5 Technologien

Machine Learning trifft auf Prozessautomatisierung

19.06.2017 von Christoph Lixenfeld
Intelligent Process Automation ist als Businessmotor der Zukunft in aller Munde. McKinsey analysiert jetzt, wie Unternehmen von IPA profitieren können.
  • IPA soll Unternehmen in die Lage versetzen, vergleichsweise komplexe Aufgaben von lernenden Maschinen erledigen zu lassen.
  • Im Kern handelt es sich um eine Kombination aus Prozessautomation und Maschinenlernen.
  • Zum Erfolg wird die Nutzung von IPA nur, so McKinsey, wenn die Art ihres Einsatzes zur Unternehmenskultur passt.

Auch der Autor dieser Zeilen dachte zunächst, Intelligent Process Automation sei schlicht das nächste Wortungetüm, erdacht von irgendwelchen Consultants, um Beratungsleistung zu verkaufen.

Wer wem in Zukunft den Weg zeigt, dass wird die spannendste Frage im Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen sein.
Foto: PHOTOCREO Michal Bednarek - shutterstock.com

Der Eindruck des Neuen ist dem Fakt geschuldet, dass im Zusammenhang mit der Zukunft von Produktion zuletzt andere Begriffe die Diskussion dominierten, Industrie 4.0 zum Beispiel oder IoT - das Internet der Dinge.

Bei genauerer Betrachtung ist IPA aber keineswegs neu. Im Juni 2015 - also vor einer halben Ewigkeit - schrieb Robert Brown, Associate Vice President beim riesigen US-IT-Dienstleister Cognizant, ein überaus intelligenten Artikel dazu. Er trug (übersetzt) die Überschrift: "Intelligent Process Automation: Es geht um Daten, nicht um Roboter."

Lernende Maschinen werden schlauer

Diese Aussage charakterisierte recht gut, worum sich IPA dreht: nicht um dumme Maschinen, die ein kleines Progrämmchen dazu zwingt, den immer gleichen, stumpfsinnigen Handgriff auszuführen, sondern um lernende Systeme, die - ähnlich wie Menschen - bei ihrer Tätigkeit immer schlauer werden.

Wie Unternehmen konkret davon profitieren können, hat jetzt McKinsey analysiert. Unter dem etwas sperrigen Titel: "IPA: The engine at the core of the next-generation operation Model" beschreiben die Berater ausführlich, wie Firmenlenker vorgehen sollten.

Roboter sollen in Zukunft nicht nur lesen, sondern auch selbst Texte formulieren können.
Foto: Vasilyev Alexandr - shutterstock.com

Zuvor klären uns die McKinsey-Autoren Federico Berruti, Graeme Nixon, Giambattista Taglioni und Rob Whiteman allerdings dankenswerter Weise darüber auf, welche Entwicklungen uns die (angenommene) Unabwendbarkeit des IPA-Siegeszugs eingebrockt haben.

Da wäre zunächst die Finanzkrise 2007-2009, während der viele Unternehmen durch sogenanntes Lean Management parallel Kosten senken und Kundenzufriedenheit steigern wollten. Am besten hätten sich dazu schon damals Digitalisierungsmaßnahmen aller Art geeignet.

Kombination aus Automation und Machine Learning

Doch die waren und sind in traditionsreichen Industrien nicht so einfach einzuführen wie ein neuer Fuhrpark. Die Versicherungsbranche zum Beispiel - schon immer datengetrieben und daher eigentlich ideal zur forcierten Digitalisierung geeignet - tat sich enorm schwer damit. Eine Folge war das Aufkommen unzähliger "Insurtech" beziehungsweise "Fintech"-Startups.

Bei IPA dreht es sich im Kern um eine Mischung aus Automatisation und Maschinenlernen.
Foto: KfW-Bildarchiv / Espen Eichhöfer, OSTKREUZ

Mal eben sämtliche Kernprozesse zu digitalisieren, ist eben nicht so einfach. Stellt sich die Frage: Was können Unternehmen stattdessen, was darüber hinaus tun in Anbetracht der Tatsache, dass der Kostendruck in den meisten Branchen seitdem eher noch größer anstatt kleiner geworden ist?

Set von 5 Technologien

An dieser Stelle kommt - davon jedenfalls ist man bei McKinsey überzeugt - IPA ist Spiel. Im Kern handelt es sich dabei um ein Set von fünf miteinander kombinierbarer Technologien rund um Prozessautomation und Maschinenlernen:

  1. Robotic process automation (RPA): "Robotic process automation (RPA)", ein Softwaretool, das es erlaubt, Routineaufgaben eines Unternehmens über vorhandene Bedienelemente automatisch ausführen zu lassen. Dabei hat der (Software-)Roboter eine User-ID wie seine menschlichen Kollegen, legt wie diese Dokumente an oder verfasst Reports. Hilfreich kann das zum Beispiel für die Versicherungsbranche sein, in der täglich viele standardisierte und zugleich sicherheitssensible Dokumente entstehen (müssen).

  2. Smart Workflow: Beim "Smart Workflow" handelt es sich um eine Prozessmanagement-Software, die Gruppen von Mitarbeitern koordinieren und auch deren Zusammenarbeit mit Maschinen managen kann.

  3. Machine learning/advanced analytics:Mit "Machine learning/advanced analytics" - dritter Punkt - meint McKinsey Algorithmen, die Muster in strukturierten Daten erkennen. Mit Hilfe dieser Muster steuern sich Maschinen nach einer Weile gewissermaßen selbst und können auch Prognosen abgeben, beispielsweise über künftige Ausfallzeiten von Assets.

  4. Natural-language generation (NLG): "Natural-language generation (NLG)" bezeichnet eine Software, die medienbruchfreie Kommunikationen zwischen Menschen und Maschinen ermöglicht. Werkzeug dazu ist natürlich Sprache, und zwar die menschliche: Computerprogramme sollen zukünftig in der Lage sein, nach bestimmten, von Menschen festgelegten Regeln Ergebnisse von Datenanalysen in allgemeinverständliche Prosa zu übertragen. Genutzt wird dieser Ansatz beispielsweise heute schon im US-Journalismus für die Sportberichterstattung, zukünftig soll er auch auf Managementreports übertragbar sein.

  5. Cognitive agents: Fünftes und letztes Element von IPA sind "Cognitive agents", virtuelle Wesen, in denen sich die beiden zuletzt beschrieben Fähigkeiten miteinander verbinden. Dabei entsteht quasi eine virtuelle Belegschaft, die nicht nur Jobs erledigen, kommunizieren, Daten analysieren und aus ihnen lernen kann, sondern auch Entscheidungen treffen, die die Gefühle andere (humanoider) Beteiligter berücksichtigen.

Machine Learning - Technologien und Status quo
Bilderkennung ist wichtigstes Anwendungsgebiet für Machine Learning
Heute kommen Machine-Learning-Algorithmen vor allem im Bereich der Bildanalyse und -erkennung zum Einsatz. In Zukunft werden Spracherkennung und -verarbeitung wichtiger.
Machine Learning im Anwendungsbereich Customer Experience
Heute spielt Machine Learning im Bereich Customer Experience vor allem im Bereich der Kundensegmentierung eine Rolle (hellblau). In Zukunft wird die Spracherkennung wichtiger (dunkelblau).
Machine Learning in den Bereichen Produktion und Prozesse
Unternehmen erhoffen sich im Bereich Produktion/Prozesse heute und in Zukunft (hell-/dunkelblau) vor allem im Bereich Prozessoptimierung positive Effekte durch Machine Learning.
ML im Bereich Kundendienst und Support
Sentiment-Analysen werden eine Kerndisziplin für Machine Learning im Bereich Kundendienst und Support
Auch IT-Abteilungen profitieren
Schon heute wird Machine Learning für die E-Mail-Klassifizierung und Spam-Erkennung genutzt. In Zukunft (dunkelblau) werden Diagnosesysteme wichtiger.
Was Management, Finance und HR von Machine Learning erwarten
Heute und in Zukunft ist in diesem Bereich das Risikomanagement eine vorrangige ML-Disziplin. In Zukunft soll auch das Talent-Management beflügelt werden.
Massive Effekte für Einkauf und Supply Chain Management
Machine Learning wird sich auf verschiedenste Bereiche des Procurements und des Supply Managements auswirken (hellblau = heute; dunkelblau= in Zukunft)
Diese Lernstile sind bekannt
Beim bekanntesten Lernstil, dem Überwachten Lernen (Supervised Learning), werden Bildern oder Dokumenten von Hand eine gewisse Menge an Tags oder Labeln zugewiesen. So werden die ML-Algorithmen trainiert.
Diese Lernstile verwenden Branchen
Während Autobauer eher auf "Semi-supervised Learning" setzen, sammeln andere Branchen mit Supervised Learning Erfahrung.
Machine-Learning-Algorithmen
Die meisten Unternehmen setzen auf einen Mix von Verfahren, um ihre vielfältigen Aufgaben zu lösen.
Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen nach Branchen
Neuronale-Netzwerk-Algorithmen finden vor allem im Automotive-Sektor Verwendung - und natürlich in der ITK-Branche selbst.
Diese Programmiersprachen und Frameworks kommen im ML-Umfeld zum Einsatz
Mit knapp 70 Prozent Einsatzgrad ist Java die führende Programmiersprache im Bereich ML. Allerdings holen speziellere Sprachen und Frameworks auf.
Deep-Learning- und Machine-Learning-Packages
DeepLearn Toolbox, Deeplearning4j, das Computational Network Toolkit und Gensim werden auf Dauer die führenden Pakete sein.
Zielinfrastruktur für ML-Workloads
Die Deployments von Machine Learning gehen zunehmend in die Breite und erreichen auch die Cloud und das Internet der Dinge. Auf die Unternehmen kommt mehr Komplexität zu.
Bedenken und Herausforderungen
Datenschutz und Compliance-Themen machen Anwender am meisten zu schaffen, geht es um den Einsatz von Machine Learning. Außerdem vermissen viele einen besseren Überblick über das Marktangebot.
Machine Learning ist Sache der BI- und Analytics-Spezialisten
Die organisatorische Einführung von ML obliegt meistens den BI- und IT-Profis. Viele Anwender holen sich aber auch externe Hilfe.
Wo Externe helfen
Datenexploration, Skill-Aufbau und Implementierung sind die Bereiche, in denen Machine-Learning-Anfänger am häufigsten externe Hilfe suchen.

Vorgehen in 6 Schritten

Stellt sich natürlich die Frage, wie Unternehmen am effizientesten davon profitieren. McKinsey empfiehlt ein Vorgehen in sechs Schritten.

Mensch und Roboter Hand in Hand, das wird nur funktionieren, wenn die Menschen nicht ständig Angst davor haben, verdrängt zu werden.
Foto: Willyam Bradberry - shutterstock.com

Zusammengefasst preist McKinsey IPA als Instrument, um anspruchsvolle, aber sich wiederholende Tätigkeiten im Unternehmen von Maschinen ausführen zu lassen, die zudem durch die Ausführung der Jobs immer schlauer und besser werden.

Menschen sollen sich derweil auf die wirklich angenehmen und zukunftsweisenden Dinge konzentrieren, zum Beispiel neue Quellen und Informationen von außerhalb des Unternehmens sichten und prüfen, ob und welchen Einfluss sie auf das Geschäftsmodell des eigenen Unternehmens und dessen Zukunft nehmen könnten.

Maschinen ersetzen Menschen

Am Ende geht es bei IPA - sagt diesmal nicht McKinsey, sondern der Autor dieser Zeilen - darum, Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Bezogen auf die technische Machbarkeit und die Erträge von Unternehmen ist das sicher eine gute Idee. Ob diejenigen, die dadurch ihren Job verlieren, das auch so sehen, steht auf einem anderen Blatt.