Maßgeschneiderte SAP-Agrar-Lösung

Marktgeschehen erfordert detaillierte Analysen

26.11.2009 von Jan Schulze
Der Agrarhändler Hauptgenossenschaft Nord AG ersetzt sein selbst entwickeltes Warenwirtschaftssystem durch SAP und konsolidiert so seine Anwendungslandschaft.

Die Hauptgenossenschaft Nord AG (HaGe) mit Sitz in Kiel ist ein vielseitig aufgestelltes Unternehmen mit genossenschaftlichem Ursprung. Als eines der größten Agrarhandelsunternehmen Norddeutschlands erwirtschaftet die HaGe 2008 konzernweit einen Umsatz von über 2,25 Milliarden Euro. Für sechs unterschiedlich strukturierte Vertriebsregionen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sowie dem Zentralstandort in Kiel galt es, das eigenentwickelte Warenwirtschaftssystem bis 2010 durch eine einheitliche SAP-Lösung abzulösen. Das Ziel dabei war, die Applikations- und Systemlandschaft zu konsolidieren und ein möglichst standardnahes SAP zu implementieren. "Wir wollen unsere Geschäftsprozesse transparenter gestalten und redundante Datenhaltung vermeiden" so Heino Togert, Leiter des Fachdienstes IT der HaGe . "Die Herausforderung für uns bestand also darin, für die spezifische Problemstellungen des Agrarhandels, wie die Getreideabwicklung oder die Saatenproduktion, eine maßgeschneiderte Lösung mit minimalen Modifikationen zu finden."

Branchen-Know-how gefragt

Die Wahl eines geeigneten IT-Partners legte den Grundstein zur Vorbereitung und Realisierung einer erfolgreichen SAP-Einführung. Dabei standen zunächst umfassendes SAP-Know-how sowie Branchenkenntnisse des facettenreichen Agrarhandels im Vordergrund. In Kombination mit straffen Zeit- und Kostenvorgaben waren die Rahmenbedingungen für die Entscheidung eines externen Partnerunternehmens eng gefasst. Langjährige Kooperationen mit vergleichbaren Unternehmen der Branche und die Erfahrung mit der Implementierung von SAP im Agrarhandel mit seinen spezifischen Handels- und auch Produktionsprozessen sprachen für Atos Origin. Außerdem konnte der IT-Dienstleister durch die systematische Einplanung von Offshore-Kapazitäten ein budget- und termingerechtes Angebot vorlegen.

Das gesamte Projekt besteht aus drei einzelnen, sich teilweise überlagernden Arbeitsschritten. Vor der Implementierung der Warenwirtschaft mussten die Teams zuerst ein bereits bestehendes Sollkonzept verifizieren und die vorhandenen SAP FI/CO- und HR-Systeme auf Release ECC 6.0 aktualisieren. Diese Schritte wurden im Zeitraum von April bis November 2008 erfolgreich beendet. Das im August 2008 gestartete Hauptprojekt zur Einführung in der Warenwirtschaft gliedert sich in eine Pilotphase bis zur Übernahme in den produktiven Betrieb für die erste Vertriebsregion und die Zentrale in Kiel im Oktober 2009 sowie sich anschließende funktionale und regionale Rollouts bis zum April 2010. Als ersten wichtigen Meilenstein der Pilotphase wurde bereits zum Geschäftsjahreswechsel im Januar 2009 die Kontierung der aus den Altsystemen stammenden Daten anhand eines zentral in SAP geführten Materialstamms auf die spätere SAP-Logik umgestellt und entsprechende Berichtsstrukturen etabliert.

Nach dem erfolgreichen Go Live des Piloten Anfang Oktober sind gegenwärtig die Vorbereitungen für die regionalen Rollouts in vollem Gange. Diese Phase soll mit dem Go Live der letzten Vertriebsregion und der Anbindung zusätzlicher Futtermittelwerke, Saatgutaufbereitungsanlagen und einem Silostandort in Rostock bis April 2010 abgeschlossen werden.

Anpassungen notwendig

Die Geschäftsprozesse der HaGe werden von SAP im Standard allerdings nicht ausreichend abgedeckt. "Die Agrarwirtschaft verfügt über höchst komplexe Lieferketten und Einkaufs- und Verkaufsprozesse, die mit Hilfe der IT abgebildet werden müssen", sagt Heino Müller, Projektleiter der HaGe. Volatile Agrarmärkte erfordern insbesondere im Handelsgeschäft umfangreiche und detaillierte Analysemöglichkeiten, um kurzfristig den Erfolg von langfristigem und damit risikoreichem Handeln feststellen und analysieren zu können.

Den Handelsabteilungen der HaGe für die Produktbereiche Getreide, Dünger und Futtermittel bietet sich mit dem Business Intelligence (BI) ein umfangreiches Auswertungstool von SAP. Beispielsweise kann produktspezifisch das so genannte Warenengagement ermittelt werden. Dabei werden für den Zeitraum eines Monats eingekaufte Mengen zuzüglich bestehender Lagerbestände den bereits verkauften Mengen gegenübergestellt und saldiert. Hiermit ist auf schnellem Wege die Long- und Shortposition für ein Produkt oder eine Warengruppe zu eruieren. Hervorzuheben ist, dass nicht nur eine mengenmäßige sondern auch eine ergebnisorientierte Darstellung möglich ist. Einzeldaten aus unterschiedlichen Einkaufs- und Verkaufsbedingungen werden auf eine einheitliche Basis verrechnet, so dass einer belastbaren Datenzusammenführung Rechnung getragen wird.

Vorübergehender Parallelbetrieb

Aufgrund der schrittweisen Angliederung der Vertriebsregionen an SAP bis April 2010 finden derzeit im Unternehmen zwei Warenwirtschaftssysteme parallel Anwendung. Der Integration von Daten aus SAP und dem auslaufenden Warenwirtschaftssystem im BI kommt daher eine spezielle Bedeutung zu und erhöht die Auswertungsqualität. Anwenderfreundlich zeigt sich das BI insofern, als dass das produktive ERP-System durch die Datenverarbeitung nicht in seiner Kapazität beeinträchtigt wird. Das BI ist zwar ein Bestandteil des Standard-SAP, jedoch waren einige Anpassungen notwendig, um den Zwecken eines Agrarhandelsunternehmens erfolgreich gerecht zu werden. Eine andere Erweiterung der Standardlösung ist das eigenentwickelte Hofportal für den Wareneingang und -ausgang von Massengütern wie beispielsweise Getreide. Die Landwirte können ihre Ernte bei der HaGe anliefern, ohne vorab zu entscheiden, ob sie nur einlagern oder an die HaGe verkaufen möchten. Somit müssen zahlreiche Fremdbestände geführt werden, ohne dass diese jedoch physisch getrennt gelagert werden können.

Für die entsprechenden Ab- und Verrechnungen muss die Menge und vor allem die Qualität des Getreides bestimmt, gespeichert und verarbeitet werden. Auf der anderen Seite holen die Landwirte sowohl eingelagertes Getreide aber auch Pflanzenschutzmittel oder Dünger basierend auf diversen Angeboten, Kontrakten und Aufträgen je nach Witterung spontan bei der HaGe ab. Der klassische SAP-Belegfluss versagt bei so viel Flexibilität. Die komplexen Buchungsvorgänge zur Abbildung solcher Prozesse konnten mit speziellen Entwicklungen auf Basis von SAP weitgehend automatisiert werden.

Zweifel an der Einhaltung des engen Zeitrahmens

Die ersten beiden Schritte, Verifizierung und Upgrade, sind erfolgreich abgeschlossen. Stand Oktober 2009: die neue Warenwirtschaft ist in der Zentrale in Kiel sowie einer Pilot-Region seit Anfang Oktober implementiert, damit sind bereits 200 Anwender aktiv. 2010 wird die SAP-Lösung nach 18 Monaten mit zirka 700 Benutzern flächendeckend an über 100 Standorten im Einsatz sein. "Zwischenzeitlich kamen schon Zweifel auf, ob wir den engen Zeitrahmen einhalten können, aber wir sind zuversichtlich, dass wir dieses Projekt planmäßig mit dem letzten regionalen Go-Live im April 2010 abschließen werden", sagt Heino Togert von der HaGe. "Schon jetzt können wir sagen, dass es sich wohl um die schnellste SAP-Implementierung bei einer Hauptgenossenschaft handelt."