Servus Systems

Messe München bastelt neuen ITK-Event

29.10.2008 von Katharina Friedmann
Vergangene Woche wurde die Systems offiziell zu Grabe getragen. Bei den Ausstellern hinterließ das während der Veranstaltung verkündete Aus der Münchner IT-Fachmesse gemischte Gefühle. Doch ein Nachfolger ist in der Mache.

No "Ideas for better business"? Der Münchner Systems ist offenbar nichts mehr eingefallen - zumindest, was das bisherige Geschäftsmodell betrifft: Nach 39 Jahren zog Systems-Chef Klaus Dittrich am vergangenen Mittwoch den endgültigen Schlussstrich unter die älteste deutsche Computermesse und den acht Jahre währenden vergeblichen Kampf gegen Aussteller- und Besucherschwund.

Ihren Höhepunkt erlebte die 1969 ins Leben gerufene Systems in der Dotcom-Hochphase zum Jahrtausendwechsel, als sich der Münchner Branchen-Event mit 3251 Ausstellern und 147.000 Besuchern schon als überregionales Gegengewicht zur IT-Leitmesse CeBIT in Hannover verstand. Vorschnell, wie sich herausstellte, denn von da an ging es bergab: Ab 2001 musste die Systems Negativrekorde melden - immer mehr Anbieter zeigten der Isarmetropole die kalte Schulter. Analog zur Ausstellungsfläche schrumpften auch die einstigen Besuchermassen zu einem überschaubaren Publikum. Seit 2001 ist die Zahl der Teilnehmer von 121.000 (minus 18 Prozent gegenüber 2000) kontinuierlich auf zuletzt 39.000 Systems-Besucher (2008) gesunken, während in der vergangenen Woche noch 1061 Aussteller in fünf von ehemals 15 Systems-Hallen ihre Produktneuheiten zur Schau stellten.

Ende der Talfahrt

Als Ersatz kündigte Systems-Chef Dittrich zwei neue Branchen-Events an: Zum einen soll die bisherige Systems IT Security Area in einer eigenständigen Sicherheitsmesse aufgehen. Sie findet erstmals im Sommer 2009 (23. bis 25. Juni) statt und bietet neben IT-Security-Anbietern auch auf klassische beziehungsweise physische Sicherheitslösungen spezialisierten Firmen eine Präsentationsfläche für ihre Neuheiten. Zum anderen ist für Oktober ein bislang namenloser ITK-Event geplant, dessen Konzept sich noch in der Kreativwerkstatt der Messeverantwortlichen befindet. Um ein völlig neues Format soll es sich handeln, das sich weniger auf Techniken oder Produktvergleiche als auf aktuelle und zukünftige Themen wie etwa Green IT, Unternehmenskommunikation, Handel, Einsatz mobiler Systeme konzentrieren wird.

Münchens künftiger ITK-Event

Die seit 1969 veranstaltete Computermesse Systems hat sich überlebt. Messechef Klaus Dittrich und sein Team arbeiten unter Hochdruck an einem zeitgemäßen Konzept. Klar ist bislang, dass die erfolgreiche Security Area nächsten Juni als eigenständige Spezialmesse ITSEC antritt. Außerdem entsteht bis Oktober 2009 ein vermutlich auf drei Tage ausgelegter ITK-Event. Die noch namenlose Veranstaltung beruht auf einer Trendanalyse - und den daraus resultierenden Folgerungen für eine ITK-Veranstaltung der Zukunft.

  • Embedded Computing: IT verschmilzt mit Alltagsgegenständen, sowie Freizeit- und Unterhaltungselektronik. Folgerung: Es geht nicht um Öffnung für Konsumenten oder Gadgets, sondern um eine lupenreine B-to-B-Veranstaltung rund um vernetzte IT-Lösungen für diese Bereiche.

  • Multifunktionalität: Das Handy ist längst auch Fotoapparat, Medienplayer, Spiele- und Netzcomputer oder sogar Business-Umgebung für CRM- oder SAP-Anwendungen. Folgerung: Orientierungshilfen für Entscheider, damit sie sich in der Vielfalt gegenwärtiger und künftiger Möglichkeiten zurechtfinden.

  • Marke statt Technik und Funktion: Entscheider fragen zum Beispiel weniger nach den kaum mehr unterscheidbaren Funktionen Bürosoftware als nach Service, Sicherheit, Innovationskraft und Flexibilität des Herstellers. Folgerung: Hersteller erhalten flexible Beteiligungsmöglichkeiten (etwa Firmenveranstaltungen, Halten von Vorträgen, Messestände, Diskussionsteilnahme), um für das Vertrauen in ihre Marke zu werben.

  • Neue Infrastruktur-Entscheidungen: Im Raum stehen etwa die Alternative zwischen eigener IT-Organisation und Auslagerung von Hard- und Software, klassischer Lizenzsofware, Open-Source und Software as a Service. Folgerung: Solche Fragen müssen in integrierten Kongressen und Foren diskutiert werden.

  • IT meets Business: Bei neuen Entwicklungen wie SOA, SaaS und ähnlichen Trends müssen die kaufmännischen Entscheider in die Lage versetzt werden, sich mit den Technikern zu verständigen. Folgerung: Auch hier soll der Event als Diskussionsplattform dienen.

  • Bloggosphäre: Durch diese hersteller- und anwenderunabhängige Öffentlichkeit kommen gesellschaftliche Themen wie die Rechtsprechung oder Green-IT stärker ins Blickfeld. Folgerung: Intensive Einbeziehung der Blogger - auch um neue Zielgruppen auf den Event neugierig zu machen.

Der Trend geht von der Präsentation zur Interaktion, vom Messestand zur Konferenz. Noch bastelt die Messegesellschaft an Geschäftsmodellen. Auch die Darstellung oben hat noch Werkstattcharakter.

Nach Auskunft von Messechef Dittrich plant die Messegesellschaft München eine Veranstaltung, bei der nicht mehr Techniken oder Produktvergleiche im Vordergrund stehen, sondern Gegenwarts- und Zukunftsthemen wie etwa Green IT, Unternehmenskommunikation, Handel, Einsatz mobiler Systeme. Ziel ist es, den Teilnehmern Orientierung bei aktuellen Entwicklungen zu geben. Die Anbieter sollen dabei unter den von der Messe vorgegebenen Themen wählen, können ihre verschiedenen Anliegen aber auf verschiedene Präsentationsformen verteilen, zu denen auch die Möglichkeit gehört etwa mit Festen (Social Events) für sich zu werben. (Text und Schaubild: Hermann Gfaller)

Wechselbad der Gefühle

Bei den Ausstellern löste die Nachricht vom Ende der Systems-Ära, die ihnen am zweiten Messetag im verschlossenen Briefumschlag überbracht wurde, unterschiedliche Reaktionen aus - von Neugier auf Kommendes über Trauer um den traditionellen Branchentreff bis hin zu echter Empörung über den Verlust einer lukrativen Geschäftsplattform.

"Es war klar, dass mit der Systems etwas passieren musste, auch wenn der Security-Bereich immer sehr gut besucht war", zeigt Pino von Kienlin, Geschäftsführer der Sophos GmbH, Verständnis. Es sei zu begrüßen, dass im kommenden Jahr ein neues Konzept den veränderten Bedürfnissen von Besuchern und Ausstellern Rechnung tragen werde. "Der Konkretisierung der neuen Security-Messe sehen wir mit Spannung entgegen - und werden dann entscheiden, ob ein eigener Auftritt die Investitionen rechtfertigt", so der Sophos-Chef.

"Neue aktivere Veranstaltungsformen sind gefragt - eine Messe ist ja von Natur aus eher ein passives Event", befürwortet auch Gerhard Eschelbeck, Chief Technology Officer (CTO) bei Webroot, den Neuanfang. Ob der Antiviren- und Antispam-Spezialist, der heuer erstmals mit eigenem Stand in der Systems IT-Security Area vertreten war, auch 2009 wieder dabei sein wird, ließ der CTO allerdings offen.

Für ERP-Anbieter hatte die Systems als Plattform für den Mittelstandsdialog einen wichtigen Stellenwert. "Wir haben hier stets gute Kontakte mit mittelständischen Entscheidern aus allen Branchen knüpfen können", berichtet Stefan Holland, Marketingleiter Mittelstand bei SAP Deutschland. Nichtsdestotrotz, so der Marketier, sei man auf die neue Kommunikations-, Vertriebs- und Marketingplattform gespannt.

Unangenehm überrascht

Auch der seit vier Jahren auf der Systems vertretene Web-Application-Firewall-Anbieter (WAF) Deny All hat in München stets wichtige Geschäftsbeziehungen schließen können - und jedes Jahr einen guten Return on Investment erzielt. Umso befremdlicher findet Thomas Kohl, Business Development Manager DACH, die Art und Weise, wie die Veränderungen kommuniziert wurden. "Gerne hätten wir früher davon erfahren - bei der Auftaktveranstaltung zur Systems wurde diese Entwicklung mit keinem Wort erwähnt."

Bestürzung kam aus der Open-Source-Szene: Für die SEP AG fungierte die Systems bisher quasi als Hausmesse, die dem auf Backup- und Recovery-Software spezialisierten Anbieter aus Bayern bis zuletzt gute Kontakte und Besucherzahlen bescherte. "Für uns wäre es ein Irrsinn, wenn wir in München - an Deutschlands erklärtem IT-Standort Nummer eins - keine eigene attraktive IT-Messe hätten", meint SEP-Vorstand Georg Moosreiner.

Taktlos

"Das Herz der deutschen IT-Industrie schlug bisher im Doppeltakt: CeBIT im Frühjahr und Systems im Herbst - der Verlust der Systems bringt die Branche aus dem Takt", bedauert Sascha Siekmann, Technical Support Engineer bei dem Messaging-Security-Dienstleister Cloudmark, das Ende des Münchner Branchentreffs. "Dass ich nach 20 Jahren Teilnahme den Abgesang auf diese Messe anstimmen muss, macht traurig: Servus Systems." (kf)