E-Mails fehlt Tiefe

Manager müssen Offline-Zeiten einplanen

03.09.2012 von Andrea König
Die Effektivität eines Managers hängt nicht nur davon ab, E-Mail und andere elektronische Kommunikationskanäle zu beherrschen sondern sie auch mal abschalten zu können.

Wann haben sie zum letzten Mal den Laptop und alle mobilen Geräte ausgeschaltet? Am Wochenende? Im Urlaub? Oder vielleicht sogar im Büro? Mit dieser Frage beginnen Henry Mintzberg und Peter Todd ihren Beitrag für das Booz-Magazin "strategy+business". Die beiden sind Wissenschaftler an der McGill Universität im kanadischen Montreal. Blackberrys, iPhones, Android-Smartphones und all die anderen verfügbaren mobilen Geräte - so die These der Autoren - verändern unser Leben zum Guten und zum Schlechten.

Sich in Ruhe auf ein Dokument zu konzentrieren ohne das Smartphone neben sich zu haben, ist heute in vielen Unternehmen nur schwer möglich.
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Sie wandeln, wie, wann und wo wir unsere Arbeit erledigen. Diese Entwicklung hat großen Einfluss auf die Arbeit von Managern. Denn sie verbringen etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit damit, Informationen zu sammeln und wieder zu verteilen. Gerade die neuen Technologien haben dieser Informationsaufnahme einen ordentlichen Geschwindigkeitsschub verliehen. Manager können sich nun ortsunabhängig informieren und auch kurze Pausen zwischen Terminen nutzen, um zum Beispiel E-Mails zu lesen. Doch die Booz-Experten warnen: Zu sehr sollte man sich als Manager nicht an seinem Smartphone orientieren.

Tut man das, läuft man nämlich Gefahr all die Informationen zu übersehen, die einem durch Gesten oder den Tonfall des Gegenübers vermittelt werden. Sieht und hört man die Menschen nicht mehr, fehlen diese Informationen. Auch der Vertrauensaufbau würde nach Meinung von Mintzberg und Todd leiden, wenn nur über elektronische Kommunikationskanäle kommuniziert wird. Die Kommunikation über E-Mail, SMS oder Chat kann die Möglichkeiten erweitern, doch sie sollte keinesfalls persönliche Interaktion ersetzen.

36 Minuten....
....entfallen täglich auf die Suche nach relevanten Informationen.
67 Minuten kommunizieren Büroarbeiter....
...mit ihren Kollegen außerhalb von Meetings.
Pro Tag haben Büroarbeiter....
...ein Meeting.
Auch jeder dritte Anhang...
...bleibt ungelesen.
Jede fünfte E-Mail....
...öffnen sie nicht.
14 Prozent der Büroarbeiter arbeiten länger,...
...um ihr Pensum zu schaffen.
An einem durchschnittlichen Arbeitstag....
...erhalten Büroarbeiter 37 geschäftliche E-Mails.

Gehen Manager davon aus, dass sie ihre Teams auch vom PC aus steuern könnten, ist das ein fataler Irrglaube. Sie müssen in die Büros ihrer Mitarbeiter und auch ins Flugzeug, wenn die Angestellten nicht am gleichen Standort arbeiten wie sie. Die Autoren warnen: Kontakten, die man nur online pflegt, fehlt häufig die notwendige Tiefe. Und auch soziale Netzwerke wie Facebook oder Linkedin können Interaktionen nur ergänzen aber nie den für Manager so bedeutsamen persönlichen Kontakt ersetzen. Man erfahre zwar die notwendigen Informationen, doch nicht die mitschwingende Bedeutung, schreiben Mintzberg und Todd.

Die Wissenschaftler fürchten darüber hinaus, dass die elektronische Kommunikation oft schuld an einer Hektik ist, aus der heraus Manager dann unverhältnismäßig reagieren. Wird Sonntagabend per E-Mail ein Meeting für Montagfrüh anberaumt oder nach nur einer Stunde nachgefragt, warum eine E-Mail noch nicht beantwortet wurde, stört das nicht nur die Work-Life-Balance der Betroffenen sondern nimmt ihnen auch jede Möglichkeit, sich auf andere Aufgaben zu fokussieren. Wer sich verpflichtet fühlt, neue E-Mails sofort zu lesen und zu bearbeiten, wird ständig bei dem unterbrochen, was er eigentlich gerade tut. Konzentrieren Manager sich zu stark auf all die elektronischen Nachrichten, fällt es schwer, den Blick für das Ganze zu bewahren.

E-Mails mit mehr Substanz nutzen

Wer die Kontrolle über die elektronischen Kommunikationskanäle bereits verloren hat, kann sie zurückgewinnen. Um zu ermitteln, wie fremdbestimmt man bereits über E-Mail und Co. kommuniziert, sollte man einmal nachzählen, wie viele E-Mails und SMS man innerhalb einer Woche erhält und wie viele dieser Nachrichten eine Reaktion erfordern. Dann überprüft man im Postausgang, wie viele der versendeten Nachrichten man selbst initiiert hat und bei wie vielen man nur reagiert hat. Einer der beiden Autoren hat diesen Test in der Neujahrswoche durchgeführt und dabei ausgerechnet, dass er etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit damit verbracht hat, E-Mails zu bearbeiten. Die Autoren geben die folgenden Tipps, um elektronische Kommunikationskanäle zukünftig mit mehr Substanz und selbstbestimmter zu nutzen:

  1. Volumen reduzieren: Je mehr Menschen man zum Beispiel in einen E-Mail-Verteiler aufnimmt, mit umso mehr Antworten muss man dann auch rechnen. Deshalb sollte man Nachrichten immer erst dann verschicken, wenn man wirklich etwas zu sagen hat und die Adressaten kennt.

  2. E-Mail-Tools nutzen: E-Mail-Programme bieten nützliche Features wie Filter und das Aufstellen von Regeln an, um das hohe Informationsaufkommen zu organisieren. Automatisierte Nachrichten wie der Abwesenheitsassistent helfen dabei, andere zügig und ohne Mehraufwand zu informieren.

  3. Offline-Zeiten einplanen: Um nicht zu sehr an die Inbox gebunden zu sein, sollte man regelmäßig auch Offline-Zeiten einplanen. Dannah Boyd von Microsoft legt beispielsweise regelmäßig ein zweiwöchiges E-Mail-Sabbatical ein, so die Autoren. Wem das zu weit geht, der könnte zum Beispiel regelmäßig mehrstündige Offline-Zeiten in seinem Kalender einplanen. Damit in dieser Zeit niemand vergeblich auf eine Antwort wartet, kann man das Kontakten in einer Abwesenheitsmeldung mitteilen und dort ankündigen, dass sich die Antwort verzögert.

  4. Offline-Zeit für alle Mitarbeiter einplanen: Es gebe Unternehmen, schreiben Mintzberg und Todd, die bestimmte Feiertage und Ferienzeiten bereits zu E-Mail-freien Zeiten erklären. Andere Arbeitgeber gehen noch weiter. So hat IT-Dienstleister Atos bereits mehrfach öffentlichkeitswirksam angekündigt, innerhalb des Unternehmens den Einsatz von E-Mails abschaffen zu wollen.

  5. Der E-Mail-Bankrott: Eine radikalere Maßnahme wäre der E-Mail-Bankrott, bei dem man alle unbeantworteten älteren E-Mails löscht und sich einfach eine neue Adresse zulegt. Wer sich vorher von den elektronischen Nachrichten überrannt gefühlt hat, kann nun einen Neustart beginnen, dabei sein Mail-Verhalten genau beobachten und Kontakte abbrechen, die man zukünftig nicht weiterpflegen möchte.

  6. Abschalten: Man sollte nie vergessen, dass man eine Wahl hat: Jedes dieser elektronischen Geräte lässt sich ausschalten! Die Autoren berichten, dass in Führungskräfte-Trainings Teilnehmer daran erinnert werden, innezuhalten und einen Schritt zu reflektieren. Doch so etwas passiere nicht automatisch, man müsse es zum festen Bestandteil seiner Management-Routine machen.

So gelingt Work-Life-Balance
Robert Laube, Director und Service Line Lead Business Intelligence für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, drei Kinder:
"Ich habe E-Mails von meinem Mobiltelefon verbannt. Auch nehme ich mir, wann immer möglich, die Zeit, morgens mit meinen Kindern zu frühstücken und sie in die Schule und den Kindergarten zu bringen."
Yasmine Limberger, Group Manager Personalmarketing für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Ich will vor allem das Gefühl haben, dass es meiner Tochter gut geht, ich aber auch als Teilzeitführungskraft einen guten Job mache. Außerdem benötige ich auch ein wenig Luft für persönliche Dinge. Das bedarf einer exakten Terminplanung. Man darf Dinge nicht liegenlassen, sondern muss seine Prioritäten zeitnah abarbeiten und immer alles im Blick behalten."
Petra Kaltenbach-Martin, Service Line Lead Dynamics CRM für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Es ist schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Bisher klappt es aber mit viel Organisation. Beispielweise nutze ich die Schlafzeiten meines Kindes, um Dinge abzuarbeiten. Zudem muss man viel Energie und Motivation für Kind und Beruf mitbringen. Dennoch ist es schön, beide Welten zu verbinden."
Hans-Peter Lichtin, Country Director Avanade Schweiz, zwei Kinder:
"Die gemeinsame Zeit mit meiner Familie versuche ich so bewusst wie möglich zu nutzen. Es gibt Tage, da kann ich durchaus mit meiner Familie frühstücken und auch zu Abend essen. Das Wochenende verbringe ich mit meiner Familie."
Dominik Steiner, Business Development Executive Avanade Schweiz, Zwillinge:
"Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, dass man lernt, sich persönlich abzugrenzen und sich Freiräume schafft oder auch spontane Freiräume mal für sich nutzt. Ich versuche von Zeit zu Zeit früh nach Hause zu gehen und so den Abend mit der Familie zu genießen und arbeite dann liegen gebliebene Arbeit am Abend nach - etwa wenn meine Kinder im Bett sind. Oder ich frühstücke mit den Kindern und bringe sie dann in die Tagesstätte. An einem solchen Tag beginne ich dann eben eine Stunde später zu arbeiten."
Eva Steiger-Duerig, HR & Recruiting Consultant bei Avanade, zwei Kinder:
"Wir haben die Kinderbetreuung sehr gut organisiert. Zudem habe ich das Glück, dass die Stadt Zürich ein gutes Kinderbetreuungsangebot hat und mein Mann sich auch an der Kinderbetreuung mitbeteiligt. Dennoch ist das Betreuungsangebot in Zürich auch mit sehr hohen Kosten verbunden."
Carmen Egelhaaf, Senior Marketing Specialist Avanade, ein Kind:
"Abends schreibe ich mir eine Checkliste, was privat am nächsten Tag alles organisiert und erledigt werden will: Lebensmittel einkaufen, aufräumen, Hemden und Blusen zur Reinigung bringen, Geburtstagskarte an Tante Irmgard schreiben, Geschenk für das Patenkind besorgen etc., damit ich nach der Arbeit gleich durchstarten kann. Unsere Putzfrau trägt viel dazu bei, dass ich von einigen Haushaltsaufgaben entlastet bin und möglichst viel Zeit mit meinem Sohn verbringen kann. Und ein Netzwerk von Freunden (da keine Oma in der Nähe) hilft aus, wenn mein Sohn krank ist oder Kindergartenferien zu überbrücken sind."
Andrea Cebulsky, Director Legal Europe Avanade, zwei Kinder:
"Sicherlich ist auch das Reisen manchmal eine Herausforderung - ich bin fast immer mindestens ein- bis zweimal die Woche unterwegs. Ein-Tages-Reisen sind noch zu managen. Problematischer wird es, wenn man für ein paar Tage weg muss, dann muss auch mal die Oma mithelfen. Da ist es dann wichtig, dass man frühzeitig planen kann, insbesondere weil mein Mann die Woche auch unterwegs ist. Der Terminkalenderabgleich mit vier Familienmitgliedern ist manchmal eine Herausforderung für sich."

Keine dieser Maßnahmen ist einfach einzuführen, denn oft stellen sie sich dem entgegen, was sich in Unternehmen als Normalzustand etabliert hat. Sei es ausgesprochen oder unausgesprochen - in vielen Firmen wird davon ausgegangen, dass man ständig erreichbar ist. Doch man hat die Wahl, ob man Technologien sinnvoll einsetzen möchte oder sich von ihr beherrschen lässt. Eine Ausschalttaste gibt es immer.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.de. (mhr)