Europäische Unternehmen bleiben skeptisch - trotz eigener Projekte

Manager widerstehen dem Lockruf des E-Commerce

24.09.1999
MÜNCHEN (wt) - Das Internet-Fieber hat auf europäische Firmenlenker noch nicht übergegriffen. Trotz blumiger Prognosen und mahnender Worte bleibt der Web-Auftritt vieler Unternehmen nicht mehr als ein Alibi. Viele der Verantwortlichen mißtrauen Online-Transaktionen und wollen möglichst wenig Geld ausgeben.

Zum Start der neuen Abteilung "Internet Strategies Europe" hat das Beratungsunternehmen The Yankee Group die Einstellung europäischer Unternehmen zum elektronischen Handel abgeklopft. Befragt wurden von Mai bis Juli dieses Jahres Entscheider von 400 Unternehmen aus 15 Ländern. Dabei wurden nur Firmen auf die Liste gesetzt, die bereits einen eigenen Online-Auftritt besitzen. Das könnte auf einen mehr oder weniger strategischen Stellenwert des Internet für die Entwicklung der Geschäftsstrategie schließen lassen. Doch weit gefehlt.

Ganze 37 Prozent der befragten Manager bezeichneten das Web als wichtig oder sehr wichtig für die Unternehmensstrategie - in den USA waren es 58 Prozent. Mehr als zwei Drittel der Europäer sagten, das Internet sei kaum oder gar nicht relevant für ihr Geschäft. Wohlgemerkt: Alle hatten bereits Erfahrungen mit einer Online-Präsenz. Ein Drittel verfügt seit mehr als zwei Jahren über eine eigene Website, 30 Prozent immerhin seit ein bis zwei Jahren. Doch auch diesem Web-Schaufenster wird meist wenig Liebe entgegengebracht.

Die meisten Unternehmen nutzen das Internet in erster Linie als Marketing-Instrument, zur Markenbildung oder um Informationen über Kunden zu sammeln. Kostensenkungen oder eine Ausweitung des Kerngeschäfts landeten abgeschlagen auf den hinteren Plätzen der Bewertungsskala. Doch selbst reine Informationsangebote werden oft stiefmütterlich behandelt. 45 Prozent aller Websites werden beispielsweise nur einmal im Monat oder unregelmäßig aufgefrischt. Auch die Investitionsbereitschaft in den Web-Auftritt hält sich in Grenzen. Im Schnitt gaben die befragten Firmen 1000 Dollar pro Monat für ihre Web-Aktivitäten aus, während die Amerikaner durchschnittlich fünfmal soviel investieren. Was die Sachlage nicht gerade verbessert: 60 Prozent der Verantwortlichen wußten nicht einmal, wieviel Geld in ihre Websites fließt.

Legt man die Einschätzung der Yankee Group zugrunde, wonach eine ausgereifte E-Commerce-Site ohne Personalkosten mit mindestens 10000 Dollar monatlich zu Buche schlägt, so ist das Verhältnis vieler europäischer Website-Betreiber weniger eine Verpflichtung auf ein ernsthaftes Internet-Engagement als eine bloße Geste. Immerhin sehen 24 Prozent der Manager im kommenden Jahr eine Ausgabensteigerung um 50 Prozent voraus. Die Skeptiker sind allerdings noch in der Mehrheit: 37 Prozent glauben, daß ihr Unternehmen nächstes Jahr höchstens genausoviel oder eher weniger für das Internet ausgeben wird.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß nur wenige Websites Surfer in Scharen anlocken können. Über die Hälfte der Befragten mußte sich mit weniger als 1000 Besuchern im Monat bescheiden. 41 Prozent konnte nicht einmal sagen, wie viele Menschen ihr Angebot erreicht. Sieht es schon mit dem einfachen Web-Auftritt nicht gerade rosig aus, so zeichnen die Yankee-Analysten beim elektronischen Handel ein noch düstereres Bild.

Fast die Hälfte der befragten Unternehmen hat keinerlei Pläne für Online-Transaktionen, durch die Electronic Commerce erst möglich wird. Es gibt allerdings auch einen Hoffnungsschimmer. Die meisten Manager glauben, daß die Bedeutung des Web für ihre Geschäfte kurzfristig zunehmen wird. Viele haben inzwischen Personal speziell für das Internet-Engagement abgestellt, und der elektronische Handel rückt immer mehr in den Fokus von Marketing und Geschäftsentwicklung.

Neben dieser Neuausrichtung im Management hätten die Europäer auch verstanden, daß Personalisierung eine Kernvoraussetzung für erfolgreiche Web-Geschäfte sei, so die Yankee Group. Dennoch sei die Gefahr groß, daß vor allem amerikanische Unternehmen mit mehr Erfahrung und einer klareren Position gegenüber dem Internet den Europäern auch auf den eigenen Märkten den Rang abliefen. Prominentes Beispiel ist der Buchhandel: Der Medienriese Bertelsmann tut sich mit dem Netzservice BOL trotz gewaltiger Investitionen außerordentlich schwer gegen das lokalisierte Angebot von Amazon.de.

Freilich gibt Europa kein einheitliches Bild ab. Die sogenannte Internet-Durchdringung, also der Anteil der Menschen an der Bevölkerung mit Zugang zum Internet, reicht von drei Prozent in Irland bis 23 Prozent in Finnland. Die Yankee-Analysten haben herausgefunden, daß die befragten Manager den elektronischen Handel für um so wichtiger halten, je höher in ihrem Land die Internet-Durchdringung steigt. Salopp gesagt: je mehr Surfer, desto mehr Engagement. Betrachtet man das Internet jedoch als globalen Markt, ist diese vielleicht unbewußte Verbindung eher fatal - zumal die europäische Politik auf dem besten Wege ist, in naher Zukunft zu einem annähernd stringenten regulatorischen Rahmenwerk zu kommen (mehr dazu in der kommenden Ausgabe).

Die Yankee Group zeigt in ihrer Untersuchung, daß die Mehrheit der europäischen Firmen noch nicht reif ist für den elektronischen Handel. Allerdings ist die Studie ihrerseits nicht frei von Schwächen. So wurden beispielsweise Unternehmen aller Größen (ab 100 Mitarbeitern) befragt und die Ergebnisse anschließend in einen Topf geworfen. Für viele kleine Firmen hat aber ein kostspieliges Online-Engagement möglicherweise überhaupt keinen Sinn. Zudem wurde sowohl im Hinblick auf Business-to-Business- als auch Business-to-Consumer-E-Commerce gefragt. Hätten die Analysten nach Betriebsgröße und Internet-Fokus unterschieden, ergäbe sich wahrscheinlich ein differenzierteres Bild. Die Kollegen von Andersen Consulting bescheinigen den europäischen Unternehmen jedenfalls große Anstrengungen, um den Anschluß an die USA nicht zu verpassen. Sie sehen Wettbewerbsvorteile der Europäer vor allem beim mobilen Internet-Zugang.