Materna: Traditionsunternehmen und Startup

08.03.2001 von Gabriele Müller
Dortmund ist der Inbegriff von Ruhrkohle, Fußball oder Bier - und von Informationstechnologie. Das wird manchen eher überraschen, aber die Stadt steht auch für den erfolgreichen Strukturwandel einer ganzen Region. Von Anfang an daran beteiligt war die Materna GmbH.

Alle Welt sucht nach qualifizierten Mitarbeitern, die in der Lage sind, immer neue technische Anforderungen zu verstehen und umzusetzen. Fast jedes Unternehmen klagt dabei über die schwierige Suche nach dem IT-Nachwuchs. So ist zwar kaum zu glauben, dass es die Materna GmbH im vergangenen Jahr geschafft hat, gleich 300 neue Mitarbeiter zu engagieren. „Wir wollen weiter wachsen“, so die Parole von Oliver Reich, Leiter der Personalabteilung. „Grenzen setzt uns im Moment eher unser Raumproblem.“

Denn das Firmengebäude „platzt bald aus allen Nähten“, weshalb eine neue Zentrale fest geplant ist und als Computersimulation auch schon existiert. Solche Ankündigungen über eine derart rasante Expansion sind sonst nur von Startups bekannt. Materna dagegen ist schon seit rund 20 Jahren auf dem Markt, hat in Deutschland acht und weltweit von Brüssel bis Hongkong sechs Niederlassungen. Mit rund 1200 Mitarbeitern ist der Softwarehersteller ein klassischer Mittelständler, der aber zu den großen Zwölf in Deutschland gehört. Die beiden Geschäftsbereiche „Communications“ und „Information“ stehen für modernste Technik.

„Wir entwickeln und vermarkten Produkte, Lösungen und Dienstleistungen aus den Bereichen Unified Messaging und Mobile Solutions“, zählt Department-Manager Mark Düsenberg auf. Dazu zählen vor allem mobile Mehrwertdienste auf Basis von WAP (Wireless Application Protocol) und SMS, die unter den Namen „Anny Way“ vermarktet werden. Immerhin gehen allein in Deutschland über 400 Millionen Handy-Nachrichten damit hin und her – und es werden täglich mehr.

Der Bereich Information steht dagegen für die Beratung und Realisierung von E-Business-Lösungen wie zum Beispiel die neue Internet-Community des Online-Brokers Direkt Anlage Bank und das Automobil-Portal Autouniversum.de. „Beides sind Wachstumsmärkte, die interessante Aufgaben versprechen“, so Düsenberg. Aber genügt das allein, um Personal zu finden und zu binden? „Wir haben traditionell sehr enge Kontakte zur Universität Dortmund mit einem der größten Lehrstühle für Informatik in Deutschland“, berichtet Personalleiter Reich.

Das fängt damit an, dass die beiden Firmengründer, Winfried Materna und Helmut an de Meulen, hier gemeinsam an einem Forschungsprojekt gearbeitet haben. Heute gibt es eine enge und praxisnahe Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und dem Unternehmen: Zum Beispiel wird die neu im Wintersemester 2000/20001 ins Programm der Uni Dortmund genommene Vorlesung „UMTS – Funktionen und Dienste“ von Materna-Experten gehalten. Studenten der Elektrotechnik, Ingenieurinformatik und Informatik können sich hier zum Thema Mobilfunk informieren. „Gerade bei den ständig wachsenden technischen Anforderungen ist es kaum möglich, den genau passenden Mitarbeiter zu finden, der wirklich alle fachlichen Voraussetzungen erfüllt“, weiß Reich. „Deshalb setzen wir sehr stark darauf, aus unserer Arbeit zu berichten und daraus Wissen zu vermitteln.“ Zum Beispiel mit einem Diplomandenprogramm, an dem gerade rund 25 Studenten teilnehmen. „Academic Cooperations“ will hochqualifizierten Nachwuchs praxisnah für Zukunftsthemen begeistern.

Oliver Reich

Zu den Aktivitäten des Unternehmens zählt aber auch die Förderung einer zweijährigen Ausbildung zum IT-Professional an der „International School for Advanced Studies in Information Technologies“ (ITC) in Dortmund. 50 junge Leute haben in der vorlesungsfreien Zeit die Möglichkeit, in Firmen der Region Berufserfahrung zu sammeln. „Aber wir beschränken uns mit unseren Aktivitäten nicht nur auf den Bereich der Hochschulen“, weiß der Personalleiter. Mit dem Arbeitsamt Dortmund wurde gerade eine neue Kooperation vereinbart. Seit wenigen Wochen läuft eine einjährige Weiterbildung zum Microsoft Internet Solution Developer (MISD). Der inhaltliche Schwerpunkt dort: Objektorientierte Programmierung in Java und C/C++ und der Umgang mit Internet und Datenbanken.

Damit wollen Amt und Unternehmen auch den Praktikern, unabhängig vom Alter, eine Chance geben. „Wir setzen auf den Mix von Absolventen, die interessante Impulse aus den Hochschulen mitbringen und erfahrenen Leuten“, heißt es. Trotzdem ist der Altersdurchschnitt der Belegschaft mit rund 35 Jahren relativ niedrig. Das führt Düsenberg darauf zurück, dass es hier so etwas gibt wie „Traditionsbewusstsein und Startup-Mentalität in einem, die junge Leute anspricht.“ Umgang mit neuester Technologie, gute persönliche Entwicklungs– und Karrieremöglichkeiten, aber die Sicherheit eines gewachsenen und etablierten Unternehmens, „das wissen Kanadidaten zu schätzen“, glaubt er.

Die Bewerber sucht Materna, außer über Trainings, Schulungen und Hochschulkontakte, konsequent über das Web. Anzeigen in elektronischen Jobbörsen sind da ebenso selbstverständlich, wie die Veröffentlichung von offenen Stellen auf den Internet-Seiten des Unternehmens. Dort finden Interessenten auch die Möglichkeit zur Kurzbewerbung. Rund 80 Prozent aller Präsentationen von Kandidaten landen schon als Mail auf dem Rechner von Oliver Reich, nur 20 Prozent noch in Papierform auf seinem Schreibtisch.

Das will der Personalchef durchaus noch weiter forcieren will, „um den Dialog mit dem Bewerber schneller und einfacher zu machen.“ Übrigens kommt noch ein nicht geringer Teil von Jobinteressenten durch persönliche Empfehlungen zum Dortmunder Softwarehaus. Die haben durchaus auch viel damit zu tun, dass neben einer attraktiven Stelle auch der Standort Dortmund zählt. Das rußige Image von Kohle und Stahl ist längst Vergangenheit, ist Düsenberg überzeugt. „Die Lebenshaltungskosten sind niedriger als etwa in Köln oder Düsseldorf, es gibt interessante Freizeitmöglichkeiten und es entwickelt sich eine lebendige IT-Szene.“