Was passiert mit der Top-Führungsebene?

Management-Qualität bei Fusionen

25.04.2012 von Renate Oettinger
Was auf der obersten Hierarchieebene zu beachten ist, damit eine Unternehmensübernahme erfolgreich verläuft, beschreibt Dr. Georg Kraus.
Bei Fusionen gilt: aus zwei mach eins. Und wie geht das auf der Führungsebene?
Foto: Air0ne - Fotolia.com


Wie erfolgreich eine Unternehmensübernahme verläuft, hängt auch von der Qualität des Managements des erworbenen Unternehmens ab. Trotzdem wird im Vorfeld von Mergers & Acquisitions kaum geprüft: Sind mit dem vorhandenen Management die Übernahmeziele erreichbar? Teils weil die Bedeutung des Faktors Mensch unterschätzt wird, teils weil die erforderlichen Infos im Vorfeld von Akquisitionen nur schwer zu erlangen sind.

Ein Konzern möchte einen Mitbewerber übernehmen. Eine Private-Equity-Gesellschaft plant, Anteile an einem Unternehmen zu erwerben oder ein Management-Buy-out zu finanzieren. Wenn Unternehmen einen solchen "Big Deal" erwägen, dann bilden sie meist ein Projektteam zwecks Vorbereitung des möglichen Invests. Sie engagieren zudem Heerscharen von Beratern, die im Rahmen einer sogenannten Due-Diligence-Prüfung ermitteln: Was spricht für, was gegen den Kauf?

Untersucht wird bei dieser Prüfung unter anderem: Wie ist die Marktposition des Übernahmekandidaten? Welche Marktchancen hat er aufgrund seines Produktportfolios und Know-hows? Wie ist seine Finanzsituation? Welche rechtlichen Aspekte wären bei einer Akquisition zu bedenken? Welche strategischen Vorteile und Synergieeffekte ergäben sich hieraus? Kurz: Ermittelt wird sozusagen alles, was für oder gegen eine Übernahme spricht, um letztlich zur Entscheidung zu gelangen:

- "Das machen wir" oder "... nicht". Und:

- "So viel sind wir bereit, für das Übernahmeobjekt zu bezahlen."

Eine geringe Rolle spielt bei der Due-Diligence-Prüfung meist die Qualität des Managements des Übernahmekandidaten und dessen (Führungs-)Kultur. Dabei sind diese Faktoren für den Erfolg von Firmenübernahmen von Bedeutung. Denn vom künftigen Management hängt es weitgehend ab, inwieweit der Investor seine Übernahmeziele erreicht. Also sollten Investoren vor einer Akquisitionsentscheidung prüfen,

- ob sie mit dem vorhandenen Managementteam ihre Ziele erreichen können oder

- ob hierfür strukturelle und personelle Veränderungen nötig sind.

Übernahme schafft neue Rahmenbedingungen

Das tun viele Investoren nicht ausreichend. Das zeigt sich unter anderem darin, dass bei vielen Firmenkäufen die gravierendsten personellen Veränderungen nicht unmittelbar nach der Übernahme erfolgen. Oft fängt das Personalkarussell sich erst nach ein, zwei Jahren so richtig an zu drehen. Das heißt: Die neuen Eigner vertrauen zunächst weitgehend auf das alte Management. Und erst nach einiger Zeit stellen sie fest: Dieses erfüllt unsere Erwartungen nicht. Oder die Top-Executives des übernommenen Unternehmens denken zunächst: "Viel wird sich unter den neuen Herren nicht än-dern." Doch noch einiger Zeit merken sie: "Unter den neuen Rahmenbedingungen will und kann ich nicht arbeiten." Also ergreifen sie die Flucht.

Letzteres passiert oft. Denn bei den meisten Übernahmen ändern sich die Rahmenbedingungen des Handelns für das Management stark. Denn mit ihnen sind in der Regel neue strategische Zielsetzungen verbunden, und hieraus resultieren neue Anforderungen an das Management. Dies sei an zwei Beispielen illustriert.

Beispiel 1:
Angenommen ein Elektronikkonzern erwirbt die Mehrheitsanteile an einem noch jungen Start-up - zum Beispiel, weil dieser im Bereich Social-Media eine Problemlösung entwickelt hat, von der sich der Konzern einen Innovationsschub für seine Produkte verspricht. Dann verändert sich für den bisherigen Vorstand des Start-up die Arbeitssituation radikal. Plötzlich hat er nicht mehr das alleinige Sagen. Er ist vielmehr in die Entscheidungs- und Reportingstrukturen eines Konzerns eingebunden. Zudem wächst aufgrund des frischen Kapitals die ehemalige "Garagen-Firma" plötzlich rasch. Also muss das Unternehmen neu strukturiert und anders geführt werden, weshalb auch dessen Führungscrew andere Fähigkeiten braucht. Geschieht dies, haben die ehemaligen Firmengründer oft schnell das Gefühl: "Das ist nicht mehr meine Firma, hier fühle ich mich nicht mehr wohl" - auch weil sie von ihren neuen Managementaufgaben überfordert sind.

Beispiel 2:
Ein Unternehmen erwirbt einen Mitbewerber mit langer Firmentradition - primär weil es sich von der Übernahme den Zugang zu neuen Märkten verspricht. Auch dann verändert sich die Arbeitssituation des Top-Managements radikal. Denn plötzlich ist das ehemals stolze eigenständige Unternehmen nur noch eine Art Vertriebsorganisation, die ihr Handeln an den Zielvorgaben der neuen Eigner orientieren muss. Eine Situation, die von den Top-Executives des akquirierten Unternehmens ein neues Selbstverständnis und verändertes Managementhandeln erfordert, weshalb bei solchen Übernahmen personelle Veränderungen meist unumgänglich sind.

Ein Ausbluten der Organisation verhindern

Bei Firmenübernahmen machen sich die neuen Eigner im Vorfeld oft wenig Gedanken darüber, was daraus für das Management des akquirierten Unternehmens folgt. Anders ist dies bei dessen Top-Executives. Bei ihnen beginnt, sobald die mögliche Übernahme publik wird, das Gedankenkarussell zu kreisen: Was bedeutet die mögliche Übernahme für mein Unternehmen? Und damit unlösbar verbunden ist die persönliche Frage: Was heißt das für meine berufliche Zukunft? Verliere ich meinen Job? Und wenn nein, wie sieht dann künftig mein Stellenprofil aus? Welche Entscheidungs- und Gestaltungsmacht habe ich noch? Und welche Karrierechancen habe ich unter den neuen "Herren"?

Entsprechend schnell sind in solchen Phasen der Ungewissheit die Leistungs- und Know-how-Träger zu einem Arbeitgeberwechsel bereit. Das wissen auch die Mitbewerber. Also buhlen sie verstärkt um die Personen, die bei dem Übernahme-Kandidaten Schlüsselpositionen innehaben - zum Beispiel, weil sie sich von deren Know-how oder Kontakten einen Gewinn versprechen. Auch deshalb sollten Organisationen, die ein anderes Unternehmen erwerben möchten, im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung analysieren: Welche Fähigkeiten brauchen wir zum Erreichen der Ziele unseres Invests? Denn nur dann können sie rasch die für den Erfolg der Übernahme wichtigen Führungskräfte, aber auch Spezialisten und Teams identifizieren und an diese das Signal senden "Wir brauchen euch".

Kernfrage: Welchem Ziel dient die Akquisition?

Doch wie sollte ein Unternehmen bei einer Leadership-Due-Diligence-Prüfung vorgehen? Zunächst muss es klar definieren: Was wollen wir mit der Übernahme erreichen? Die Antwort kann zum Beispiel lauten:

- Wir wollen uns Zugang zu Know-how verschaffen, das unserer Organisation fehlt. Oder:

- Wir wollen uns neue Kundengruppen und Marktsegmente erschließen. Oder:

- Wir wollen durch die Übernahme Skaleneffekte erzielen und unsere Lohnstückkosten senken.

Das Akquise-Ziel exakt zu definieren, ist unter anderem wichtig, weil sich hieraus zum Teil die Antworten auf folgende Fragen ergeben:

- Welche Bereiche im Unternehmen und welche der dort vorhandenen Kompetenzen sind für den Erfolg der Akquisition unabdingbar? Und:

- Welche Struktur und Kultur muss die übernommene Organisation künftig haben, damit wir unsere Ziele erreichen?

Die Antworten auf diese Fragen wirken sich wiederum auf die Personalentscheidungen aus. Erneut zwei Beispiele. Angenommen ein Unternehmen erwirbt ein anderes vor allem, weil dieses in der Produktentwicklung deutlich innovativer als die eigene Organisation ist. Dann stellt häufig der Forschungs- und Entwicklungsbereich des übernommenen Unternehmens sozusagen das Filetstück dar, das bei der Übernahme auf keinen Fall zu Schaden kommen darf. Also sollte bei der Übernahme darauf geachtet werden, dass in diesem Bereich weitgehend die Kontinuität gewahrt bleibt - und zwar nicht nur auf der kulturellen und strukturellen Ebene, sondern auch bei der Führung. Sonst ist die Gefahr groß, dass just das zerstört wird, was das Unternehmen attraktiv macht.

Anders ist die Situation, wenn ein Unternehmen einen Mitbewerber primär erwirbt, um seinen Marktanteil auszubauen und sich Zugang zu neuen Kundengruppen zu verschaffen. Dann ist es vor allem an dessen Kunden und Absatzwegen interessiert. Bei solchen Deals ist es meist sinnvoll, das gekaufte Unternehmen sowohl strukturell, als auch kulturell soweit möglich in die eigene Organisation zu integrieren. Oder anders formuliert, es faktisch zu "schlucken" - selbst wenn nach draußen ein "merger of equals" verkündet wird und das akquirierte Unternehmen beispielsweise unter dem Dach einer Holding weiterhin als rechtlich eigenständige Einheit firmiert. Bei solchen Mergers wird meist zumindest das Top-Management weitgehend ausgetauscht - auch weil es den Alphatieren auf der Top-Ebene in der Regel schwer fällt, ins Glied zuzutreten.

Frage: Welches Management brauchen wir?

Angenommen der Investor hat seine Übernahmeziele definiert. Er weiß zudem, welche Struktur und Kultur das akquirierte Unternehmen hierfür nach der Übernahme braucht. Dann kann er im nächsten Schritt definieren:

- Wie sollte das Management des übernommenen Unternehmens künftig strukturiert sein? Und:

- Welches Profil müssen die Personen haben, die dort die Top-Positionen innehaben?

Dies ist wiederum die Voraussetzung, um zu prüfen, welche der bisherigen Top-Executives weiterhin auf der Payroll des Unternehmens stehen sollen und welche nicht.

Dies zu ermitteln ist im Vorfeld von Übernahmen meist nur bedingt möglich - speziell bei feindlichen. Denn dann haben die Investoren zwar oft schon Zugriff auf die Organigramme, die zeigen, wer welche Position im Unternehmen inne hat und wie offiziell die Entscheidungsprozesse ablaufen. Aus diesen Datenblättern geht aber nicht hervor, wie die Entscheidungen real getroffen werden. Aus ihnen ist auch nicht ersichtlich,

- wie effektiv die Leiter der Bereiche zusammen arbeiten,

- wie diese als Person "ticken" und

- wie stark diese zum Beispiel im Umsetzen von Entscheidungen sind.

Hierüber können die Investoren im Vorfeld von Übernahmen oft nur über Umwege erste Informationen gewinnen - zum einen durch eine Analyse und ein Interpretieren der ihnen zur Verfügung stehenden betriebswirtschaftlichen Daten, zum anderem beispielsweise durch das Befragen von externen Part-nern wie Kunden und Lieferanten. Diese Informationen genügen aber gerade bei der zweiten und dritten Führungsebene, die nicht so stark wie der Vorstand im Rampenlicht steht, meist nicht, um zu ermitteln, inwieweit die Stelleninhaber die Anforderungen für die Übernahme einer Top-Position erfül-len.

So früh wie möglich die Prüfung durchführen

Deshalb kann die eigentliche Leadership-Due-Diligence-Prüfung in der Regel erst erfolgen, wenn die Übernahme vollzogen ist. Dann sollte sie aber schnellstmöglich geschehen, damit die Führungskräfte Gewissheit über ihr eigenes Schicksal erhalten und ihren Mitarbeiter den Halt geben können, den diese gerade in Umbruchsituationen brauchen. Also muss die Leadership-Due-Diligence-Prüfung zum Übernahme-Zeitpunkt bereits vorbereitet sein.

Eine Leadership-Due Diligence-Prüfung lässt sich mit einem Management-Audit vergleichen, bei dem mit einer Batterie von Instrumenten versucht wird, einzuschätzen, inwieweit die oberen Führungskräfte einer Organisation über die nötigen Kompetenzen verfügen, um ihren Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele zu leisten. Der einzige Unterschied zu den Audits, die viele Großunternehmen im Drei-, Vier-Jahresrhythmus zum Soll-Ist-Abgleich durchführen, ist, dass bei einer Leadership-Due-Diligence-Prüfung die zentralen Fragen lauten:

- Welche Top-Executives des übernommenen Unternehmens verfügen über die Fähigkeiten und Eigenschaften, die künftig auf der Managementebene des Unternehmens benötigt werden? Und:

- Kann das bisherige Führungsteam auch unter den geänderten Rahmenbedingungen die gewünschte Wirkung entfalten oder sind personelle und strukturelle Veränderungen nötig?

Das heißt: Bei einer Leadership-Due-Diligence-Prüfung ist das Audit auf die angestrebten Veränderungen und die Ziele des neuen Eigners fokussiert. Dies ist wichtig! Denn bei Übernahmen gilt: Oft sind gerade die Top-Executives, die im akquirierten Unternehmen in der Vergangenheit die "Erfolgsgaranten" waren, die "Bremser", wenn es um das Erreichen der neuen Ziele geht. Dies sei an einigen Beispielen illustriert.

Beispiel 1:
Angenommen ein Anlagenbauer möchte einen Mitbewerber übernehmen und gegen diese "feindliche Übernahme" wehren sich insbesondere dessen Vorstandsvorsitzender und Finanzvorstand vehement. Doch dann wird das Unternehmen doch geschluckt, was der Finanzvorstand auch als persönliche Niederlage empfindet. Dann fällt es ihm vermutlich schwer, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren und sich mit den neuen Zielen zu identifizieren. Also stellt sich für die neuen Eigner die Frage: Ist dies für uns der richtige Mann - ungeachtet seiner Kompetenz als Finanzvorstand?

Beispiel 2:
Ein Büromaschinenhersteller wird von seinem bisher härtesten Konkurrenten geschluckt, über dessen Produkte sich der Vertriebsleiter des übernommenen Unternehmens bisher in Mitarbeiter- und Kundengesprächen stets abfällig äußerte - teils aus taktischen Gründen, teils aus Überzeugung. Dann stellt sich für die neuen Eigner die Frage: Kann der bisherige Vertriebsleiter auch künftig diese Funktion bekleiden? Verliert er, wenn er plötzlich die Produkte des ehemaligen Mitbewerbers mitvertreibt und lobt, nicht die Glaubwürdigkeit bei seinen Mitarbeitern und Kunden?

Beispiel 3:
Ein Versicherungskonzern erwirbt eine andere Versicherungsgesellschaft und um die gewünschten Synergieeffekte zu erzielen, soll unter anderem die IT des übernommenen Unternehmens der IT-Landschaft des neuen Eigners angepasst werden. Dadurch wird auch der bisherige Leiter IT teilweise "entmachtet". Er muss sich nun dem Diktat der neuen Herren unterordnen. Daraus erwächst die Frage: Kann er sich auch künftig noch mit seiner Position identifizieren? Erfährt er sein neues Stellenprofil nicht als "Degradierung"?

Auch solche Fragen gilt es bei der Leadership Due Diligance-Prüfung zu beantworten, um letztlich zur Entscheidung zu gelangen: Wer nimmt welche Funktion in der Organisation wahr? Also müssen auch die Fragestellungen im Audit hierauf fokussiert sein.

Mit offenen Karten spielen

Zuweilen wird das Ergebnis der Prüfung lauten: "Wir brauchen Herrn Mayer noch in einer Übergangsphase von einem Jahr, weil er ein erfahrener Manager und wichtiger Know-how-Träger ist. Doch danach ..." Dann sollten die neuen Eigner in der Regel mit offenen Karten spielen und mit dem Manager ein Agreement auszuhandeln, das den Interessen aller Beteiligten entspricht. (oe)
Der Autor Dr. Georg Kraus ist diplomierter Wirtschaftsingenieur, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, Autor des "Change Management Handbuch" sowie zahlreicher Projektmanagementbücher und Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.
Kontakt:
www.kraus-und-partner.de