Das macht 5 Fotos und 49 Likes

Mit Facebook-Daten bezahlen

26.03.2014 von Jan-Bernd Meyer
Lebensmittel mit Facebook-Daten bezahlen - wer würde so weit gehen? Mehr Menschen, als man denkt.

Toastbrot, H-Milch, Obst - diese und viele andere Lebensmittel konnten Hamburger Bürger in einer Edel-Modeboutique kaufen. Der Data Scientist Florian Dohmann und die Werbeexperten Maximilian Hoch und Manuel Urbanke hatten sie für eine Woche in ein Lebensmittelgeschäft verwandelt. Bezahlen konnten die Kunden nicht mit Barem, sondern nur mit Facebook-Likes, Facebook-Posts, Fotos auf Facebook oder Facebook-Nachrichten. Die Ergebnisse sind - interessant.

Für ihr Experiment hatten sich die drei die Eppendorfer Landstraße 60 in Hamburg ausgesucht, eine gutbürgerliche Gegend mit viel Kaufkraft. Das Objekt der Wahl, die Modeboutique von Anita Hass, wird heute von ihrem Sohn Christian Villwock geführt. Ihm präsentierten die drei das Projekt. Da "alle aus der Wirtschaft kommen", fiel es ihnen nicht schwer, Villwock zu überzeugen: "Christian fand unsere Idee gleich großartig", sagt Dohmann.

Wo sonst teure Mode auf Käufer wartet - bei Anita Hass kosten Handtaschen "ab 400 Euro aufwärts bis zu 2300 Euro" -, stapelten Dohmann and friends vom 17. bis 22. Februar 2014 Grundnahrungsmittel in die Regale. Nichts Ausgefallenes, nur Dinge, um den täglichen Bedarf zu decken - Milch, Früchte und Brot beispielsweise.

Preise im Datenmarkt

für acht selbst erzeugte Likes.
für zehn selbst verfasste Facebook-Posts.
für fünf Fotos.
für fünf private Nachrichten.

Ein Herr, der an der Luxusflaniermeile wohnt, hätte fast auch eingekauft. Aber Fisch, wie er ihn sich wünschte, konnte das Trio nicht anbieten. "Wir wollten eine ganz geringe Produktauswahl, davon aber ganz viel. So konnten wir aufschichten und einen visuellen Effekt schaffen", unterstreicht Dohmann den künstlerischen Aspekt des Projekts. Dohmann, Hoch und Urbanke ging es nicht um kommerzielle Ziele, sondern darum, die Problematik von im Netz verfügbaren persönlichen Daten als handelbares Wirtschaftsgut durch eine Kunstaktion zu verdeutlichen.

"Maximilian und ich kennen uns aus der Schule. Seit dieser Zeit machen wir auch Kunst. Mit dem Datenmarkt-Experiment wollen wir die Problematik persönlicher und im Internet frei verfügbarer Daten fassbar machen", erklärt Dohmann.

Die Macher

Florian Dohmann gehört bei der Berliner The unbelievable Machine Company zu den Spezialisten, die heute händeringend gesucht werden: den Data Scientists. Seine Freunde Maximilian Hoch und Manuel Urbanke arbeiten als Kreativteam (Copywriter und Art Director) bei der 1991 gegründeten Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Die schreibt auf ihrer Homepage, Marketing-Kommunikation müsse "ein Geschenk sein wie das trojanische Pferd". Das passt gut zum Projekt Datenmarkt: So wie die Trojaner bei dem Geschenk der Griechen hätten zweifeln sollen, fordern auch Dohmann, Hoch und Urbanke zum Nachdenken auf.

Haute Couture kontra Knödel

Haute Couture kontra Knödel also. Da scheiden sich an der Eppendorfer Landstraße schon mal die Gesellschaftsschichten. Genau der richtige Ort aber, um Menschen an das Thema Datenschutz heranzuführen. Vor allem auch, um eine Diskussion über den Wert der in sozialen Netzen milliardenfach gebunkerten persönlichen Informationen anzuzetteln. Für das Projekt habe man eine Gegend gesucht, in der viel flaniert wird. Wichtig war zudem, eine Schaufenstersituation zu gestalten.

Die hatten Dohmann, Urbanke und Hoch dann. Sie saßen eine Woche lang an der Kasse quasi in der Auslage des Schaufensters. "Ich habe mich oft über die Reaktionen der Leute draußen amüsiert", sagt der Informatiker. Zu Beginn der Aktion zeigten ihnen viele den Vogel. "Sie spinnen doch" lautete noch eine der netteren Bemerkungen aus dem irritierten Publikum. Es gab Passanten, die wollten gleich den Hamburger Datenschutzbeauftragten auf den Plan rufen. Denen mussten Dohmann und seine Freunde erklären, dass hier eine Kunstaktion Bewusstsein dafür schaffen wollte, welche Gefahren (durch) Daten drohen, die im Netz frei verfügbar sind.

Die Stimmung wandelte sich aber zusehends, spätestens dann, als RTL einen Fernsehbeitrag über das Datenmarkt-Projekt bringen wollte und dazu mit einem TV-Team in die umfunktionierte Edelboutique einfiel. Jetzt kamen immer mehr interessierte Menschen in den Laden. Und ins Gespräch. Dabei gab es genügend Gelegenheiten, Vorurteile zu pflegen: Je jünger, desto doofer. Je reicher, desto analoger. Je intellektueller, desto datenschutzversessener. Je Facebook-affiner, desto konsumorientierter. Was so natürlich alles nicht stimmte.

Je jünger, desto doofer?

Nein, repräsentative Erkenntnisse über das Kaufverhalten von Kunden könne Datenmarkt nicht mitteilen, räumt Dohmann ein. Aber einiges habe die "Datenmarkt"-Aktion schon deutlich gezeigt. Je jünger die Käufer sind, desto "weniger Probleme haben sie, ihre Daten preiszugeben". Dagegen ist das gut betuchte Publikum der Eppendorfer Landstraße häufig nicht "kreditwürdig" im Sinne des Experiments. Viele unterhalten keinen Facebook-Account und verfügen deshalb nicht über die Währung Daten. Das führte zu komischen Situationen wie der mit einem älteren Herrn: "Nebenan kann ich mir die sündteure Tasche kaufen, aber bei Ihnen nichts?"

Ganz anders das junge Publikum. So stürmte ein halbes Dutzend Jugendlicher im Alter zwischen 14 bis 16 Jahren herein. Einer fragte: "Ich hab bestimmt noch zehn Facebook-Accounts mit verschiedenen Identitäten. Kann ich mit denen auch bei euch einkaufen?" Ein Teenager hat andere Pläne: "Boah, wär das geil, wenn das überall so ginge wie hier. Da wärt ihr ja Millionäre." Was er mit seinem Kommentar nicht bedachte, war die Tatsache, dass wohl auch er selbst bei solch einer Währung ziemlich liquide wäre. Eininge wünschten sich das Datenmakt-Modell voller Begeisterung etwa auch für die Media-Märkte.

Unbekümmertheit = Vertrauen?

Dohmann und seine Freunde interpretieren die Unbekümmertheit, mit der viele Kunden ihre privaten Daten zum Warentausch hergaben, als Vertrauen. "Die sehen mich, finden mich vielleicht sympathisch, und deshalb vertrauen sie mir." Vertrauen sei essenziell. Fehle es, laufe in der Wirtschaft gar nichts. Das gelte auch im Digitalen. Wenn das Vertrauen weg ist, "bricht alles zusammen", sagt Dohmann. Das wäre gefährlich.

Vielen dämmerte irgendwann, was da eine Woche lang in der Hamburger Trend-Boutique wirklich vor sich ging. Beim Betrachten des Kassenbons, auf dem seine Facebook-Daten en détail zu lesen waren, fragte ein Kunde: "So etwas könnt ihr wirklich auslesen?" Dohmann betont, dass Datenmarkt alle Kunden spätestens beim Bezahlen darauf aufmerksam machte, wie das Projekt funktionierte, und dass alle Daten wieder gelöscht wurden.

Trotzdem wurde einigen mulmig. "Aber ihr könnt jetzt nicht wirklich alle meine privaten Nachrichten lesen?" fragte mancher beunruhigt. Doch, hätten sie gekonnt. Die Kunden hatten dem Trio den Zugriff auf alle Nachrichten und Postings gewährt. Dohmann und Kollegen speicherten aber immer nur einige davon in ihrer Datenbank zwischen, um sie anschließend zu drucken. So fanden sie im besten Fall genügend private Facebook-Inhalte, dass die Kunden ihre Knödel - Kostenpunkt: fünf Nachrichten pro Packung - bezahlen konnten (siehe Kasten Seite 25: "Die Technik hinter der Kunst").

Wer großen Hunger hat, legte gerne seine Privatsphäre offen. Manchen wurde erst beim Blick auf den Kassenbon klar, was sie den Datenmarkt-Künstlern als Gegenwert für die Lebensmittel gegeben hatten: "Was? Da werden auf dem Bon die wirklichen Texte und Fotos ausgedruckt? Nicht nur die Anzahl der Bilder und Postings? Echt voll krass."

Knallharte Währung

Das genau war die Wirkung, die die drei erzeugen wollten: Menschen sollen erleben, dass Daten im Netz einen wirtschaftlichen Wert bilden, dass sie eine echte Währung sind.

Neu ist das natürlich nicht. Lange vor der NSA-Affäre war klar, dass Daten massenhaft gesammelt werden. "Google", argumentiert Dohmann, "ist nicht umsonst eine der wertvollsten Marken der Welt. Die verdienen mit Datensammeln ihr Geld." Dagegen sei auch nichts einzuwenden. Man müsse sich dessen aber bewusst sein. "Und viele Menschen ahnen nichts davon", bilanziert der Data Scientist, der beim Startup The unbelievable Machine Company beschäftigt ist. Natürlich werde den Menschen klar, dass persönliche Daten schützenswert sind, wenn man sie mit einer Aktion und Diskussionen oder mit Artikeln gezielt darauf stoße. "Aber dieses Bewusstsein ist nicht in Fleisch und Blut übergegangen." Dazu brauche es mehr Bildung und mehr Aus-bildungsmaßnahmen etwa auch in Schulen.

Im Fall von Datenmarkt blieb die Preisgabe der Privatheit folgenlos, denn alle Daten wurden nach dem Bezahlvorgang vor den Augen der Kunden gelöscht. Eine Kundin, die zunächst den Datenschutzbeauftragten auf den Plan rufen wollte, dann aber neugierig doch an der Aktion teilnahm, hat die Botschaft verstanden: "In Zukunft werde ich genau darauf achten, was ich in Facebook veröffentliche."

"Uns betrifft das nicht"

Anderen war hingegen nicht bewusst, wie weit die Datenkraken im Web ihre Arme schon ausbreiten. Insbesondere ältere Menschen zuckten mit den Schultern: "Uns betrifft das nicht." Dohmann fragte: "Nutzen Sie Gutscheine oder Coupons, oder sammeln Sie Punkte im Supermarkt?" Und den Probanden wurde klar, dass sie auch hier mit persönlichen Daten bezahlen.

Wieder andere zeigten sich unbeeindruckt von den Gefahren, die ihren Daten im Web drohen. Oder ihnen wurde schlecht bei der Vorstellung, was Google oder Facebook mit ihren persönlichen Informationen anstellen könnten. Dohmann erklärte ihnen genau, wie er jetzt alle Daten des Einkaufs wieder löschen werde. Es gab aber auch die allseits bekannten Stimmen, die da tönten: "Ist mir egal, ob ihr das löscht. Ist ja nichts Schlimmes drin."

Und dann waren da noch jene, bei denen man nicht sicher sein konnte, ob sie die Demonstration verstanden hatten. Oder jene, die zynisch fragten: "Wieso löscht ihr eigentlich die Daten wieder?"

Wie im richtigen Leben

Ein Besucher des Ladens wollte wissen, ob "es das bald in meiner Stadt auch gibt". Genau das planen Dohmann, Hoch und Urbanke. Es wird eine Fortsetzung von Datenmarkt folgen. Wo, steht noch nicht fest. Zudem ist eine "verschärfte" Version geplant. Viel will Dohmann noch nicht verraten. Das kommende Projekt drehe sich konkret um Kunst und um einen "Schwarzmarkt". Dohmann lächelt dabei ziemlich hintergründig.

Auch diese Aktion dürfte spannend werden, hat man das Gefühl. Denn nun soll es tatsächlich ans Eingemachte gehen: Experimentieren ohne jeglichen Rückfallschutz, ohne das Löschen der Daten also. Datenmarkt wird dann datenschutzrechtlich zum Ernstfall - wie das richtige Leben eben.

Die Technik hinter der Kunst

Für das Kunstexperiment nutzte Dohmann einen "Raspberry-Pi"-Server. Diese kleinen, preiswerten und besonders energieeffizienten Ein-Platinen-Computer erfreuen sich unter Technik-Bastlern größter Beliebtheit.

Der Raspberry-Pi-Rechner war mit dem Internet verbunden. Dohmann entwickelte mit einem PHP-Programm einen Web-Server, der sich über eine Facebook-API mit den Facebook-Daten der Käufer verband. Im Laden nutzten die drei an der Kasse ein iPad, das mit dem Raspberry-Pi-System verbunden war.

Konkret lief das so: Auf dem Bildschirm wurden die Produkte dargestellt, die im Datenmarkt verkauft wurden. Das war Teil der Web-Applikation und unabhängig von Facebook. Beim Bezahlen wurde die Verbindung zu Facebook und zu der Facebook-App hergestellt, die Dohmann geschrieben hatte. Hier waren bestimmte Rechte hinterlegt, je nachdem, welche Produkte die Käufer ausgewählt hatten. Beispiel: Hatte jemand nur Brot gekauft, fragte die Facebook-App nur nach Likes, die der Kunde auf Facebook für irgendetwas vergeben hatte. Bei einem Liter H-Milch fragte sie nur nach Facebook-Postings. Je nachdem also, was Kunden gekauft hatten, fragte die App auch nur nach den Rechten für bestimmte Facebook-Daten, also etwa nur Likes, nur Postings, nur Fotos. Hatte jemand nicht genügend Postings abgesetzt auf Facebook, musste er die H-Milch wieder ins Regal stellen.

Dohmann setzte zudem mit der Programmiersprache Python den Kassenbon-Drucker so auf, dass dieser in der Lage war, die echten Facebook-Einträge sauber auf den Kassenbeleg auszudrucken. Der Käufer bekam dann mit der Ware einen Bon ausgehändigt, auf dem säuberlich etwa Facebook-Fotos oder der Text von privaten Nachrichten aus dem sozialen Zuckerberg-Netz gedruckt waren, mit denen bezahlt worden war.