Menschenversuche: Wenn das Traumschiff zum Triple-Play-Labor wird

02.02.2007
Der Kreuzfahrer Aida will mit Triple Play neue Umsatzquellen erschließen. Dazu baut die Meyer-Werft den ultimativen Infotainment-Dampfer.

Gleich vier neue Schiffe will der Kreuzfahrtveranstalter Aida in den kommenden Jahren vom Stapel lassen. Dabei soll der zahlungskräftigen Kundschaft nicht nur eine neue Komfortdimension an Bord erschlossen, sondern zudem ein neues Kommunikationserlebnis beschert werden. So entsteht auf der "Aida Diva", die derzeit auf der Meyer-Werft in Pappenburg gebaut wird, das größte Infotainment-System Europas. Die rund 1.200 Kabinen des Schiffes, das im April in See stechen soll, werden für Triple Play (Sprache, Daten und Videos) vernetzt.

Von der konvergenten Infrastruktur verspricht sich der Veranstalter neue Einnahmequellen. So können die Gäste an Bord nicht nur per IP telefonieren oder über das Netz fernsehen beziehungsweise die neuesten Hollywood-Streifen on Demand abrufen, sondern im schiffseigenen Intranet auch noch einkaufen und Landausflüge buchen. Während andernorts noch über das Business-Potenzial der künftigen Triple-Play-Welt diskutiert wird, haben die Kreuzfahrer bereits genaue Vorstellungen von den neuen Möglichkeiten. So soll beispielsweise das Infotainment-System die Passagiere zum Besuch der Schiffstheater oder Bordrestaurants animieren. Unterstützung bietet hierbei das CRM-System, welches das Surfverhalten analysiert, um einem Gast - der sich offensichtlich für das Tauchen interessiert - gleich den passenden Kurs zu offerieren. Angedacht ist auch, die gewonnenen Daten nach einer Reise zu weiteren Kundenbindung zu verwenden, um dem Kunden weitere spezifische Angebote zu unterbreiten.

Gute Laune im Triple-Play-Versuchslabor
Foto: AIDA

Das Potenzial des Triple-Play-Ansatzes ist gewaltig, wie ein weiteres Beispiel zeigt: Beim Einschiffen wird von jedem Passagier ein Bordpass mit Bild erstellt und eine Kopie im Rechner hinterlegt. Durch die automatische Bilderkennung könnten die Daten dann später dazu verwendet werden, um die vom Bordfotografen gemachten Schnappschüsse automatisch den betreffenden Passagiern zu präsentieren. Diese können Abzüge online bestellen oder elektronisch Postkarten mit dem eigen Motiv drucken lassen - beziehungsweise gleich ein Bild per E-Mail mit Urlaubsgrüßen versenden: Schließlich ist das Schiff dank Satelliten-Anbindung jederzeit mit dem Internet verbunden. Gäste können zudem, angelehnt an den Web-2.0-Gedanken des User-generierten Content, die Bilder auf dem Webspace des Schiffes ins Internet stellen, wofür sich dank durchgängiger Vernetzung auch die Aufnahmen der eigenen Kamera verwenden lassen.

Aida-Schiffe: Die Tagesschau kommt um 20 Uhr.
Foto: AIDA

Der Aufwand, der hinter diesem Infotainment-System steckt, ist gewaltig, berichtet Jörg Liebe, Direktor der Voice Integration Products bei Lufthansa Systems. Als Systemintegrator war Liebe am Aufbau beteiligt, wobei das Netz für Crew und Passagiere rund 1.500 per IP angeschlossene Geräte umfasst. Zudem verbaute Lufthansa Systems über 800 der neuen 8-Port-Catalyst-Switches von Cisco, denn jede Kabine ist über vier Fast-Ethernet-Anschlüsse mit dem Backbone des Schiffes verbunden. Dieses ist als Gigabit- beziehungsweise 10-Gigabit-Ethernet ausgelegt.

Über die vier Ethernet-Ports werden die Kabinen nicht nur mit IP-Telefonie, IP-TV und Video on Demand versorgt, sondern sie sind auch an das Klimatisierungs- und Lüftungssystems des Schiffes angebunden. Telefon und Entertainment-System werden dabei teilweise automatisch per Power over Ethernet über das LAN mit Energie versorgt. Für künftige Schiffsbauten ist bereits eine Ausweitung des Systems in Sachen Home Automation angedacht. Wenn das System etwa anhand des fehlenden RFID-Signals des Bordpasses feststellt, dass ein Passagier die Kabine verlassen hat, können über automatisch Rollos an den Fenstern heruntergefahren und die Raumtemperatur um ein paar Grad heruntergeregelt werden. Was sich auf den ersten Blick wie eine nette Spielerei liest, hat für die Reederei handfeste ökonomische Gründe: Alleine für die Stromerzeugung und Klimatisierung sind zwei große Schiffsdiesel erforderlich.

Doch auch in anderer Hinsicht ist die neue Diva State of the Art. So wurde an Bord bereits die heute viel diskutierte Fixed-Mobile-Konvergenz in die Praxis umgesetzt. Verlässt der Gast seine Kabine, telefoniert er an Bord schnurlos in den öffentlichen Bereichen, denn der IP-basierende Call Manager leitet die Gespräche automatisch weiter. Allerdings werden hierzu nicht die WLANs genutzt, die überall vorhanden sind, sondern IP-fähige Dect-Telefone. Um die Sicherheit zu gewährleisten, sind Gäste in eigenen VLANs voneinander getrennt. Diese virtuellen Netze werden an Bord noch für etwas anderes genutzt: Sie sollen verhindern, dass Passagiere bei Video on Demand die aktuellen Blockbuster mitschneiden, indem am entsprechenden Netzsegment nur die Settop-Box, aber kein Notebook akzeptiert wird. Ergänzend kommen, wie Liebe erzählt, Sicherheitsfeatures wie DRM und digitale Wasserzeichen zum Einsatz.

Auch in Sachen Ausfallsicherheit muss das Netz der Diva den Vergleich mit Unternehmensnetzen nicht scheuen. So ist die Infotainment-Infrastruktur strikt von den Systemen zur Schiffssteuerung getrennt. "Doch selbst in Sachen Unterhaltung stellte Aida hohe Ansprüche", berichtet Liebig aus der Planungsphase, "denn das Netz muss nach einem Stromausfall innerhalb von drei Minuten wieder betriebsbereit sein." Keine leichte Aufgabe, wenn zeitgleich tausende von Geräten bei den DHCP-Servern neue IP-Adressen beantragen und die File-Systeme der verschiedenen Server neu zu mounten sind. Daten entstehen an Bord genügend, da beispielsweise die gängigsten deutschen Fernsehsender gepuffert aufgezeichnet werden, damit der Gast selbst in einer anderen Zeitzone wie gewohnt um 20 Uhr seine Tagesschau ansehen kann. Für die Steuerung dieses Medienverbundes sind zwei voneinander unabhängige Rechenzentren zuständig. Diese sind so ausgelegt, dass eines unterbrechungsfrei die Aufgaben des anderen übernehmen kann, falls an Bord eines ausfällt. (hi)