Marktübersicht: Quelloffene ERP-Lösungen in Java

18.03.2008 von Diego Wyllie
Das Interesse an Open-Source-Business-Lösungen ist im Mittelstand noch gering. Allerdings fasst Java als plattformunabhängige Programmiersprache im Bereich geschäftskritischer Anwendungen immer mehr Fuß und kann auch der Mittelstand von quelloffenen auf Java basierenden ERP-Lösungen profitieren.

Man muss kein Verfechter der reinen Open-Source-Lehre sein, um Geschmack an den Vorzügen quelloffener Software zu finden. Herstellerunabhängigkeit, Anpassbarkeit, Interoperabilität und unbegrenzte Nutzung sind neben Kosteneinsparung Vorteile, von denen IT-Riesen wie Google, IBM, Oracle oder Sun Microsystems längst überzeugt sind. Nicht zuletzt wegen der starken Unterstützung seitens dieser Großkonzerne und der öffentlichen Hand hat Open Source in den vergangenen Jahren deutlich an Gewicht und Reife gewonnen. Quelloffene Software wurde zudem auch in den Augen von Unternehmenskunden und Investoren zu einem ernst zu nehmenden Faktor im Markt. Aber das beste Beispiel dafür, dass Open Source eine immer wichtiger werdende Rolle spielt, ist sicherlich Microsoft. Das Unternehmen, das sich Jahre lang gegen den Open-Source-Trend stemmte, hat vor Kurzem angekündigt, selbst offener werden zu wollen.

Die Verbreitung quelloffener Basisanwendungen wie der Apache Webserver oder MySQL ist längst nicht mehr zu leugnen. Iimmerhin laufen weltweit zwei Drittel aller Websites auf Apache und es gibt wohl kaum ein Unternehmen, das den Einsatz der populären Open-Source-Datenbank nicht zumindest in Erwägung gezogen hat. Die Scheu vor Unternehmensanwendungen, deren Namen für die meisten IT-Manager immer noch exotisch klingen, nimmt mehr und mehr ab. Denn Open-Source-Lösungen präsentieren sich in letzter Zeit zunehmend auch abseits der angestammten Segmente, nämlich der Softwareentwicklung und IT-Infrastruktur. Sie sind immer häufiger als echte Alternative auch in den IT-Sektoren Enterprise Ressource Planing (ERP), Customer Relationship Management (CRM) oder Content Management Systemen (CMS) zu finden. Das US-Marktforschungsunternehmen Saugatuck Technology bestätigt diesen Trend in seiner Studie "Open Source: The Next Disruptive IT Influence" und beschreibt darin, dass in fast der Hälfte aller Kaufentscheidungen für Business-Software weltweit Open-Source-Produkte bereits eine wichtige Rolle spielen.

Java-basierende ERP-Lösungen auf dem Vormarsch

Java-Lösungen sind im ERP-Anbietermarkt stark im Kommen. Das geht aus der SoftTrend-Studie "ERP-Software 2008" der deutschen Unternehmensberatung SoftSelect hervor. Die Analysten beklagen in der ERP-Marktstudie, bei der 71 Systeme von 67 verschiedenen Herstellern untersucht wurden, längst nicht mehr eine technische Überalterung der ERP-Lösungen, sondern attestieren eine deutlich Aufbruchstimmung, die nicht zuletzt auf die technologische Neuorientierung vieler ERP-Lösungsansätze zurückzuführen ist. So sind laut SoftSelect inzwischen vermehrt Java-basierende, plattformunabhängige ERP-Systeme entwickelt worden, die sich verstärkt von spezifischen Server-Umgebungen lösen.

Dieser Artikel beleuchtet die wesentlichen Java-Perlen im Open-Source-Angebot für Geschäftsanwendungen und stellt die in diesem Bereich wichtigsten ERP-Lösungen für kleine und mittelständische Unternehmen vor. Zentrales Auswahlkriterium ist dabei die Marktreife der Lösungen, die sich im Funktionsumfang und der Anzahl der erfolgten Implementierungen sowie der weltweiten IT-Dienstleister widerspiegelt, die Beratung und Support rund um die Systeme anbieten. Mit JFire soll aber auch ein noch recht junges Java-basierendes ERP-System, das sich noch in der Beta-Phase befindet, Anerkennung finden, weil es aufgrund seiner interessanten Features in der Entwickler-Community zunehmend Aufmerksamkeit erregt.

Compiere

Compiere ist eine auf Java basierende, quelloffene ERP-Plattform mit integrierter CRM-Funktionalität und gilt mit rund 1.250.000 Downloads bei Sourceforge (Stand November 2007) als eine der führenden Open-Source-Geschäftsanwendungen für KMUs. Sie wird vom gleichnamigen Unternehmen mit Sitz in Portland, USA vertrieben, das 1999 durch den deutschen IT-Spezialisten Jörg Jahnke (ehemals Oracle und SAP) gegründet wurde. Die Compiere Inc. zählt weltweit rund 70 IT-Dienstleister in seinem Partner-Netzwerk, die für die Implementierung des Systems und die Kundenbetreuung vor Ort sorgen. Das quelloffene ERP-System beinhaltet zahlreiche Module, unter anderem für Einkauf und Verkauf, Lagerverwaltung, Finanzbuchhaltung, Business Intelligence, Marketing sowie Projekt-, Supply-Chain- und Workflow-Management. Content-Management- und E-Commerce-Funktionen, Aufgabenverfolgung und E-Mail-Integration runden das Funktionalitätsspektrum des Systems ab. Laut Hersteller ist die Lösung zudem "Global-Ready", das heißt, es kann an länderspezifische, gesetzliche Vorschriften sowie spezielle lokale Anforderungen angepasst werden.

Compiere wird mit einer so genannten Duallizenz angeboten. Der Anwender hat die Wahl zwischen der freien GPL-Version (Community Edition) und der kommerziellen Lizenz, die er im Rahmen eines Wartungsvertrages erwerben kann. Dabei wird das System als eine ASP-Lösung (Application Service Provider) in einer Standard- und einer Professional-Edition angeboten, die sich im Funktionalitäts- und Support-Umfang unterscheiden. Die beiden kostenpflichtigen Versionen sind für Unternehmen mit mindestens zehn Anwendern konzipiert. Während man für die Standard-Edition 25 US-Dollar pro User und Monat zahlt, kostet die Professional-Edition 50 US-Dollar pro User und Monat. Die Mindestvertragslaufzeit beträgt in beiden Fällen ein Jahr. Compiere-Partner in Deutschland sind zurzeit die Viventu Solutions AG aus Bremen, die Comdivision GmbH aus Münster sowie die Walter Zimmerman GmbH aus Esslingen.

Openbravo

Das ERP-System Openbravo der gleichnamigen spanischen Open-Source-Firma stellt eine Weiterentwicklung von Compiere dar. Im Wesentlichen enthält das System dieselben Module wie Compiere. Einen Unterschied zwischen den beiden Lösungen findet man bei den unterstützten Datenbanken: Während Compiere mit den Datenbanksystemen von Oracle (Express, Standard und Enterprise Edition) und dem EnterpriseDB arbeitet, unterstützt Openbravo die Oracle-Systeme sowie das freie PostgreSQL. Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Openbravo einen Web-basierenden Client bietet, während Compiere dies nur in der Professional-Edition tut.

Openbravo ist Gründungsmitglied der Open Solutions Alliance, ein unabhängiges Konsortium für die Förderung des Geschäftseinsatzes von Open Source, und etabliert sich als eine der wachstumsstärksten Open-Source-Firmen. So hat das Unternehmen im Januar 2006 fünf Millionen Euro Venture Capital von Sodena erhalten, nach eigenen Angaben des ERP-Anbieters der höchste Betrag, der bislang in ein Open-Source-ERP-Unternehmen investiert wurde. Openbravo bietet die ERP-Plattform in einer kostenfreien Community-Edition und in einer so genannten Network-Edition an, bei der sich die jährliche Kosten für fünf User auf 5000 Euro belaufen. Für jeden weiteren Nutzer sind 500 Euro im Jahr zu bezahlen. Zu den Firmen, die Dienstleistungen rund um Openbravo in Deutschland bieten, zählen die Ancud IT-Beratung GmbH aus Nürnberg und der amerikanische Open-Source-Dienstleister Corratech, der eine Niederlassung in Frankfurt betreibt.

Opensuite

Mit Opensuite stellt Corratech eine quelloffene Plattform zur Verfügung, die eine Vielzahl von Open-Source-Software und proprietären Anwendungen in laufenden Geschäftsprozessen zusammenführt und die vorhandenen Daten in größeren IT-Systemen integrieren soll. Sowohl für Anwender als auch für Administratoren soll es damit einfacher werden, mit Programmen unterschiedlicher Herkunft zu arbeiten und diese zu verwalten. Corratech beschreibt das Konzept dahinter als eine virtuelle Software-Suite, die quasi den Klebstoff für die verschiedenen Programme liefern soll.

In den meisten EAI-Projekten (Enterprise Application Integration) liefert die Software in der Regel nur die Schnittstellen, wo andere Anwendungen andocken können. Im Gegensatz dazu will Opensuite direkt als Verbindungsstelle dienen und stellt hierzu eine Middleware-Plattform zur Verfügung. Auf dieser soll sich unabhängig voneinander entwickelte Software so verhalten, als wäre sie als integrierte Suite entworfen worden. Anwender müssen sich beispielsweise nur einmal am System anmelden (Single-Sign-On) und können während der Arbeit zwischen verschiedenen Anwendungen wechseln. Die Plattform ermöglicht die Integration von Unternehmensapplikationen aus den Bereichen CRM, ERP und DMS. Sie verfolgt dabei laut Hersteller einen Service-orientierten Ansatz (SOA) und liefert einige Bausteine für Geschäftsprozesse, so genannte "Business Process Packs", die Arbeitsabläufe widerspiegeln und entsprechende Funktionalitäten bieten. Opensuite verfügt bereits über "Out-of-the-Box"-Unterstützung für das freie CentricCRM, das kommerzielle Dokumenten-Management KnowledgeTree, das bereits erwähnte ERP-System Openbravo und die freie Groupware Zimbra. Corratech verdient dabei sein Geld mit Professional Services und Support rund um das System.

Apache OFBiz

Beim Open For Business Project (OFBiz) der renommierten, ehrenamtlich arbeitenden Apache Foundation handelt es sich um ein Java-basierendes Framework zur Entwicklung von ERP-Systemen, das bereits umfangreiche Anwendungen und Workflows für komplexe Unternehmensprozesse enthält. Es basiert auf einem Unternehmensdaten-Modell, in das mehr als 100 Mann-Jahre eingeflossen sind und hat somit den Ruf, sehr leistungsfähig und flexibel zu sein. Von den Anwendungskomponenten des Systems ist das E-Commerce-Modul direkt im B-to-C-Geschäft einsetzbar, darüber hinaus sind aber auch viele weitere Komponenten enthalten. Dazu gehören unter anderem Module für Warenwirtschaft, Adressverwaltung, Finanzbuchhaltung, CRM, Projektmanagement und Marketing-Kampagnen. Mehrsprachiges und paralleles Katalog- und Store-Management ist zudem ebenso möglich wie Lastverteilung und Ausfallsicherheit über mehrere Server.

Die flexible Service-orientierte J2EE-Architektur von OFBiz gewährleistet die Erweiterbarkeit um neue Funktionalitäten sowie die einfache Anbindung vorhandener Systeme. Das Framework unterstützt alle gängigen Datenbanken wie zum Beispiel MySQL, PostgreSQL, Oracle, Sybase sowie den Microsoft SQL Server. Eine Liste der Firmen, die Dienstleistungen rund um OFBiz hierzulande bieten, findet sich auf der deutschen Website des Projekts.

JFire

Das von dem deutschen Softwarehaus Nightlabs GmbH aus Freiburg entwickeltes ERP-System JFire befindet sich zwar noch in der zweiten Beta-Phase, bietet aber bereits zahlreiche Module, unter anderem für Benutzer- und Rechteverwaltung, Fakturierung, Lagerverwaltung, den direkten Online-Handel mit anderen Firmen oder auch Endkunden (via Webshop) sowie einen Editor für 2D-Graphiken. Auch ein Reporting-Modul auf Basis von Birt (Business Intelligence and Reporting Tools) steht zur Verfügung, das sowohl die Darstellung als auch das Bearbeiten von Berichten und anderen Dokumenten wie Rechnungen erlaubt.

Obwohl es das Hauptziel des Projekts ist, als robustes und flexibles Framework eine einfache Gestaltung branchenspezifischer Anwendungen zu ermöglichen, eignen sich die implementierten generischen Module für den sofortigen Einsatz in KMUs. Das System wurde vollständig in Java geschrieben und basiert auf den Technologien J2EE, JDO (Java Data Objects) und Eclipse RCP. (Rich Client Plattform). Durch die Benutzung von JDO als Persistenz-Layer ist JFire unabhängig vom verwendeten Datenbanksystem und erspart Entwicklern das fehleranfällige Schreiben von SQL. Dadurch sind zudem auch andere Datenbanktypen (zum Beispiel Objektdatenbanken) möglich. Bei dieser Lösung bleibt allerdings abzuwarten, wie die Kundenakzeptanz ab dem ersten Hauptrelease aussieht.