Medizininformatiker helfen Kosten senken

12.12.2001 von Susanne Harmsen
7500 Ärzte und Psychotherapeuten, dazu Dutzende Krankenhäuser und Kliniken - Berlin sollte einer der besten Abnehmer von IT-Anwendungen im Gesundheitswesen sein. Dennoch heißt es bei den IT-Firmen der Stadt: "Berlin ist ein schwieriger Markt für die Branche - sehr eng strukturiert. Wer hier Fuß fassen will, muss wirklich gut sein."

Frank Lachnit ist Geschäftsführer der GfN Software für Ärzte und Krankenhäuser. Mit seinen acht Mitarbeitern betreut er das Klinikum Berlin-Buch und auch Krankenhäuser in Hamburg sowie Hannover. "Die Entwicklung unserer Software kostete drei Jahre Arbeit", erinnert er sich. "Wir sind immer in engem Kontakt mit den Anwendern." Inzwischen ist das Barcode-Verfahren von GfN sehr erfolgreich.

Petra-Corinna Mattern, MDE

Ähnlich wie die Waren an der Supermarktkasse werden damit Krankenhausapparate und Instrumente erfasst. So bekommen die Kliniken wieder den Überblick: Wo steckt welches Gerät? In welchem Zustand ist es, wann war die letzte Wartung oder Sterilisation?

Für anstehende Projekte verpflichtet die GfN zusätzliche Mitarbeiter mit Zeit- oder Projektverträgen. Praktikanten und Diplomanden verstärken die Crew, werden aber sorgfältig ausgewählt: "Wer hier für ein Vierteljahr reinkommt, kostet uns ein Mannjahr für die Betreuung." Beide Seiten haben hier die Chance, sich gut kennen zu lernen."Den perfekten Mitarbeiter, der Mediziner und Informatiker zugleich ist, gibt es praktisch nicht, also müssen unsere IT-Kräfte ständig über die medizinische Praxis dazulernen, bei jedem Kunden etwas anderes", sagt Lachnit.

Über ein Praktikum kam auch Bernd Schröder zu seinem Arbeitsplatz bei Widis. Die Widis GmbH (Wissenschaftliche Dienstleistungen für Informatik und Systemtechnik) berät und zertifiziert Firmen und ihre Produkte. Zum Beispiel Hersteller von Herzschrittmachern oder von Datenbanken, die in Arztpraxen und Kliniken eingesetzt werden. Seit einem Jahr ist sie der ostdeutsche Vertreter des TÜV für die Datenverarbeitung (TÜV-IT) in Essen und vergibt die offiziellen Qualitätssiegel wie etwa die ISO 9001.

 Schon während des Informatikstudiums an der Technischen Universität Berlin suchte Schröder nicht an der Uni nach einem Nebenjob, sondern in einer Firma. "Im Gegensatz zu mehreren Kommilitonen hatte ich das Glück, gleich einen Volltreffer zu landen", erinnert er sich. Er wurde in das zwölfköpfige Team voll einbezogen, bekam einen erfahrenen Kollegen an die Seite und profitierte auch für den Rest des Studiums aus dem Nebenberuf: "Mit dem Praxisbezug im Hintergrund konnte ich an der Uni viel besser die wirklich wichtigen Angebote herausfinden und mich darauf konzentrieren."

Familiäre Atmosphäre


Auch im Gesundheitswesen bedauern die Firmen, dass bis zu 60 Prozent der IT-Absolventen direkt vom Studium ins Ausland abgeworben werden, meist in die USA. "Die zahlen dort in Dollar, was wir in Mark bieten können", so die einhellige Klage. Was können mittelständische Firmen wie GfN oder Widis dagegen setzen? Schröder sagt: "Es ist die familiäre Atmosphäre, die ich schätze. Hier bin ich nicht nur eine Nummer, hier kennen und schätzen mich die Kollegen. Wir sind alle per Du, und wir lachen gern mal über einen Scherz. Auch nach Feierabend unternehmen wir was zusammen, gehen zum Beispiel essen. Wenn es mir mal schlecht geht, kann ich auch zu Hause bleiben, weil sie wissen, dass ich meine Termine halte und dafür an einem anderen Tag länger arbeite."

Das gute Betriebsklima fördern sicher auch die immer offen stehenden Türen der miteinander verbundenen Büroräume. Widis-Geschäftsführer Jürgen Heene sucht sich die Mitarbeiter nicht in erster Linie nach dem Zeugnis aus. Er nimmt gern Praktikanten, die er schon kennen gelernt hat oder die in anderen Firmen einschlägige Erfahrungen gesammelt haben: "Die IT-Abgänger müssen wissen, dass es auch nach dem Diplom noch viel zu lernen gibt, schließlich konnte ihnen das Studium nur das Handwerkszeug vermitteln." Die Anstrengungen für Newcomer können sich aber durchaus lohnen. So schickte der Chef Schröder schon nach einem Jahr in der Firma zu einem wichtigen Fachkongress in die USA. "Das geht natürlich nur in einer so kleinen Firma mit flacher Hierarchie."

Absturzsichere Systeme sind ein Muss

Das Berliner Gesundheitswesen befindet sich gerade in einer entscheidenden Phase: Durch Rationalisierung müssen enorme Summen eingespart werden, weil es zu viele Krankenhausbetten gibt. Das könnte eine große Chance für die Medizininformatiker sein, weil eine gute Datenverarbeitung hilft, Kosten zu senken. "Leider erkennen viele Kunden noch nicht, wie wichtig sichere Qualität ist", sagt Heene. "Besonders im medizinischen Bereich müssen die Systeme Datensicherheit garantieren, in sich absturzsicher und fehlerfrei sein und kompatibel zu anderen arbeiten."

An der Berliner Charité, zugleich Ausbildungsklinik der Humboldt-Universität, hat man das erkannt und arbeitet bewusst mit zertifizierten Produkten und ihren Entwicklern zusammen. Holger Sasse ist der IT-Chef der Klinik und kooperiert mit den angehenden Informatikern der Humboldt-Uni. Neuestes Ergebnis ist die weltweite Konsultationsstelle für Hautkrebs. Jeder Arzt, der ein Mikroskop mit Digitalkamera und einen Internet-Zugang besitzt, kann sich für seine Fälle kostenlosen Rat von den anerkannten Experten aus Berlin holen - direkt und ohne Wartezeit.

An diesem Projekt beteiligt war auch die MDE (Entwicklungsgesellschaft für angewandte Rechnertechnik mbH), die neben den Krankenhäusern auch mit der Pharmaindustrie zusammenarbeitet. Ihr Geschäftsführer Thomas Mielers weist darauf hin, dass die teuren Zulassungsverfahren für neue Medikamente keinerlei Spielraum für Datenvertauschung oder kleinste Fehler erlauben: "Wer von uns Programme bezieht, kann auch nach fünf Jahren noch kommen und fragen: Wie habt ihr diese Funktion programmiert?"

Deshalb braucht die MDE nicht so sehr den genialen Schnellprogrammierer, sondern eher den Tüftler, der die effektivste, ausgefeilteste Lösung sucht. Dafür nimmt Mielers auch Seiteneinsteiger wie die studierte Lebensmittelchemikerin Petra-Corinna Mattern. Nachdem ihre frühere Firma pleite gegangen war, ließ sie sich über das Arbeitsamt für den Bereich Informationstechnik und Projekt-Management umschulen. Per Praktikum kam sie zur MDE und durfte nach dem Babyjahr fest einsteigen. "Ich mag die Arbeit, weil sie abwechslungsreich ist. Die Atmosphäre ist super, und ich weiß, dass meine Firma mir viele Weiterbildungsmöglichkeiten eröffnet. Außerdem kommt man mir auch mit der Arbeitszeit entgegen. Da die Kindertagesstätte für meinen Sohn erst um neun Uhr aufmacht, brauche ich nicht vor zehn Uhr anzufangen." Klar, dass sie diesen Vertrauensbonus durch gute Arbeit zurückzahlt.

Notruf für Hebammen

Zu den Größeren der 8800 IT- und Kommunikationsfirmen in Berlin zählt dagegen schon E-Message. 80 Mitarbeiter in Berlin und 60 bei Paris sorgen für den Mobilfunkservice der besonderen Art. Auf einer langwelligen Frequenz, die auch in die Tiefgarage vordringt, versenden sie Notrufe an Servicetechniker von Aufzugherstellern, aber auch an Tausende Krankenwagenfahrer, Hebammen und Ärzte. Der Empfänger ist absolut strahlungsfrei und kann selbst in den Operationssaal oder ins Flugzeug seine Nachricht übermitteln. Dieser Service funktioniert deutschlandweit und fast hundertprozentig sicher, was mit keinem Handy zu erreichen ist.

Carsten Borretius, Geschäftsführer für Personal bei E-Message, freut sich auf Bewerbungen aus der IT-Branche. "Im nächsten halben Jahr zieht unser IT-Technik-Bereich aus Frankfurt am Main nach Berlin, und wahrscheinlich werden nicht alle Mitarbeiter mitkommen."

Kontakte zu Medizinfirmen

E-Message Wireless Information Services Deutschland GmbH,
Geschäftsführer für Personal und Finanzen: Carsten Borretius, Schönhauser Allee 10-11, 10119 Berlin, Telefon: (030) 4171 10-0 Fax: (030) 4171 2999, www.emessage.de

MDE Entwicklungsgesellschaft für angewandte Rechnertechnik mbH,
Geschäftsführer: Thomas Mielers Kurfürstenstraße 84, 10787 Berlin, Telefon: (030) 230 80 3-0 Fax: (030) 230 80 3-11 E-Mail: mde@mde.de, www.mde.de

Widis Wissenschaftliche Dienstleistungen für Informatik und Systemtechnik GmbH,
Geschäftsführer: Jürgen Heene, Albert-Einstein-Str.16, 12489 Berlin , Tel.: (030) 6392 1605, Fax: (030) 6392 1650, www.widis.de

Ein Überblick über die Medizintechnik- und IT-Branche für verschiedene Bundesländer findet sich unter www.seibt.de (Link zur Medizintechnik und Region auswählen)