Deutschland-Zentrale eröffnet

Microsoft führt in München den Work Life Flow ein

12.10.2016 von Rene Schmöl
Ein fließender Übergang zwischen Arbeit und Leben - was Gewerkschaften kritisch sehen, ist bei Microsoft bereits gelebter Alltag. Zur Eröffnung seiner neuen Deutschland-Zentrale wirbt der Software-Konzern für die große Flexibilität im Job.
Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (rechts) und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (links) zu Gast im neuen Microsoft-Gebäude in der Parkstadt Schwabing. In der Miitte: Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung der Microsoft Deutschland GmbH.
Foto: Microsoft

Feste Arbeitszeiten oder Anwesenheitspflichten? Nicht bei Microsoft. Seit Jahren schon macht der Software-Riese mit neuen Arbeitsmodellen von sich reden und heizt die Debatte um Home-Office & Co. in Deutschland mit an. In München hat der US-Konzern jetzt die passende Umgebung für die Digitalarbeiter von heute und morgen geschaffen.

Wenn sie schon einmal ins Büro kommen, statt von zu Hause aus oder irgendwo in der Welt zu arbeiten, sollen sie sich hier entfalten können. Die neue Deutschland-Zentrale steht so auch für die Verschmelzung von Arbeit und Leben, die nach Überzeugung von Microsoft-Deutschland-Chefin Sabine Bendiek längst begonnen hat. Für das neue Arbeiten gibt es bei Microsoft sogar ein neues Wort: "Der Work Life Flow ersetzt die Work Life Balance", sagt Sabine Bendiek und bringt es auf den Punkt.

Foyer der neuen Microsoft Deutschland-Zentrale
Foto: Rene Schmöl

Den Takt dafür gibt die Industrie 4.0 vor, die geprägt ist durch neue Wettbewerber, kürzere Innovationszyklen und vernetzte Kunden. Zu meistern sind diese Herausforderungen nur mit hoch qualifizierten Wissensarbeitern, sagt Bendiek. "Um ihrer Kreativität Raum zu geben, muss man ihnen gewisse Freiheiten einräumen." Deshalb setzt die Managerin auf viel Kommunikation und Eigenverantwortung statt auf starre Regeln und strenge Hierarchien. Warum, fragt sie, sollte eine Mutter sich nicht nachmittags zu Hause für einige Stunden um die Kinder kümmern können - und ihre Arbeit am Abend fortsetzen, wenn der Nachwuchs im Bett ist?

Gelegenheiten für den Austausch mit Kollegen und Führungskräften, für die Arbeit im Team oder fürs konzentrierte Nachdenken sollen die Mitarbeiter in der neuen Zentrale überall finden - ob in den offenen Team-Bereichen, in der Konzentrationszone namens "Think Workspace", in einer der zahlreichen Sitzecken mit Lounge-Möbeln oder in der schicken Kaffeebar im großen Atrium.

Hinweise für Mitarbeiter. In diesem Raum soll es ruhig sein.
Foto: Rene Schmöl

Feste Arbeitsplätze gibt es nicht - auch Bendiek selbst findet sich morgens über eine App mit ihrer Assistentin zusammen und wählt sich einen Platz, der für sie gerade am besten passt. Eine "Clean-Desk-Policy" sorgt dafür, dass sie an jedem Schreibtisch sofort loslegen kann - denn jeder Mitarbeiter soll seinen Platz so verlassen, wie er ihn vorgefunden hat: leer, sauber und ohne persönliche Gegenstände. Die können in Schließfächern, Schränken und Regalfächern untergebracht werden.

Apropos Platz: In der neuen Zentrale hat Microsoft deutlich abgespeckt, vergleicht man sie mit dem früheren Domizil. Da nur noch ein Teil der etwa 1900 Mitarbeiter ins Büro kommt, standen dort viele Räume bloß noch leer, sagt Bendiek. Nur noch ungefähr 1100 Arbeitsplätze werden nun im neuen Gebäude vorgehalten.

In Kleingruppen sprechen Kollegen über ihr aktuelles Projekt, die Atmosphäre ist freundlich-entspannt und wirkt ähnlich wie auf einem Hochschul-Campus. Viele tragen Jeans und Sweatshirt oder Pullover, wie auch Bendiek selbst, die sich mit dem Vornamen ansprechen lässt.

Meetingraum mit digitalem Türschild
Foto: Rene Schmöl

All die Lockerheit kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier intensiv und erfolgsorientiert gearbeitet wird - wann und wo mag ja noch egal sein, aber feste Ziele gibt es trotzdem für die Beschäftigten. Werden die nicht erreicht, wird nachjustiert. Als Leistungsdruck will Bendiek das aber nicht verstanden wissen. "Das Schöne ist ja, dass der Mensch per se durch Erfolg sehr motiviert wird", sagt Bendiek.

Mehr Flexibilität erfordert eine hohe Selbstdisziplin

Das flexible Arbeiten ohne feste Zeiten, Orte und Überstundenerfassung verlange allerdings auch viel Disziplin, räumt sie ein. So müssen die Mitarbeiter nach arbeitsintensiven Phasen selbst für ihren Freizeitausgleich sorgen. Und wenn Bendiek etwa am Wochenende Mails verschickt, die nicht brandeilig sind, schreibt sie möglichst gleich in den Betreff, dass sie erst am Montag dazu eine Rückmeldung braucht. Um die Mitarbeiter wiederum davor zu schützen, sich selbst zu überfordern, biete man spezielle Schulungen an und sensibilisiere auch die Führungskräfte, sagt Microsoft-Manager Markus Köhler.

Analoge Kommunikation an den Postfächern der Mitarbeiter.
Foto: Rene Schmöl

Bei den Gewerkschaften allerdings hält man die große Flexibilität für trügerisch, wenn zugleich die Zielvorgaben die Beschäftigten unter permanenten Druck setzen. Den Führungskräften komme dabei eine hohe Verantwortung zu - der sie allerdings längst nicht immer gerecht würden, sagt Hilde Wagner, Ressortleiterin Tarifpolitik beim IG-Metall-Vorstand. "Allzu oft sind sie mehr an der Einhaltung ehrgeiziger Projektziele und Kostenvorgaben interessiert als an der Gesundheit ihrer Mitarbeiter", so die Gewerkschafterin.

Die Beschäftigten stünden unter dem Druck ständiger Bewährung, ohne dass sie einen Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Arbeit wie etwa personelle Kapazitäten hätten. "Mehr Druck durch mehr Freiheit" beschreibe diese paradoxe Situation am treffendsten, meint Wagner. Entscheidend sei, dass Arbeitszeiten erfasst und dokumentiert würden. "Und zwar unabhängig davon, wo sie stattfinden."

Außenansicht der neuen Microsoft Deutschland Unternehmenszentrale in der Münchner Parkstadt Schwabing
Foto: Microsoft Deutschland

Aufhalten lassen wird sich der Trend zu flexiblen Arbeitsmodellen, Projektarbeit und mehr selbstständigem Arbeiten derweil nicht, glaubt Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit. Mit betrieblichen Vereinbarungen könne es aber gelingen, die Interessen der Unternehmen und Beschäftigten auszutarieren, sagt der Experte. "Die Freiheit darf nicht nur in eine Erhöhung der Arbeitsintensität münden. Denn wenn man nur die Anforderungen erhöht, kann das auch zu gesundheitlichen Problemen bei den Beschäftigten führen."

Mit Material von dpa

Grundsteinlegung Microsoft Deutschlandzentrale im Oktober 2014
Neues Microsoft Office
Grundsteinlegung der neuen Microsoft Deutschland-Zentrale am 07.10.2014 in der Münchner Parkstadt Schwabing.
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Microsoft-Deutschlandchef Christian P. Illek
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Argenta-Chef Helmut Röschinger
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Neben einem Buch über München Schwabing kam eine aktuelle Süddeutsche Zeitung, eine Abendzeitung und eine tz in den Grundstein ...
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... sowie ein Münchner Merkur ...
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... eine BILD-Zeitung ...
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... die Baupläne ...
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... ein Plakat mit Selfies von Microsoft-Mitarbeitern ...
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... und eine Flasche Augustinerbräu, Euro-Münzen sowie ein Microsoft Surface.
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Dann ging es mit dem Grundstein per Lift ...
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... hoch hinaus ...
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... und wieder runter ...
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... auf die Grundplatte.
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Der Grundstein ...
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... ist gesetzt.
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Am 30. April 2016 ist die Schlüsselübergabe geplant.
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Über 100 Millionen Euro wird an diesem Standort in das Microsoft-Gebäude investiert. Microsoft ist jedoch nicht Eigentümer, sondern Mieter.
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Für den Aushub der 11 Meter tiefen Baugrube mussten etwa 4.600 LKW-Fuhren Erde von der Baustelle abtransportiert werden.
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Die gesamte Bürofläche entspricht 3,6 Fußballfeldern - also 26.000 m²
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Für die Spundwände kommen zur Sicherung der Baugrube 300 Doppelbohlen zum Einsatz.
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Während der Rohbauzeit befinden sich durchschnittlich 80 bis 100 Arbeiter in der Baustelle.
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Die sechs Kräne auf der Baustelle sind zwischen 35 und 45 Meter hoch.
Rendering Microsoft Deutschlandzentrale
Das fertige Gebäude soll insgesamt 12.500 m² Glasfläche haben, was hochgerechnet ca. 2.800 Fenstern entspricht.
Rendering Microsoft Deutschlandzentrale
Die Parkansicht
Rendering Microsoft Deutschlandzentrale
Ansicht von der Straße
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Die Dachterrasse
Rendering Microsoft Deutschlandzentrale
Der Innenhof
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Ansicht am Tag
Rendering Microsoft Deutschlandzentrale
Ansicht in der Nacht.