Jennifer Allerton, Roche

Mehrsprachig, mobil, gute Herzfrequenz

29.11.2006 von Jan-Bernd Meyer
Ein kürzeres Erfolgsrezept im Berufsleben gibt es nicht: "Für einen Vorgesetzten muss man, für einen Leader will man arbeiten." Dieser Satz kennzeichnet Jennifer Allerton mehr als vieles andere.

Jennifer Allerton ist CIO der Pharmasparte von Roche. Sie ist Engländerin. Studium der Mathematik in London. Diplom in Theoretischer Physik in Kanada. Jobs in USA, Brasi-lien, Italien, dem Fernen Osten, jetzt Schweiz. Allerton parliert in Englisch, Deutsch, Portu-giesisch, Französisch und Italienisch. Momentan studiert sie an der Open University in Großbritannien. Ihr Hobbysport ist Tiefseetauchen, und "da wollte ich einfach verstehen, was ich unter Wasser sehe". Also hat sie aus Spaß Ozeanografie-Kurse belegt, "das wuchs sich zu einem Studium aus." Vor einem Tag hat sie ihre Zwischenprüfung abgelegt. Ihre Noten bekommt sie im Dezember.

Erfolgsbausteine

  • Durch den Verkauf von Roche Consumer Health an Bayer musste sie die IT für die Be-reiche Personalwesen, Herstellung und Vertrieb, Finanzen und Verkauf/Kundenbetreuung 250 Applikationen kopieren oder neu aufbauen (Projekt Rembrandt).

  • Das Projekt musste in mehr als 50 Ländern in einem Umfeld realisiert werden, in dem die Produktion und die Supportsysteme strengen Behördenauflagen durch die Regeln der Good Manufacturing Practices unterliegen.

  • Die Trennung und die Integration in die Bayer-Welt wurden in weniger als zwölf Monaten umgesetzt. Aufgrund der Schnelligkeit wurde der vereinbarte Verkaufspreis in voller Höhe erzielt.

Als sie ihren Job im brasilianischen Sao Paulo antrat, hat sie Portugiesisch in einem dreiwö-chigen Crash-Kurs von morgens bis abends gepaukt. Den sprachlichen Schliff eignete sie sich dann nebenbei im Arbeitsalltag an - learning on the job, sozusagen. Lernen, fügt sie hinzu, hat ihr schon immer Spaß gemacht.

Leben, um zu lernen

Bildstrecke Jennifer Allerton
Jennifer Allerton
In ihrem Job als CIO bei Roche muss Jennifer Allerton vor allem gut zuhören können.
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Kommunikation, auch per Telefon und E-Mail, macht 70 Prozent ihrer Arbeitszeit aus.
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Täglich stehen mehrere Meetings mit den Fachabteilungen und mit dem Top-Management auf dem Programm.
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Jennifer Allerton ist weltweit unterwegs.
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Videokonferenz mit den USA und Frankreich über die firmenweite Implementierung einer Performance-Management-Software.

Das liegt zum einen am Beruf ihres Vaters. Der war Lehrer in einem winzigen Kaff in England, an das Allerton nur noch eine Reminiszenz hat: "Nur raus hier!" Die einflussreichsten Leute waren der Pfarrer, der Lehrer und der Großgrundbesitzer. "So wie sie wollte ich nicht werden, ich musste also meinen eigenen Weg finden." Mit der Enge des dörflichen Lebens ist der Wunsch, ständig ihre geistigen Horizonte zu erweitern, wohl ebenfalls zu erklären. Leben, um zu lernen. Lebenslang. Eine Option, Allerton zu verstehen.

Eine andere Option beginnt morgens um halb sieben vor dem Haupteingang von Roche in Basel. Da wartet Allerton schon in Sportkleidung auf den Reporter, um ihn auf eine Tagesreise durch ihren Arbeitsalltag mitzunehmen. Und der beginnt im Fitness-Studio "City Sports".

7. 00 Uhr: Los geht's auf dem Laufband. Allertons Fitness-Trainerin kontrolliert Tempo und Bewegungsablauf. Warmlaufen. Nach sieben Minuten wird das Tempo hochgefahren. Kein schwerer Atem. Schwitzt sie schon? Nein. Alles im grünen Bereich. Nach 15 Minuten wieder ruhigeres Tempo. Dann noch einmal knüppeln. Allerton jagt ihren Puls auf 150. Sagt die Fitness-Trainerin. Guter Wert. Be-lastbar scheint dieser CIO. Nach 25 Minuten ab auf den Stepper für 15 Minuten. Dann noch zehn Minuten Gewichte. Fertig. Duschen. Ab-fahrt zur Roche-Zentrale.

70 Prozent ihrer Arbeitszeit kommuniziert Allerton. Mit der Firmenleitung die meiste Zeit, mit den Fachabteilungen aber ebenso. Ihr Credo: Kommunikation als unabdingbare Vor-aussetzung, um zu führen. Kontrolle? No. Braucht es nicht. Geht auch gar nicht ange-sichts des nun wirklich stressigen Teils ihrer Arbeit: Allerton geht nämlich oft in die Luft. Morgen steht die russische Niederlassung von Roche in Moskau auf dem Plan. Wenige Tage zuvor war die IT-Chefin bei Microsoft. Hinfliegen nach Seattle: Business-Talk. Weiter-fliegen nach Kalifornien zu Hewlett-Packard: Strategiegespräche mit einem wichtigen Hardwarelieferanten. Folgetermin am selben Tag bei Oracle. Nach 72 Stunden Rückflug nach Europa. Als Top-IT-Managerin eines Großkonzerns sind solche Termine an der Tagesordnung.

"Jetzt wissen Sie, warum ich mich morgens im Studio quäle", sagt Allerton. Ohne körperliche Fitness wären die ständigen Flugmarathons nicht zu bewältigen. "Aber ohne den Stress würde ich mich langweilen", sagt sie auch.

8.30 Uhr: Großraumbüro Roche. Geräumige aber nicht zu großzügige Parzelle für die Chefin. Alle duzen sich hier. Brigitte, die rechte Hand von Allerton, bringt das Müsli mit Früchten. Arbeit am PC, E-Mails.

9.30 Uhr: Treffen mit dem Leiter der technischen Entwicklungsabteilung bei der Hoffmann-La Roche Ltd. im Basler Messeturm, in dem der Pharmakonzern auch einige Büro-räume angemietet hat. Natürlich gehen wir die paar Straßen zu Fuß. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre. Thema: Funktioniert alles mit dem Supply-Chain-Management-System "Clara", das für die Bereitstellung und den Versand von Medikamenten für klinische Versuchsreihen installiert wurde? Schon bei diesem ersten Gespräch offenbart sich eine wesentliche Stärke von Allerton: Sie lässt ih-ren Gesprächspartner reden. Hört aufmerksam zu. Hält Blickkontakt.

Was völlig entspannt wirkt, ist ein wichtiger Teil von Allertons Arbeit: Informationsaustausch mit Fachabteilungen und dem Management über IT-Projekte, mit denen die Kerntätigkeiten von Roche als Healthcare-Unternehmen in den Bereichen Pharma und Diagnostika sichergestellt werden sollen. Der Konzern entwickelt Produkte und Dienstleistungen für die Früherkennung, die Prävention, die Diagnose und die Behandlung von Krankheiten wie etwa Krebs. Führend sind die Schweizer in der Virologie.

Zur Person

  • Seit 2002 CIO bei Roche Pharma;

  • von 1999 bis 2002 bei Barclaycard als Technology Director;

  • von 1994 bis 1998 bei BOC als CIO;

  • von 1990 bis 1994 bei Cable & Wireless in verschiedenen Positionen;

  • von 1976 bis 1989 bei Unilever in verschiedenen Positionen, zuletzt als IT-Director fort he Asia Pacific Region;

  • Diplom in Theoretische Physik an der Universität Manitoba, Kanada;

  • Studium der Mathematik am Imperial College, London.

Liegt es an dem anwesenden Reporter? Der Gesprächspartner jedenfalls gibt sich ziemlich lässig, als er mit Allerton Ansichten über eine wichtige Personalie austauscht. Wie entwickelt sich die betreffende Person? Wie kommuniziert sie? Wie erledigt sie ihren Job? Allseitige Zufriedenheit hierzu. Das war's auch schon. Handshake. Nächster Termin.

Auf die Frage des Reporters, wieso sie sich so um die Befindlichkeit einer Mitarbeiterin bekümmert, sagt Allerton: "Das ist Teil meines Jobs. Ich muss alles tun und dabei helfen, dass andere Leute ihre Arbeit gut erledigen können." So wünscht man sich Vorgesetzte.

11.00 Uhr: Finanztreffen mit dem Leiter der Finanzabteilung und einem seiner Mitarbeiter. Feinarbeit an der Präsentation des IT-Budgets vor dem Vorstand kommende Woche. "Das ist die mit Abstand wichtigste Veranstaltung in den nächsten Tagen", betont die IT-Chefin. Und eine heikle. Erstmals seit vier Jahren nämlich will Allerton mehr Geld für die In-formationstechnik des Konzerns. Solche wenig euphorisierenden Botschaften muss man einem Firmenchef in unterschwelligen Dosen präsen-ieren. Alarmstimmung also im flüsterleisen Großraumbüro, sollte man meinen - denn im-merhin soll dem obersten Konzernboss eine Kröte auf dem Gourmetteller serviert werden.

Im Gespräch mit den Finanzexperten allerdings scheint die Bedeutung, die diese Unterredung hat, kaum durch. Wieder dieser gelassene Kommunikationsstil der Britin. Aufmerk-sames Zuhören, während ihr die Strategie für die Präsentation entwickelt wird. Plötzlich ein Einwand der Vorgesetzten: "Hier müssen wir das deutlicher machen! I'm not extremely comfortable with this slide...". Es gibt Menschen, die Einwände weniger diplomatisch einkleiden. Mir schießt durch den Kopf, was Allerton mir auf dem Weg zum Messeturm sagte: "Ein Leader zeichnet sich durch seine Menschlichkeit aus. Er ist fordernd, aber er unterstützt seine Mitarbeiter."

Nächste Folie. Ein Blick von Allerton: "This one I love...". Ein Lob kann so knapp und gewichtig daherkommen und soll wohl heißen: Mit diesen Argumenten hier könnten wir den Konzernvorstand rumkriegen. Mittlerweile ist auch die Kommunikationsleiterin von Roche Global Informatics zum Gespräch hinzugestoßen: "Präsentieren wir die Folien eigentlich in British English oder American English?" Eigentlich nur eine Frage der Rechtschreibung. Beiseitiges Lächeln und kurzer Blick Allerton: "British English. Of course!" Britischer Witz am Rande.

Mein Blick schweift kurz über das Bücherregal der Roche-CIO. Einige Titel kann ich aus der Entfernung entziffern: "Good to Great", "The New CIO Leader", "Democratic Enter-prise", "Re-Imagine". Bücher, die zu dieser Chefin passen.

Am Schluss des einstündigen Gesprächs fasst sie noch einmal die wesentlichen Punkte zusammen. Macht wenige, knappe Anmerkungen, wie die Drei dem Vorstandsvorsitzenden ihre in Seidenpapier eingeschlagenen finan-ziellen Forderungen überreichen sollten. Fertig. Keine Unklarheiten, Handshake. Nächster Termin.

12.10 Uhr: Claude, Leiter des Bereichs Supply Chain und Finanz-IT-Systeme, ist der Stichwortgeber für Allertons zweitägigen Trip nach Moskau in zwölf Stunden. Welche IT-Partner in Russland für Roche von besonderer Bedeutung sind. Welches der Umrechnungsfaktor von Euro zum Rubel ist. Länger dauert der Part, Allerton die wichtigsten Moskauer Ge-sprächspartner in einer Tour d'Horizon zu porträtieren. Wer hat welche Position? Wer welche Eigenschaften? Claude scheint weniger ein Mitarbeiter denn ein freundschaftlicher Begleiter. Für den Außenstehenden wirkt es, als ob sich hier zwei blind verstehen. Immer wieder kleine Scherze. Sehr relaxt. Trotzdem hohe Konzentration bei Allerton. Nach 45 Minuten Informationssession mit Claude kann Moskau kommen.

13.00 Uhr: Auch ein guter Manager sollte regelmäßig reflektieren: "Was habe ich gemacht in den vergangenen Wochen? Was könnte ich besser machen?" Allerton fragt das seit zwei Jahren Ron. Ron ist Consultant einer großen Unternehmensberatung und der persönliche Coach der Engländerin. Regelmäßig treffen sie sich zu einem Arbeitsessen. Heute will Ron wissen, wie Allerton mit einer Personalangelegenheit weitergekommen ist, mit der sie schon seit Wochen schwanger geht und die einer Entscheidung bedarf. Eine schwierige Geschichte, denn sie muss Leistungen von Mitarbeitern gegeneinander gewichten, um einen aus einer Gruppe herauszuheben.

Beim Für und Wider der Beurteilungen wird deutlich, dass Mitarbeiter für Allerton Individuen mit einer sehr persönlichen Historie sind. Sie schafft den Brückenschlag vom Beruflichen zum Privaten, weil sie weiß, was ihre Mitarbeiter auch außerhalb der Firma beschäftigt, belastet.

Ron fällt auf, dass sich Allerton in einer bestimmten Situation auch anders hätte verhalten können. Allerton notiert auf einem kleinen Zettel Stichworte zu Rons Ansichten. Nur einmal während des Gesprächs blickt sie auf ihren ständigen Begleiter, einen Blackberry.

Sie spricht von Fehlern, die sie gemacht hat. Ron relativiert. Manchmal. Lenkt sie. Wieder dieser lernende Blick der Managerin. Als es sehr persönlich zu werden beginnt, bittet Allerton den Reporter, er möge sie für 20 Minuten alleine lassen mit ihrem Coach.

14.40 Uhr: Videokonferenz mit Roche-Mitarbeitern in Frankreich und den USA. Thema: Die gerade vollzogene firmenweite Implementierung einer Performance-Management-Software. Allerton lobt das internationale Team für seinen "sehr guten Job". Aber es gibt noch viel zu tun. Dann reden vor allem die USA. Allerton verfolgt die transkontinentale Diskussion - schließlich muss sie sich ausklinken. Der nächste Termin steht an.

15.30 Uhr: Treffen mit dem Chef Informatic Services, der auch das IT-Projektportfolio überwacht. Allerton gleicht mit ihm die verschiedenen bei Roche laufenden IT-Projektstände ab. Diskutiert geplante Sourcing-Strategien und mögliche Dienstleister für Roche. Alles zügig, konzentriert. Es bleibt sogar Zeit, die Organisation des Basel-Laufs zu streifen. Die IT-Bossin will zum ersten Mal teilnehmen. John ist selbst Läufer, lässt kurz seine sportliche Eitelkeit aufblitzen, erwähnt persönliche Bestzeiten. Allertons Thema ist dies nicht.

16.15 Uhr: Sie und Brigitte müssen noch Reise- und Visumformalien für Russland erledigen. Der Fotograf macht noch ein paar Aufnahmen. Allerton bürstet ihre Frisur auf. Zieht den Lippenstift nach. Lächelt: "Frauen machen das." Ziemlich souverän.

16.30 Uhr: Wochenende für den Reporter in vier Stunden. Kein Wochenende für Allerton. Reisestress Moskau. Naja, was soll's? Ohne Stress würde sie sich ja eh langweilen.

Buch- und Filmtipp

Tolkien, John R.R.: The Lord of the Rings. Es ist mein Lieblingsbuch, weil es die detail-getreue Beschreibung einer anderen Welt ist.

Film: Star Wars. Dieser Film ist anders als alle Filme, die es je gegeben hat.