Rehäuser, Ardour Consulting Group: "Es wird agil entwickelt, es werden Scrum-Teams eingekauft, aber die Skills, die hinten dranhängen sind keine anderen. Das sind für mich auch Entwickler. Hier macht der Scrum-Master den Unterschied. Was hinten dranhängt ist Commodity."
Christian Neuerburg
Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG (ADECCO): "Gamification und User Experience sind essenziell. Die Dinge müssen einfach sein und Spaß machen. Und am Ende des Tages werden wir das auch bei unseren Kunden sehen. Spätestens dann, wenn die Generation Y an dieser Position angekommen ist."
Blick auf die Runde
Eine engagierte Diskussion zum Thema IT-Sourcing-Strategie!

2. Die Bewertung spiegelt nicht die Team-Meinung wider
Ein ganz anderes Phänomen zeigt sich unter Spezialisten: Sie haben sehr dezidierte Meinungen und ihre Bewertungen liegen im Team oft diametral auseinander. Nur schlägt sich das im Ergebnis kaum nieder - abweichende Meinungen werden mathematisch "weggemittelt". Bei der Bewertung durch Mittelwertbildung erfolgt in der Regel kein Diskurs zu abweichenden Meinungen - eine Team-Meinung kann sich damit nicht ausbilden. Sehr deutlich wird dabei allerdings, dass Wort- und Meinungsführer das Ergebnis "verfälschen" oder mindestens zum Teil beeinflussen können.

3. Die Entscheidungsgrundlage für das Management ist nicht eindeutig
Der dritte Punkt ergibt sich fast zwangsläufig und ist ein Effekt der zwei vorgenannten. Wenn Bewertungen nicht trennscharf und nicht erkennbar von einem Team aus Experten qualifiziert sind, leidet ihre Aussagekraft bis hin zu dem Punkt, an dem sie vom Management nicht mehr ernst genommen werden.
Entscheider im Management fällen ihre Entschlüsse in der Regel lieber auf der Basis von Einschätzungen ihres Teams - also auf einer Vertrauensbasis - als auf abstrakten Kriterien, die sie nicht immer voll beurteilen können. Fehlt diese "Team-Meinung", sind die Ergebnisse des Auswahlprozesses sehr leicht angreifbar. Die Vergabeentscheidung wird dem Projektteam damit faktisch abgenommen. Das Ergebnis sind Entscheidungen auf Basis von Kriterien außerhalb der Bewertungsmatrix. Das ist nicht nur ein Problem im Hinblick auf die sachlich beste Lösung, sondern auch auf die Revisionssicherheit.

"All in" für ein klares Team-Ergebnis

Eine praktikable Lösung kommt aus dem Umfeld der agilen Software-Entwicklung: Scrum Poker, auch als Planning Poker bezeichnet, ist eine spielerische Möglichkeit, um Aufwände in der Software- Entwicklung zu schätzen. Das Verfahren hilft so bei der Bewertung von Anbietern Konsens innerhalb einer Gruppe zu erreichen. Dabei legt jedes Teammitglied seine Einschätzung mithilfe von Scrum-Poker-Karten dar. Diese Karten zeichnen sich dadurch aus, dass sie der Fibonacci-Regel folgen (die ersten beiden Karten-Werte sind 0 und 1, die weiteren Nummern ergeben sich aus der Summe der beiden vorigen). Dadurch werden nahe beieinanderliegende Bewertungen vermieden.

Bei der Bewertung von Angeboten legt jeder Teilnehmer zu einer bestimmten Fragestellung eine Karte aus seinem Scrum Poker Set mit seiner Bewertung - zunächst verdeckt - auf den Tisch. So ist sichergestellt, dass die Teilnehmer sich nicht gegenseitig beeinflussen. Anschließend werden die Ergebnisse betrachtet und bei extremen Abweichungen diskutiert. Nach der Diskussion findet eine erneute Abstimmungsrunde statt. Dieser Prozess wird so lange durchlaufen, bis ein Konsens erreicht ist. Die Diskussion selbst führt zwangsläufig dazu, dass sich jeder Einzelne intensiv mit der Thematik auseinandersetzt.

Feedback und Retrospektive in Scrum-Projekten
Retrospektive und Feedback in Scrum-Projekten
Scrum Manager haben die Möglichkeit, den Projekterfolg durch die Analyse des Sprints zu verbessern. Zielführend sind dabei die Retrospektive und das Feedback der Teammitglieder - ein Vorgang, den der Scrum Manager mit Diplomatie moderieren muss. Folgende Methodik mit Arbeitsblättern hat sich bewährt.
Feedback - Schritt 1
Für die Retrospektive erhält jedes Teammitglied ein vorbereitetes Blatt mit seinem Namen und zwei Fragen: "Was kann man von mir erwarten?" und "Was erwarte ich vom Team?"
Feedback - Schritt 2
Der Feedback-Bogen wird um zwei Bereiche ergänzt: "Was ich an Deiner Arbeit schätze ..." und "Was ich Dir wünsche, das Dir besser gelingt ..."
Feedback -Schritt 3
Der Feedback-Bogen wird an den Tischnachbarn weitergegeben, von diesem ausgefüllt und so lange weitergegeben, bis jeder Teilnehmer wieder sein persönliches Blatt vor sich liegen hat – jetzt mit dem schriftlichen Feedback aller beteiligten Teammitglieder.
Selbstreflexion
Zwei weitere Bereiche kommen hinzu – sie dienen der eigenen Reflexion des erhaltenen Feedbacks: "Darauf bin ich stolz ..." und "Das nehme ich mit ..."
Vorgehensmuster
Nach diesem Grundmuster lassen sich Retrospektiven zu einem späteren Zeitpunkt erneut wiederholen.

So wie ein Pokerspieler im entscheidenden Moment "Farbe bekennen" muss, muss ein Team also eine klare, abgestimmte Position in einem Auswahlprozess beziehen. Das hilft dem Management direkt weiter, macht die Entscheidungskriterien transparent und schafft auch Klarheit für den allfälligen Revisor. Ein schönes Beispiel dafür, wie es sich lohnen kann, Klischees zu überwinden und sich als Unternehmen an neuen Methoden zu versuchen.